Kursrutsch beim Goldpreis und kein „Rätsel“ in Sicht

Warum der Absturz des Goldpreises so wenig spektakulär ist wie der Anstieg zuvor.

Ali Masarwah 22.04.2013
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Gold-Fans hatten in den vergangenen Wochen wenig zu lachen. Der Preis des Edelmetalls brach im April regelrecht ein. Von 1.600 US-Dollar pro Feinunze zum Monatsanfang auf 1.350 Dollar am 15. April. Seitdem hat sich der Preis zaghaft wieder auf 1.450 Dollar zubewegt. „Was ist bloß mit dem Goldpreis los?“, lautet seitdem eine oft gestellte Frage in den Medien. Auch von einem „Goldrätsel“ ist die Rede.

Erklärungsversuche für den Einbruch gibt es einige, und sie klingen alle gleichermaßen hilflos. Eine Auswahl: Aufgrund des niedriger als erwarteten Wachstums in China hielten sich die reichen Chinesen mit Käufen zurück; ein möglicher Verkauf der Goldbestände der zypriotischen Zentralbank (der keinesfalls beschlossene Sache ist) sei eine Blaupause für das Vorgehen der anderen schwächelnden Euro-Südstaaten; der stark steigende Goldpreis für japanische Anleger (der Wert der Goldbestände japanischer Anleger ist auf Yen-Basis stark gestiegen) habe etliche bewegt, Gewinne mitzunehmen. Andere Beobachter wiederum bemühen „charttechnische Gründe“. (Die werden immer erfahrungsgemäß dann bemüht, wenn der befragte Kommentator keine fundamentale Begründung für eine Preis- oder Kursbewegung finden kann).

Der Anlass für den Preisrutsch? Keine Ahnung!

Die ehrlichste Antwort dürfte Eugen Weinberg, Rohstoff-Experte bei der Commerzbank, in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung am Sonntag“ geliefert haben: „Wir wissen es nicht“. Tatsächlich gibt es keinen unmittelbaren Anlass, warum an den Warenterminbörsen in den USA und London Rekordvolumina bewegt wurden (alleine an der US-Börse COMEX waren es rund 2.400 Tonnen an den beiden Crash-Tagen in der vergangenen Woche).

Im Endeffekt ist der unmittelbare Anlass für den Kursrutsch beim Goldpreis auch unerheblich. Tatsache ist jedoch, dass es sich nicht um ein „Rätsel“ handelt, sondern eine genauso verständliche Entwicklung darstellt wie der Aufschwung zuvor, der im Herbst bei einem Goldpreis von 1.900 Dollar pro Unze kulminierte. Gold ist eine Krisenwährung. Ein Run auf das Edelmetall findet dann statt, wenn Anleger mit politischen Krisen, Verwerfungen bei Währungen oder einer stark steigenden Inflation rechnen. Die Finanz- und Staatsschuldenkrise, die 2007 ihren Anfang nahm, barg viel Sprengstoff in allen drei Punkten: Das Schicksal der Eurozone und die Solvenz vieler Industriestaaten schien im Herbst 2011 an einem seidenen Faden zu hängen, und die extrem lockere Geldpolitik in der Eurozone, Japan und den USA lieferte den Stoff, aus dem für viele Anleger die Hyperinflation gemacht ist. Diese latente und teilweise aktuelle Angst war das psychologische Moment hinter dem Anstieg des Goldpreises.

Schuldenkrise? Welche Schuldenkrise?

Diese Stimmung hat sich heute merklich gewandelt – und dieser Wandel nahm seinen Ausgang im Sommer 2012, als die Europäische Zentralbank unmissverständlich klarmachte, dass sie die europäische Gemeinschaftswährung mit allen verfügbaren Mitteln erhalten würde. Seitdem ist die Angst aus den Märkten schrittweise gewichen, was sich in den deutlich gestiegenen Aktienkursen und den entsprechend rückläufigen Volatilitäten manifestiert. Und eben auch in einem fallenden Goldpreis.

Wie sehr sich die Gemütslage der Anleger verändert hat, lässt sich am Fall Zypern illustrieren. Vermutlich hätten die sich überschlagenden Nachrichten über den Verlauf der Zypernkrise vor einem Jahr noch massive Goldkäufe verunsicherter Anleger ausgelöst. Heute müssen die Aussichten auf einen Verkauf des (relativ) mickrigen zypriotischen Goldbestands von 14 Tonnen als Grund für den sinkenden Goldpreis herhalten. Wie sehr sich die Zeiten doch ändern!

