An Europa scheiden sich bekanntlich die Geister: Wird die Konjunkturflaute auf dem Alten Kontinent in diesem Jahr fortdauern, oder kommt die Wende zum Positiven? Für Börsianer übersetzt: Werden zyklische oder defensive Aktien das Rennen machen? Wir haben mit Blick auf diese Frage untersucht, wie die große Gesamtheit der europäischen Standardwertefonds aufgestellt ist.
Das Ergebnis unserer Untersuchung: Die Fondsmanager europäischer Fonds richten die Portfolios heute stärker auf zyklische Branchen aus. Dazu zählen Rohstoffe (inklusive Chemie), Finanzdienstleister (inklusive Banken), Immobilien sowie zyklische Konsumgüter. Spiegelbildlich reduzieren sie den Anteil von Aktien aus den defensiven Branchen Basiskonsum, Gesundheit und Versorger (lesen Sie hier mehr).
Doch weil die aus der großen Gesamtheit gebildeten Durchschnitte alles und nichts sagen, wollen wir uns im zweiten Schritt ansehen, wie die großen Fonds, die auf europäische Aktien setzen, aufgestellt sind. Stehen auf der Kaufliste der Manager eher Zykliker wie BASF, Rio Tinto und Daimler oder doch noch die defensiven Klassiker wie Nestlé, Diageo, Roche oder Novartis? Wie gehen Fonds vor, die typischerweise eher Wachstumstitel kaufen, die idealerweise relativ unabhängig von zyklischen Schüben (bzw. Rückschlägen!) agieren?
Die untere Tabelle zeigt die größten 10 aktiv verwalteten Aktienfonds mit Anlageschwerpunkt Standardwerte Europa, die europaweit zum Vertrieb zugelassen sind. So lesen Sie die Tabelle: Neben Fondsname, ISIN und Fondsvermögen finden Sie in der dritten Spalte von rechts das zuletzt ermittelte Gewicht zyklischer, also stark vom Konjunkturverlauf abhängiger Branchen. Weiter rechts findet sich der prozentuale Portfolio-Anteil defensiver Sektoren. In der Spalte außen rechts findet sich - sofern unsere Fondsanalysten den Fonds beobachten - das aktuelle Morningstar Analyst Rating (lesen Sie mehr zu unseren Morningstar Analyst Ratings hier).
Tabelle: Defensiv oder zyklisch - was machen die "Großen 10"?
Um die Positionierung des jeweiligen Fonds besser einordnen zu können, haben wir in der oberen Tabelle nicht nur die aktuelle Gewichtung zyklischer und defensiver Branchen aufgeführt, sondern diese auch in den historischen Kontext setzt. Mit anderen Worten: Wir setzen das Portfolio eines Fonds relativ zu seiner eigenen historischen Entwicklung ins Verhältnis. Ist ein Fonds in einer Branche stärker investiert, als er es über die vergangenen drei Jahre war, ist das Feld grün unterlegt. Die Farbe Rot signalisiert, dass ein Fonds heute in geringerem Umfang in einer Branche unterwegs ist als im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre. Bewegt sich ein Fonds im Einklang mit seinem historischen Allokationsdurchschnitt, ist das betreffende Feld gelb unterlegt.
Ein 6:2-Kantersieg für die Zyklik
Kommen wir nun zur Auswertung. Wie aus der Tabelle hervorgeht, sind die meisten größten europäischen Aktienfonds heute offensiver aufgestellt als in den vergangenen drei Jahren. Damit unterscheiden sie sich nicht von der großen Gesamtheit der Europa-Aktienfonds. 6 der 10 Fonds unserer Auswertung sind heute signifikant stärker in zyklischen Branchen unterwegs, als sie es in den drei Jahren zuvor waren. Zwei Fonds bewegen sich im Einklang mit ihrem historischen Durchschnitt, und zwei Produkte haben zyklische Branchen heute unterdurchschnittlich hoch gewichtet.
Fangen wir mit den beiden Ausnahmen an. Der größte europäische Aktienfonds ist der Fidelity European Growth, der mit heute gut 7 Milliarden Euro für seine Verhältnisse ein fast schon ein bescheidenes Fondsvermögen aufweist (in seiner Hochphase lag das Volumen bei gut 25 Milliarden Euro!).
Scurlock-Nachfolger tut es auf seine Weise
Zählt der neue Manager Matt Siddle, der im Juli 2012 auf Alexander Scurlock folgte, zu den Konjunkturpessimisten, wie man anhand der relativ niedrigen Gewichtung konjunkturabhängiger Aktien im Fidelity-Fonds schlussfolgern könnte? Eher nicht. Das veränderte Allokationsverhalten spiegelt eher die veränderte Anlagestrategie nach dem Managerwechsel wider. Siddle setzt stärker als Scurlock auf günstig bewertete, qualitativ hochwertige Unternehmen, die konstante Gewinne erwirtschaften. Das spricht gegen Zykliker, deren Gewinne stärker mit dem Auf und Ab der Konjunktur schwanken. Weil unsere Analysten die Manager-Historie für zu kurz erachten, weist der Fonds nur ein Morningstar Analyst Rating „Neutral“ auf.
