Auch wenn das Wort „Anlegerflucht“ eine dramatische Konnotation hat, so trifft es doch das Verhalten von Investoren in Europa im vergangenen Monat. Jedenfalls zu einem guten Teil. Der Verkauf risikoreicher Anlagen prägte im Juni den europäischen Markt. Zum einen wurden Emerging-Markets-Investments auf breiter Front veräußert. Das lässt sich mit der Aussicht auf steigende Zinsen in den USA recht gut erklären und hat sich als typisches Muster etabliert: Wenn Zinsanlagen in den Industrieländern, vor allem in den USA, attraktiver werden, ziehen Anleger ihr Geld aus den Märkten ab, die mit hohen Prämien (bei überdurchschnittlichen hohen Risiken) locken: aus den weniger entwickelten Ländern also.
Zum anderen wurden neben Emerging Markets Fonds zwei weitere Kapitalmarktsegmente in signifikantem Umfang verkauft: Anleger zogen in großem Stil Geld aus Fonds ab, die in europäische und japanische Aktien investieren. Hier greift das Zinsargument nur eingeschränkt. Zwar ist es angesichts der Zinsdifferenz zwischen USA und der Eurozone bzw. Japan nicht unwahrscheinlich, dass auch europäische Investoren die gestiegenen Renditen von Treasuries in diesem Jahr US-Bonds als attraktiv ansehen, zumal sich die Risikobereiten unter ihnen angesichts der Aussicht auf einen weiter steigenden Greenback frohen Mutes einen Währungshedge bleiben lassen können.
Allerdings gibt es etliche Punkte, die für ein aktives Abstoßen europäischer und japanischer Assets sprechen. Hier ließe sich die These aufstellen, dass die Regierungsbildung in Italien, die Gefahr populistischer Strömungen in Europa sowie die Gefahr einer protektionistischen US-Handelspolitik Investoren vor den exponierten europäischen und japanischen Märkten zurückschrecken ließ.
Blieben als Default-Option nur die USA. Und tatsächlich bewirkte der Run auf USA-Fonds, dass die Mittelabflüsse aus Fonds mit Domizil in Europa nicht dramatische Ausmaße annahmen. Gefragt waren neben USA-Standardwertefonds vor allem Technologie-Aktien (Stichworte: Nasdaq 100 Tracker, in denen die so genannten FAANGs besonders stark vertreten sind.) sowie global anlegende Aktienfonds, in denen die USA einen Anteil von durchschnittlich rund 50 Prozent haben. Das ist erstaunlich angesichts der historisch hohen Volatilität von Technologie-Aktien, doch die Erinnerung an die Verluste zur Jahrtausendwende ist offenbar in den vergangenen Hausse-Jahren bei vielen Anlegern verblasst. "Sorglosigkeit" ist in diesem Kontext ein passendes Stichwort!
Doch auch die hohen Zuflüsse in USA-Aktienfonds genügten nur, um aus einer potenziell tiefroten eine - immer noch - rote Vertriebsbilanz zu machen. Wie aus der unteren Tabelle hervorgeht, erlitten Langfristfonds, also Anlageprodukte ohne Geldmarktfonds, Mittelabflüsse in Höhe von 10,5 Milliarden Euro. Da Geldmarktfonds mit Abflüssen von knapp 17 Milliarden Euro ebenfalls kräftig verloren, war der vergangene Juni der schwächste Vertriebsmonat für Publikumsfonds (einschließlich Indexfonds) seit Juni 2013.
Besonders hohe Anteilsscheinrückgaben gab es bei Rentenfonds, die Abflüsse in Höhe von elf Milliarden Euro verkraften mussten. Aktienfonds gaben sechs Milliarden Euro ab. Mischfonds erzielten zwar eine positive Absatzbilanz, aber die Zuflüsse in Höhe von 5,2 Milliarden Euro waren das tiefste Monatsniveau seit Dezember 2016. Alternative Fonds, die Hedgefonds nachahmen, mussten das tiefste Absatzniveau - 500 Millionen Euro – seit Dezember 2011 hinnehmen. Es hat sich unter Anlegern offenbar herumgesprochen, dass die Performance vieler dieser Produkte weit hinter den selbstgesteckten Zielen zurückbleibt, zu jeder Marktphase eine ansehnliche Rendite zu erzielen.
Tabelle: Absatzbilanz im Juni nach Asset-Klasse
Der vergangene Monat war auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Der kontinuierliche Siegeszug der passiven Aktienfonds ging zu Ende. Aktien-ETFs und nichtbörsennotierte Aktienfonds erlitten Abflüsse von 3,6 Milliarden Euro, was den Juni zum ersten negativen Monat für diese Produkte seit Mai 2016 machte. Dieses seltene Phänomen ging in erster Linie auf Abflüsse aus nichtbörsennotierte Aktien-Indexfonds zurück, wobei Aktien-ETFs ebenfalls eine negative Absatzbilanz aufwiesen. Die Kategorien "Aktien Euroland", "globale Emerging Markets Aktien" sowie "Aktienfonds Japan" wurden am härtesten getroffen.
Indes erlitten aktiv gemanagte Aktienfonds mit 2,5 Milliarden Euro deutlich geringere Abflüsse. Zwar wurden auch aktiv gemanagte Emerging Markets Aktienfonds kräftig verkauft, doch konnte die hohe Nachfrage nach aktiv gemanagten Technologiefonds und globale Wachstumsfonds die Abflüsse bis zu einem gewissen Grad kompensieren.
Umgekehrt war der Juni ein positiver Monat für passive Rentenfonds, die netto 2,2 Milliarden Euro einnahmen. Vor allem Euro und US-Staatsanleihe-ETFs verzeichneten eine hohe Nachfrage. Interessanterweise konnten auch passive Emerging Markets Bondfonds sich dem negativen Trend bei aktiven Fonds entziehen.
Rabenschwarz war indes die Vertriebsbilanz bei aktiv verwalteten Bondfonds mit Abflüssen von 13,2 Milliarden Euro. Vor allem wurden hier Hochzinsfonds sowie Emerging-Markets-Produkte verkauft.
Passive physische Rohstofffonds (im Wesentlichen börsengehandelte Rohstoffe) verzeichneten Zuflüsse von 200 Millionen Euro – was deutlich unter dem Niveau des Vormonats war. Dies ist auf Abflüsse aus Edelmetallfonds zurückzuführen.
Tabelle: Die Absatzbilanz von aktiven und passiven Fonds im Juni
Alle weiteren Zahlen zum europäischen Fondsabsatz im Juni, einschließlich die Vertriebsbilanz nach Fondsanbieter, finden Sie in der englischsprachigen Vollversion des AAbsatzberichts.
Die Analysen in diesem Artikel basieren auf unserem Tool für professionelle Anleger. Weitere Informationen zu Morningstar Direct erhalten Sie hier.