Insofern kann man mit einiger Sicherheit sagen, dass der Grund für den Preisrückgang bei der Angstwährung recht trivial ist: Wenn Anleger keine Angst vor Verwerfungen haben, verliert Gold seine Funktion als „Versicherung“.

Interessant ist nun, welche Konsequenzen Anleger aus dieser veränderten Lage ziehen. Ist angesichts der recht deutlich gesunkenen „Versicherungsprämie“ Gold jetzt ein Kauf Wert? Oder ist der „Wendepunkt im Goldzyklus“ (u.a. Goldman Sachs) bereits erreicht?

Nun, die Antwort darauf kann – wiederum – keiner geben. Es kommt auf die Weltsicht des Betrachters an. War die Zuspitzung der Eurokrise im Herbst 2011 bereits der Höhe- bzw. Endpunkt der Krise? Oder handelt es sich derzeit nur um eine kurze Verschnaufpause, an die sich eine umfassende Wirtschafts- und Finanzkrise oder gar ein Untergang des Papiergeld-Regimes anschließt?

An diesem Punkt wird es für Anleger kritisch. Denn sie werden von vielen Marktteilnehmern beschallt, die ein Interesse daran haben, dass sich der Goldpreis in die eine oder andere Richtung bewegt. Thorsten Polleit von der Degussa Goldhandel geht etwa von einer fortdauernden Schuldenkrise aus. Der Goldpreis habe nunmehr „seinen Boden gefunden“, Gold wäre heute mithin  bei „1.700 bis 1.800 Dollar je Feinunze richtig bewertet“, so Polleit jüngst im „Deutschen Anleger Fernsehen“.

Gold hat keinerlei intrinsischen Wert. Das gelbe Metall erwirtschaftet keine Gewinne und keinerlei Cashflows und wirft auch keine Dividenden ab

Derartige Meinungsäußerungen, die oft als „Analysen“ verbrämt werden, führen Anleger in die Irre. Denn Gold hat keinerlei intrinsischen Wert. Das gelbe Metall erwirtschaftet keine Gewinne und keinerlei Cashflows und wirft auch keine Dividenden ab, wie es bei Aktien der Fall ist. Gold bringt auch keine laufenden Zinszahlungen wie bei Anleihen.

In der Theorie heißt es, dass der Wert einer Aktie bzw. eines Unternehmens der Summe der künftigen Cashflows entspricht. Da das bei Gold nicht der Fall ist, wird deutlich, dass es sich um ein pures Spekulationsobjekt handelt: Gold ist das Wert, was jemand bereit ist, dafür zu zahlen. Insofern sollten Sie hellhörig werden, wenn jemand sein persönliches Preisziel für Gold als „fairen Wert“ verbrämt. Es gibt keinen fairen Preis für Gold, weil dieser schlicht nicht zu ermitteln ist! (lesen Sie mehr zur Frage, welchen Nutzen Gold Anlegern stiften kann hier).

Wenn Kaufen, dann eher bei 1.400 als bei 1.900 Dollar pro Unze!

Insofern bleibt das vermutlich für viele unbefriedigende Fazit: Ob Sie jetzt Gold kaufen, verkaufen, oder halten sollten, hängt ausschließlich von Ihrer Einschätzung der Großwetterlage ab. Brauchen Sie eine Versicherung gegen Krisen im Depot? Wenn Sie der Meinung sind, dass ein wenig Gold nicht schaden kann, dann ist heute, bei einem Preis von rund 1.400 Dollar pro Unze mit Sicherheit eine bessere Kaufgelegenheit, als in der Zeit, in der der Preis noch bei 1.900 Dollar lag!

Zwei Beispiele aus der Vermögensverwaltung illustrieren, dass sich auch die Profis uneins sind: Während der Kölner Fondsmanager Flossbach von Storch in seinen Fonds den Goldanteil unverändert hoch hält – der Flossbach von Storch Multiple Opportunities weist eine Quote von 13,5% an physischem Gold auf -, hat die DJE Kapital AG die Goldquote in ihren Fonds auf 3-5% mit Blick auf die aufgehellte Großwetterlage an den Aktienmärkten gesenkt.

Eine derzeit oft übersehene Tatsache vermag vielleicht die Aufgeregtheit aus der Debatte um Gold nehmen. Der Goldpreis verhält sich derzeit so, wie man es erwarten sollte: Er weist unverändert eine negative bzw. niedrige Korrelation zum Aktienmarkt auf, wie aus den beiden Grafiken unten hervorgeht. Insofern können Anleger auf die nervöse Frage: „Was ist blos mit dem Goldpreis los?“ gelassen antworten: „nichts, warum?“.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich