Als die Finanztheorie das Alpha abschaffte

Am Anfang waren der aktive Fonds und das Alpha. Das reichte irgendwann nicht mehr, und die Fondsindustrie erschuf ETFs. Doch mit einfachem Beta war es nicht getan. Heute ist die Zeit der Zwitterprodukte. Doch wo hört Beta auf und wo fängt Alpha an?

Facebook Twitter LinkedIn

Auf der Suche nach neuen Produkten hat sich die Investmentindustrie schon immer von ihrer kreativen Seite gezeigt. Bis vor zehn Jahren war die Investmentwelt noch einfach: Es gab die aktiven Fonds. Dann gesellten sich ETFs hinzu. In jüngster Vergangenheit haben neue Entwicklungen dazu beigetragen, dass sich einige Investmentansätze gegenseitig kannibalisieren. Mit einfachem Beta ist es heute nicht mehr getan, immer mehr passive Fondsvehikel geben sich einen aktiven Anstrich. Die Verwirrung ist komplett. Wir haben nachgeschaut, wo das Alpha geblieben ist.

Ein kleiner Geschichtsunterricht

Der ETF-Anbieter State Street hat Anfang dieses Jahres „20 Jahre ETFs“ gefeiert. Das klingt nach viel, ist aber eigentlich nur ein kurzer Moment in der Geschichte des Investmentfonds. Der erste Investmentfonds, Eendracht Maakt Magt, wurde bereits 1774 von Abraham van Ketwich aufgelegt. Bereits damals wurde das Thema Risikostreuung groß geschrieben. Der Fonds bestand aus ca. 2.000 Aktien weltweit und wies einen Aufgabeaufschlag von 0,5% und eine Managementgebühr von 0,2% auf. (Ein wahrer Traum!)

Bereits zwei Jahre später kam vom selben Manager der zweite Fonds, Voordelig en Vorsigtig, auf den Markt. In Deutschland hat es hingegen etwas gedauert bis der erste Aktienfonds, Fondak, Ende 1950 aufgelegt wurde – lag wahrscheinlich an der Bürokratie. Es gibt jedoch Vermutungen, dass es hierzulande bereits früher einen Investmentfonds gab, jedoch wurden viele Dokumente im zweiten Weltkrieg vernichtet, die eine eindeutige Existenz belegen könnten.

Mit dem starken ETF-Wachstum in den letzten Jahren hat sich die Investment-Industrie jedoch stark verändert. Mittlerweile gibt es in Europe knapp 1.400 ETFs zur Auswahl; mit mehreren Folgen. Zum einen können selbst Privatinvestoren nun in die kleinsten Nischenmärkte, Regionen oder Länder mit einem Mausklick investieren. Zum anderen gibt es bei den Plain-Vanilla-Strategien, die Märkte basierend auf der Marktkapitalisierung abbilden, kaum bis gar keine Wachstumsmöglichkeiten mehr für die Investmentfirmen.

Dies hält ETF-Anbieter jedoch nicht davon ab, kreative Lösungsansätze zu entwickeln. Die Folgen sind eine Flut von alternativen Beta-Strategien, im Marketing-Mund auch als Smart-Beta deklariert.  Diese neuen Anlagekonzepte machen jedoch eine strikte Trennung zwischen aktiven und passiven Management immer schwieriger. Auch bei den Analysten von Morningstar ist die klare Abtrennung ein Dauerthema.

Das Alpha fällt der Kapitalmarkttheorie zum Opfer

Alpha wird allgemein als die Rendite definiert, die von einem aktiven Manager generiert wird. Statistisch gesehen ist es die Rendite, die nicht durch bekannte Risikofaktoren erklärt werden kann. Beta wird hingegen als die (passive) Rendite des Marktes definiert. Statistisch gesehen ist es die Rendite, die sich von mindestens einem bekannten Risikofaktor ableiten lässt. Diese Definition bedeutet jedoch auch, dass sich Alpha im Laufe der Zeit in Beta verwandelt, sobald neue Risikofaktoren bekannt werden.

Die folgende Graphik illustriert, wie sich Teile des Alpha im Laufe der Zeit durch neue Erkenntnisse in der Kapitalmarkttheorie in Beta verwandelt haben.

Bevor es Aktienindizes gab musste jeder Investor, der einem Broker oder Fondsmanager sein Geld anvertraute, jede Rendite, die über der risikofreien Rendite lag, dem Alpha zuordnen. Im Laufe der Zeit kristiallisierte sich jedoch heraus, dass der Erfolg des Portfolios eng mit dem Gesamtmarkt korreliert. In Bullenmärkten gewannen die meisten Portfolios an Wert, während sie in Bärenmärkten gemeinsam mit dem Markt fielen.

Mit der Einführung von Aktienindizes, wie dem S&P 500 Index oder dem DAX, konnten Investoren die Performance der Portfoliomanager besser einschätzen. Es wurde Anlegern also ermöglicht, die Portfoliorendite in Alpha und Beta aufzuschlüsseln. Einige Manager konnten jedoch weiterhin kontinuierlich den Aktienmarkt schlagen, und es dauerte nicht lange bis Investoren dahinter kamen, dass diese Manager zusätzliche Strategien verfolgten. So gewichteten einige Manager Nebenwerte über, während andere Substanzwerte kauften.

Aus dieser Erkenntnis haben Eugene Fama und Kenneth French das weltweit bekannte Fama-French-Drei-Faktor-Model entwickelt, das die Portfoliorendite um drei Risikofaktoren – Marktrisiko, Nebenwerte und Substanzwerte – anpasst. Die Rendite, die nicht durch das Model erklärt werden kann, wird dem Alpha zugeordnet. Das Model wurde später von Mark Carhart um den Momentum-Faktor zum Carhart-Vier-Faktor-Model erweitert. Damit kam heraus, dass REITS einen hohen Momentumfaktor aufweisen, der vorher dem Manager als Alpha zugeschrieben wurde. Diese Risikoprämie wird nun als Beta deklariert.

Diese Erkenntnis hat also das Alpha der Portfoliomanager in Beta verwandelt. Wenn Investoren also günstig in den MDAX investieren können, fällt es den Portfoliomanagern schwer, die hohen Gebühren für einen Deutschlandfonds zu gerechtfertigten, der Nebenwerte übergewichtet, um einen Mehrertrag zu erzielen.

Mittlerweile gibt es auch Indizes auf Anleihen, Rohstoffe oder Immobilien, die auch für diese Anlageklassen ein Marktbeta zur Verfügung stellen, gegen welches sich Portfoliomanager messen lassen können (bzw. müssen!).

Durch die immer neuen Erkenntnisse der Kapitalmarkttheorie können nunmehr Renditen, die unkorreliert zu bis dato bekannten Risikofaktoren waren, im Laufe der Zeit durch statistische Modelle erklärt und als Beta definiert werden. Es wird für aktive Fondsmanager also immer schwieriger, wirklichen Mehrwert zu schaffen, der nicht durch Risikoprämien zustande kommt!

Smart Beta oder doch nur ein alternatives Beta?

Die Evolution der Kapitalmarkttheorie hat also sukzessive das Alpha zum Beta umdeklariert. Im gleichen Schritt versuchen nun ETF-Anbieter, ihr Beta neu zu definieren, um Investoren „das Beste aus beiden Welten“ anzudienen. Die Trennung von Alpha und Beta wird für Anleger immer schwieriger, und es stellt sich die Frage, wo Beta aufhört und Alpha anfängt. 

Die Marketingabteilungen der ETF-Anbieter haben das Zwitterprodukt „Smart-Beta“ auf den Markt gebracht und wecken damit den Anschein, dass diese Produkte intelligenter sind als der Markt. Mir stößt der Begriff „Smart Beta“ sauer auf, da der Versuch, intelligenter zu sein als der Markt, den einen oder anderen schon um den Schlaf gebracht bzw. viel Geld gekostet hat. Passender sind meines Erachtens Begriffe wie „alternativ Beta“ oder „engineered Beta“. Für heute lasse ich aber der Einfachheithalber die Marketing-Brille auf und nehme einfach eine Rennie-Tablette für den Magen!

