Ein Interview zum Thema China A-Shares mit Wolfgang Fickus, Mitglied des Investment-Komitees bei Comgest. Fickus begann seine Karriere 1995 bei Paribas Asset Management in Paris im Fondsmanagement für europäische Aktien und wechselte im Jahr 2000 zur WestLB, wo er ab 2005 das Mid- und Small-Cap Research leitete. Im September 2012 kam Wolfgang Fickus zu Comgest.
Herr Fickus, der chinesische Festlandsmarkt ist sehr stark reglementiert, die Qualität der Unternehmensbilanzen gilt oft als fragwürdig und die Corporate Governance lässt viel zu wünschen übrig. Andererseits gibt es die Möglichkeit, die Aktien von Festlandsunternehmen in Hongkong und an anderen internationalen Börsen zu kaufen, man denke nur an das Listing von Alibaba an der New York Stock Exchange 2014. Warum braucht man da A-Shares?
Wolfgang Fickus: Ganz einfach, weil die A-Shares Segmente in Shanghai und Shenzhen rund 50 Prozent der Marktkapitalisierung Chinas ausmachen. Am weltweiten Aktienmarkt hat China wiederum ein Gewicht von bis zu acht Prozent. China-Aktien sind also auch aus globaler Perspektive eine signifikante Größe, und entsprechend gibt es an diesem bisher kaum erschlossenen Festlandsmarkt große Opportunitäten. Und die gibt es auch so nur dort wahrzunehmen. Wojciech Stanislawski (der Fondsmanager des Comgest Magellan, Anmerkung von Morningstar) hat Investieren auf dem Festland in China einmal als „once in a lifetime opportunity“ beschrieben, ganz einfach weil sich dort mit knapp 1500 Aktien eine riesige Tür geöffnet hat. Oder, um ein anderes Bild zu benutzen, das Festlandssegment ist wie ein großer Supermarkt, der seine Tore zum ersten Mal öffnet. Man stöbert, stößt auf Schund, aber man findet auch Qualität. Der Zugang zum A-Shares-Markt hat unser Universum, unsere Möglichkeiten als global agierende Schwellenländer-Investoren, erheblich vergrößert.
Sie sind bereits seit längerer Zeit auf dem Festland engagiert, und inzwischen sind ihre großen global anlegenden Fonds, wie etwa der Magellan, in signifikantem Maße in A-Shares investiert. Wie haben sich die Rahmenbedingungen für Sie in den letzten Jahren verändert.
Wir haben im Jahr 2011 die Lizenz als Qualified Foreign Institutional Investor bekommen. Damals waren die Quoten eng limitiert, das Geschäft wurde unter ein paar Brokern verteilt, die Transaktionskosten waren entsprechen hoch und entsprechend war die Liquidität sehr niedrig. Das Connect-Programm hat uns ab Ende 2014 über die Börse in Hongkong einen deutlich verbesserten Zugang zum Markt eröffnet. Die Liquidität hat sich sehr stark verbessert, und entsprechend sind auch die Transaktionskosten deutlich heruntergekommen. Aber man muss auch sehen, dass der Festlandsmarkt noch immer ganz eigenen Gesetzen unterliegt. Er ist nach wie vor sehr stark von kurzfristig orientierten Privatanlegern geprägt, was zu erratischen Kursverläufen führen kann. Der Markt ist sehr ineffizient, und die Dispersion zwischen den Renditen ist dreimal höher als bei uns, was bedeutet, dass der Unterschied zwischen Spreu und Weizen sehr groß ist. Aber das bietet hervorragende Opportunitäten.
Viele Anleger dürften sich allerdings in erster Linie an die Schlagzeilen zum Crash 2015 und 2016 erinnern, als die chinesische Aufsicht mit ihrem Aktionismus die Nervosität gesteigert haben dürfte.
Ja, die Handelseinschränkungen haben auch uns beeinträchtigt, auch Aktien, auf die wir gesetzt hatten, waren zeitweise vom Handel ausgesetzt, aber das war nur punktuell für wenige Wochen der Fall. Seitdem hat sich die Situation entspannt. Außerdem sind wir sehr selektiv unterwegs, aktuell halten wir Aktien von sieben Festlandsunternehmen aus dem A-Shares Segment in unserem Greater China Fonds, und wir kennen alle diese Unternehmen gut, da wir seit 2011 das Research auf dem Festland stark intensiviert haben. Ja, die Corporate Governance lässt in China oft zu wünschen übrig, wenn man in Staatsunternehmen investiert. Aber diese Probleme bekommt man in den Griff, wenn man vor Ort präsent ist. Wir sind seit mehr als 20 Jahren in Hongkong und seit gut sechs Jahren mit Research auch auf dem Festland mit Mandarin sprechenden Portfoliomanagern unterwegs. Man muss die lokale Expertise haben, sonst hängt man zu sehr von den Brokern ab, die ihre eigenen Interessen vertreten, d.h. Handelsumsätze maximieren. Wir haben gegenüber der Konkurrenz hier einen Zeitvorsprung, und den nutzen wir.
Haben Sie ein Beispiel für Chancen, die Sie aufgrund Ihres Zugangs zum Festlandsmarkt wahrgenommen haben?
