Herr Mobius, starten wir das Gespräch mit einer Steilvorlage für einen Emerging-Markets-Fondsmanager: Das Wirtschaftswachstum der Industrieländer ist anämisch, werden die Emerging-Marktes die Weltwirtschaft und ultimativ auch die Anlegerrenditen retten?
(lacht) Sie werden jetzt von meiner Antwort nicht überrascht sein: Die Schwellenländer nehmen heute in der Tat die Rolle des Wachstumsmotors der Weltwirtschaft ein. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Das reale Wachstum wird sich in diesem Jahr bei etwa 5% einpendeln, verglichen mit 1% in den Industrienationen. Diese Differenz ist beeindruckend und hat wichtige Implikationen – nicht nur für die Zukunft. Schon heute sind Emerging Markets eine entscheidende Wachstumsquelle für globale Konzerne. Die Gewinne von Unternehmen wie Colgate oder Avon hängen überwiegend an den Emerging Markets. Der Autohersteller BMW erwirtschaftet heute bereits zwischen 20 und 30% seines Gewinns alleine in China. Aber ich verstehe, worauf Sie hinauswollen: Nein, natürlich können die Schwellenländer nicht alle Probleme der Weltwirtschaft lösen, dafür sind die Probleme der Eurozone, Japans oder der USA zu groß.
Wohl und Wehe der Exportwirtschaft vieler Industrieländer hängt vom Wachstum Chinas ab. Ist die chinesische Erfolgsstory intakt?
Oh ja, absolut, und sie wird noch eine ganze Weile intakt bleiben. Die chinesische Führung braucht das Wachstum, um die Erwartungen der Bevölkerung, ihre Konsumwünsche zu erfüllen. Und die Wachstumsrate der Wirtschaft ist mit sieben, acht% doch sehr beachtlich!
Die chinesische Führung braucht das Wachstum, um die Erwartungen der Bevölkerung, ihre Konsumwünsche zu erfüllen.
Auch wenn das Wachstum im Wesentlichen Staatsinduziert ist?
Klar.
Ist das nicht paradox? Wie schätzen Sie die Qualität des chinesischen Wachstums ein?
China wächst, weil es die Führung in Beijing so will. Die Liberalisierung der Wirtschaft findet auf dem Hintergrund des kommunistischen Machtanspruchs statt. Die Strategie der chinesischen Führung sieht vor, die meisten Wirtschaftssektoren zu kontrollieren, Energie, Industrie, Strom, Bergwerke und so weiter. Das bringt natürlich Probleme wie Korruption, bürokratische Auswüchse und Ineffizienz mit sich. Aber es hat ein Wandel eingesetzt. Die Probleme wurden erkannt, und man ist gewillt, bei Staatsbetrieben umzusteuern, nach dem Motto: staatliche Kontrolle, ja, aber gleichzeitig eine marktwirtschaftliche Organisation.
Aber wirklich effizient ist das System doch nicht. Die hohen Leerstände bei Immobilien zeugen von einer Fehlallokation von Ressourcen. Und wenn das Wachstum in einem Jahr schwächelt, dann werden eben 20 neue Brücken gebaut.
Nicht alles, was gebaut wird, macht unbedingt Sinn. Aber diesem Phänomen begegnet man nicht nur in China. Japan ist in der Hinsicht absolut vergleichbar, auch da finden Sie schier endlose Brücken, auf denen kaum ein Auto unterwegs ist. Aber eines ist klar: In China ist - bei aller zentralistischen Planung - auch Bedarf im Spiel! Das ist der große Unterschied zu Japan. Beobachter Chinas wundern sich oft darüber, dass mitten im Niemandsland plötzlich eine Brücke entsteht. Aber wenige Jahre später wird aus einer Geisterlandschaft mit Brücke eine Großstadt. Es gibt Bedarf nach Brücken, Häusern, Straßen, was sich auch daran ablesen lässt, dass die Immobilienpreise in China nach wie vor steigen.
Sie sehen also keine Immobilienblase?
Von einer Blase würde ich dann sprechen, wenn hohen Kapazitäten nicht genug Nachfrage gegenüberstünde. Das sehe ich nicht.
Kommen wir zu Emerging Markets als Anlageregion. Sie erwähnten eben Firmen wie BMW, Colgate oder Heineken als Profiteure des Emerging-Markets-Wachstums. Warum muss man dann überhaupt Aktien aus den Schwellenländern kaufen? Die hinken in den letzten Jahren selbst den Aktien des maroden Eurolands hinterher …
Ja, das ist ein scheinbares Rätsel. Warum laufen die Börsen in den Schwellenländern nicht, wenn die Länder so stark wachsen? Nun, die Antwort ist vielschichtig. Zum einen verlaufen die Börsenentwicklung und das Wirtschaftswachstum nicht synchron. Das ist weder in den USA noch in den Schwellenländern so. Die Börsen folgen im Großen und Ganzen zwar der Wirtschaft, aber kurzfristig müssen beide nicht zwangsläufig miteinander korreliert sein. Es gibt aber auch spezielle Gründe für die schwache Performance von Schwellenländer-Aktien. Es gab in den vergangenen Jahren extrem viele Börsengänge – alleine 2010 wurden Unternehmensanteile im Wert von 500 Milliarden Dollar auf den Markt gebracht, in diesem Jahr werden es 300 Milliarden Dollar an IPOs sein. Das bindet viel Liquidität und kann die Kurse unter Druck setzen. Aber das ist nur ein temporäres Problem. Langfristig ist die Bilanz gut: In den vergangenen 12 Jahren gab es nur 3 Perioden, in denen die Emerging Markets schlechter gelaufen sind als US-Aktien. Und die Masse der neuen Unternehmen bedeutet für uns, dass die Opportunitäten immer zahlreicher werden!