Im Gegensatz zu Alpha-Strategien können wir bei Beta-Strategien 100% der Rendite anhand der Risikofaktoren erklären. Eine rein quantitative Beta-Strategie kann also nie zur Alpha-Strategie mutieren. Hierzu müssten wir eine quantitative Strategie aufsetzen, die ihre Rendite durch unbekannte Risikofaktoren erzielt. Ein Ding der Unmöglichkeit!

Wendet man diese Definition an, sind zum Beispiel die zahlreichen Minimum Varianz-Strategien eindeutig Betas; es , handelt sich um rein quantitative Modelle, bei dem alle Risikofaktoren bekannt sind. Es gibt aber auch ETFs, die ihren Ursprung in aktiven Fonds haben. 

Ist Smart Beta also nur eine Beta-Strategie?

Wir haben nun etwas Licht in den Unterschied zwischen Alpha und Beta gebracht. Der Unterschied zwischen Smart-Beta und reinen Beta-Strategien ist aber bis jetzt im Dunkeln verborgen.

Bieten Smart-Beta-Strategien ein alternatives Beta an oder sind sie einfach nur ein Marketing-Gag, bei dem Investoren ein Markt-Beta bekommen? Das ist schon fast eine philosophische Frage, auf die es wahrscheinlich keine klare Antwort geben wird. Zunächst muss Beta definiert werden, also der Markt des Investors. Streng genommen müsste jede Beta-Strategie, die von unserem definierten Markt abweicht, eine Smart-Beta-Strategie sein, da sie ein alternatives Beta anbietet.  

Nehmen wir einen Deutschen Anleger als Beispiel und definieren den DAX als Referenzmarkt. Basierend auf unserer vorhergehenden Diskussion repräsentiert der DivDAX eine Smart-Beta-Strategie, obwohl dieser Index lediglich aus DAX-Unternehmen besteht. Ist diese Strategie also „Smart“? Nicht wirklich. Diese Strategie bietet eher ein alternatives Beta an. Würden sie aber den EURO STOXX 50 Index auch als alternative Beta-Strategie bezeichnen? Eher nicht, obwohl der Index nicht mit unserem Marktbeta übereinstimmt.

Wo fängt also Smart-Beta oder alternatives Beta an? Wenn man nach dem größten gemeinsamen Nenner der ETF-Industrie sucht, dann handelt es sich bei Smart-Beta-Strategien um Ansätze, die den Markt neu gewichten oder zusätzliche Auswahlkriterien benutzen. Beispiele hierzu sind Dividenden-Indizes, Minium-Varianz-Strategien oder RAFI-Indizes.

In unserem Artikel „Minimum Varianz erfordert maximale Sorgfalt“ haben wir uns die Minimum Varianz-Strategie, eine als Smart Beta beworbene Strategie, etwas genauer angeschaut. Bei den analysierten Strategien handelt es sich um den S&P 500 Index, der anhand der Volatilität bzw. des Minimum-Varianz-Ansatzes neu gewichtet wird. Aber es gibt auch andere Ansätze, wie den Source Man GLG Europe Plus ETF, bei dem eine Hedgefonds-Strategie von Man GLG in einen ETF gepackt wurde. Die Strategie basiert hauptsächlich auf einem quantitativen Model, hat aber zudem qualitative Aspekte und liefert daher Risikofaktoren, die nicht durch ein statistisches Model erklärt werden können.

Obwohl es sich also bei diesem Produkt um einen ETF handelt, kann man Argumente dafür finden, dass es sich um eine Alpha-Strategie handelt und nicht um eine reine Beta- oder Smart-Beta-Strategie. Anders ausgedrückt: ETF-Anbieter haben existierende Fondsstrategien, die Alpha bringen können, in einen ETF gepackt; es ist nicht alles Marketing. Ob diese Ansätze erfolgreich sind, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Das wird die Zeit zeigen. Über den Rest können getrost die Philosophen streiten - jedenfalls so lange, bis die nächste Risikoprämie durch die Finanzwissenschaft entdeckt wird.

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Gordon Rose, CIIA, CAIA,

Gordon Rose, CIIA, CAIA,  war von 2011 bis 2014 Fondsanalyst bei Morningstar.