Wir haben vor drei, vier Jahren Unternehmen aus der Konsumgüterbranche vorgefunden, die mit KGVs von rund zehn deutlich günstiger bewertet waren als vergleichbare Konzerne in Asien oder entwickelten Länder, etwa Kweichow Moutai. Stock Connect hat dann einen Boom entfaltet. Für viele Privatanleger gab es kein Halten, da wurde insbesondere im Mid und Small Cap Bereich gezockt. Als die Krise Mitte 2015 anfing, konnten wir das abfedern, weil wir nicht in Mid und Small Caps investiert waren und auf Qualitätswachstum setzen. Und wir haben Arbitragegeschäfte mit den Aktien mehrfach gelisteten Unternehmen gemacht, indem wir teure A-Shares verkauft und die günstigeren H-Aktien zu einem Discount gekauft haben. Damit konnten wir der Volatilität teilweise entgehen, ohne unsere Positionen auflösen zu müssen.
Wie schätzen Sie die Ankündigung des Indexanbieters MSCI ein, Festlands-Aktien in seine regionalen und globalen Indizes zu integrieren. Angesichts der doch sehr niedrigen Quote von voraussichtlich 0,7 Prozent im MSCI Emerging Markets im Jahr 2018 ist oft die Rede von einem symbolischen Schritt.
Der Schritt ist einerseits schon symbolisch, weil MSCI erstmals die Tür für chinesische Festlandsaktien geöffnet hat, ein Schritt, der bereits seit Jahren diskutiert wurde. Aber das Wort symbolisch trifft es dann doch nicht, weil das ja bedeuten würde, dass nach dem Minischritt nicht mehr so viel passieren wird. Aus unserer Sicht werden weitere Schritte folgen, denn China hat sich bekannt, den Renminbi zu internationalisieren. Das ist angemessen, denn China ist inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und der Renminbi hat sich in den vergangenen 20 Jahren als sehr stabile Währung erwiesen, fristet aber ein Schattendasein auf den Finanzmärkten. Um seine Währung zu internationalisieren, muss auch die Kapitalbilanz geöffnet werden. Dazu gehört die Öffnung des Aktienmarkts. Auf lange Sicht halten wir es für wahrscheinlich, dass das gesamte A-Shares Segment bei der Berechnung der großen Benchmarks berücksichtigt wird. Die Öffnung des Aktienmarkts von Taiwan und Korea hat bis zu neun Jahre gedauert. Das kann in China schneller gehen oder auch langsamer – das weiß keiner. Wir stecken schließlich nicht in den Köpfen der Verantwortlichen des Politbüros in Beijing. Es ist aber in Chinas bestem Interesse, die Kapitalbilanz zu öffnen, etwa über den Einkauf von Technologien im Ausland oder den Abbau spekulativer Blasen, den wir am inländischen Aktienmarkt sehen. Deswegen sind wir sicher, dass der Prozess behutsam weitergehen wird.
Warum waren es nicht mehr als 0,7 Prozent zum Start? Früher waren bei MSCI höhere A-Shares-Quoten im Gespräch.
Das würde ich als Vorsichtsmaßnahme ansehen. Natürlich ist der chinesische Aktienmarkt nach wie vor stark reglementiert. Es hat wiederholt regulatorische Eingriffe gegeben, denken Sie an die häufigen Handelsunterbrechungen in den vergangenen Jahren. Da wurden viele Aktien für teilweise lange Zeit von Handel ausgesetzt. Das findet heute deutlich weniger statt als noch vor zwei Jahren, aber insgesamt ist der Dirigismus in China deutlich stärker manifest als in anderen Schwellenländern. Auch ist der Zugang ausländischer Investoren noch nicht uneingeschränkt möglich. Für einen Indexanbieter sind aber Liquidität und Handelbarkeit essentielle Kriterien. Mit zunehmender Dauer wird sich die Kapitalmobilität verbessern und das regulatorische Umfeld solider werden. Das alles ebnet den Weg für eine steigende Gewichtung von A-Shares in den weltweiten Indizes in den nächsten Jahren. Das kann langfristig zu einem Anteil von 40 Prozent China im MSCI EM führen und die Vermögensklasse verändern.
Dann werden Sie also künftig deutlich mehr Konkurrenz zu spüren bekommen. Wie würden Sie Ihre Erfahrung bisher beschreiben? Hat es sich gelohnt, frühzeitig am Festlandssegment dabei zu sein?
Auf jeden Fall. Sonst wären unsere großen globalen Schwellenländerfonds Magellan und Comgest Growth Emerging Markets nicht mit gut elf Prozent ihres Vermögens dort investiert. Ja, es gibt viel an dem Markt zu bemängeln. Aber viele Anleger kennen China einfach nicht, weswegen das Misstrauen groß ist. Das ist der wesentliche Punkt. Genau das mögen wir ja, denn das eröffnet uns Chancen. Es ist eben nicht möglich, über Nacht Stock Picking Expertise aufzubauen. Das beschränkt sich ja nicht auf das Lesen von Brokerberichten. Unsere chinesischen Stock Picks haben knapp 2/3 der absoluten Performance des Magellan über die vergangenen 3 Jahre getragen. In dieser Zeit hat der Magellan C jährlich 10,6 Prozent nach Kosten performt. Die relative Performance, d.h. Outperformance von 2,5 Prozent jährlich, wurde zu 100 Prozent in Chinesischen Stock Picks generiert. Unter den Top fünf Kontributoren zur absoluten Performance des Magellan über diesen Zeitraum befinden sich drei chinesische Aktien, hiervon zwei vom Festland, darunter auch Kweichow Moutai.
Die Fragen stellte Ali Masarwah
Übersicht zu unserer Reihe zu China-Festlands-Aktien
Einführung: China-Aktien sind reif für den Index
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