Schwieriger zu fassen ist dagegen der zweite Fonds, der Zykliker untergewichtet. Denn beim Alken European Opportunities Fonds - der Name deutet es schon an - geht Fondsmanager Nicolas Walewski opportunistisch vor. Heute ist der Fonds deutlich anders aufgestellt als noch vor einem Jahr, als Walewski antizyklisch Finanztitel kaufte und dabei auch italienische Banken wie UniCredit auf der Liste hatte. Heute hingegen hat er eine starke Meinung zu Technologieaktien und Telekommunikationsdienstleistern. Dies erklärt das zugleich starke Untergewicht des Alken Opportunities in defensiven Branchen. Der Fonds weist mit einem „Silver“-Rating die zweitbeste Rating-Note im Morningstar Analyst Rating auf.
Im Ergebnis lässt sich die Untergewichtung zyklischer Branchen bei 2 der 10 großen Fonds also weniger auf eine konjunkturpessimistische Sicht, sondern eher auf eine veränderte Investmentstrategie (Fidelity) bzw. eine antizyklische Allokationsentscheidung (Alken) zurückführen.
Was machen die "Offensiven"?
Unter den Europafonds, die zyklische Branchen derzeit gegenüber dem historischen Mittel übergewichtet haben, sticht vor allem der von Tim Stevenson verwaltete Henderson Horizon Pan European Equity ins Auge. Der Fonds verfolgt eine Strategie, die auf Wachstumsunternehmen abhebt, die stetige Gewinner erzielen und moderat bewertet sind. Zyklische Unternehmen sind insofern keine klassischen Kaufkandidaten bei Stevenson.
Dass allerdings auch er durchaus pragmatisch agieren kann, zeigt, dass er im zweiten und dritten Quartal 2012 Finanztitel wie UBS, ING und Royal Bank of Schottland erstmals gekauft hat. Die UBS zählt mit einem Gewicht von gut 2,8% sogar zu der drittgrößten Position im Fonds. Aktuell ist der Henderson-Fonds „Under Review“; zuvor war er mit „Silver“ bewertet. Grund dafür waren indes keine Veränderungen im Investmentprozess – etwa die für Stevenson untypische Wette auf Bankaktien. Der Fonds ist vielmehr deshalb unter Beobachtung, weil der langjährige Co-Manager des Fonds, William Stormont, Henderson verlassen hat und wir die Folgen für das Management des Fonds noch nicht abschätzen können, den Stevenson nunmehr alleine verantwortet.
Makrorisiken zu beachten schließt den Kauf von Eurobanken nicht aus
Stärker als in den Jahren 2010-2012 ist auch der BGF European derzeit stark in konjunkturabhängige Branchen investiert. Das ist insofern bemerkenswert, als makroökonomische Risiken durchaus eine Rolle im Investmentprozess der Fondsmanager Nigel Bolton und Zehrid Osmani spielen (die ansonsten auf Unternehmensgewinne fixiert sind). Dass sie Makrofaktoren in Rechnung stellen, hat sich seit 2008 mehrfach gezeigt: So konnten Bolton und Osmani die Verluste 2008 durch die Übergewichtung defensiver Titel aus den Sektoren Telecom und Gesundheit begrenzen. 2009 wie Anfang 2011 wurden zyklische Werte hochgefahren, was 2009 besser funktionierte als 2011. Nach einer zwischenzeitlichen defensiveren Aufstellung im vergangenen Jahr wurde Ende 2012 das Risiko im Fonds erhöht, etwa indem Futures auf Euro-Bankaktien gekauft wurden.
Allianz Global Investors baut auf zyklischen Konsum
Anders bei der Wahl der Werkzeuge, aber im Ergebnis auch relativ offensiv geht Thomas Winkelmann beim Allianz Europe Equity Growth vor. Dieser Fonds, der traditionell kaum Bankaktien besitzt und seit Dezember 2011 keine Finanzinstitute im Portfolio hat, hat in dieser Hinsicht nichts geändert. Wohl aber sind derzeit zyklische Konsumgüter deutlich gegenüber dem Index gewichtet. Dass der Fonds die Quote defensiver Aktien konstant hält, sollte angesichts der traditionell niedrigen Quote von Versorgern oder Telekommunikationsaktien nicht verwundern, da Winkelmann einen dezidierten Growth-Ansatz fährt, ein Konzept, in dem defensive Branchen ohnehin keine Rolle spielen, wie die Null-Prozent-Gewichtung europäischer Versorger zeigt.
Auch bei den europäischen Megafonds gibt es einen klaren Trend, Wetten auf die konjunkturelle Erholung einzugehen
Fazit: Im Ergebnis steht als Fazit unserer Auswertung der Portfolios der 10 größten Europa-Aktienfonds die Erkenntnis, dass es einen klaren Trend gibt, Wetten auf die konjunkturelle Erholung einzugehen. Besonders interessant ist, dass etliche Fondsmanager, die bisher nicht dafür bekannt waren, zyklische Aktien zu ihren Favoriten zu zählen, eben mit solchen das Risiko in ihren Fonds erhöht haben. Dass die Aktien der UBS, ING und RBS in einem ansonsten an Bankaktien standardmäßig armen Fonds wie dem Henderson Pan European Equity Fund auftauchen und die Manager des BGF European taktische Euro-Banken-Positionen aufbauen, illustriert, dass Fondsmanager die Systemrisiken des „heißen Herbst“ 2011 heute eher als Chancen-Bringer einschätzen.