Angesichts dieser Flut an Neuemissionen stellt sich die Frage, was von der Masse Substanz darstellt und was nur heiße Luft ist.
Oh, da ist da wirklich oft viel heiße Luft im Spiel. Eine Anekdote dazu: Was machen chinesische Unternehmen, die auf dem Festland keine Börsenzulassung bekommen und auch in Hongkong abblitzen? Ganz einfach, Sie gehen in die USA, bekommen das Listing, und dann ist die Katastrophe für den westlichen Anleger vorprogrammiert! (lacht). Das ist natürlich übertrieben, aber doch nicht ganz aus der Luft gegriffen: Wir haben es mal durchgespielt: Was wäre herausgekommen, wenn man alle Neuemissionen in den Emerging Markets des vergangenen Jahres gezeichnet hätte? Wir sind auf eine Rendite von 3% gekommen. Das ist kein besonders gutes Ergebnis. Das zeigt, wie viel Müll auf den Markt gespült wird.
Es ist ja auch verlockend für die Unternehmen dort: Die Emerging-Markets-Story ist bei Investoren in Europa und den USA in aller Munde, und egal, was kommt: IPOs werden gezeichnet…
Ja, viele Unternehmen sind nicht wirklich fit für die Börse, nutzen aber die aktuelle Hype aus, um ausländische Investoren ins Boot zu holen. Börsengänge sind ein sehr guter nachlaufender Indikator. Die Aktien-Performance war 2009 hervorragend, danach folgte die bereits erwähnte Flut an Neuemissionen. Seit 2011 sehen wir die Underperformance von Schwellenländer-Aktien, weil die ganzen IPOs nach wie vor die Performance verwässern. Aber, wie gesagt, ich sehe das gelassen. Zum einen wird sich die Lage an den Märkten beruhigen, zum anderen profitieren wir als Investoren von der gestiegenen Auswahl an Unternehmen.
Viele Unternehmen sind nicht wirklich fit für die Börse, nutzen aber die aktuelle Emerging-Markets-Hype aus, um ausländische Investoren ins Boot zu holen.
Was glauben Sie, wie lange die Underperfomance gegenüber den Industrieländern weitergehen wird?
Höchstens ein Jahr.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Angesichts der fundamental guten Wachstumsdaten und aufgrund des Nachholeffekts dürfte die Wende noch in diesem Jahr anstehen. In den vergangenen 2,5 Jahren hatten die Industrieländer ihren Lauf, in den nächsten 12 Monaten werden die Emerging Markets anfangen, outzuperformen.
Wir sprachen eben ausführlich über die wirtschaftliche Lage Chinas. Wo werden Sie mit Blick auf China-Aktien fündig?
Leider ist es nicht so einfach, die chinesische Wachstumsstory auch über chinesische Aktien einzufangen. Viele Konsumtitel sind nicht börsengelistet und selbst wenn das der Fall ist, dann sind sie oft sehr teuer und für uns nicht attraktiv. Die besten chinesischen Unternehmen finden Sie immer noch unter den in Hongkong gelisteten Firmen. Insofern setzen wir vor allem auf so genannte H-Shares und den Red Chips (H-Shares sind Aktien vom chinesischen Festland, die in Hongkong gelistet sind, Unternehmen aus dem Red Chips-Segment haben ihren Sitz außerhalb Festland-Chinas und sind in Hongkong gelistet, Anm. von Morningstar). Allerdings ist die Auswahl hier begrenzt. Bei A-Aktien ist die Auswahl zwar größer, aber die meisten unserer Fonds haben keine staatliche Erlaubnis, A-Aktien zu kaufen. Außerdem ist die an ausländische Investoren zugeteilte Quote an A-Shares sehr niedrig. Unsere Emerging-Markets-Aktienfonds sind 45 Milliarden Dollar schwer. Die Erlaubnis, A-Shares in der Größenordnung von 100, 200 Millionen Dollar zu kaufen, wäre für uns nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Was macht ein Emerging-Markets-Unternehmen eigentlich aus? Sie erwähnten eben, dass BMW oder Avon sehr stark am Schwellenländergeschäft hängen. Sind das nicht faktisch Emerging-Markets-Titel?
Das ist ein guter Punkt. Wir definieren eine Aktie danach, wo ein Unternehmen seinen Geschäftsschwerpunkt hat. Demnach ist BMW kein Emerging-Markets-Unternehmen, Oriflame aus Schweden, Avon oder Heineken dagegen schon.
Wir definieren eine Aktie danach, wo ein Unternehmen seinen Geschäftsschwerpunkt hat.
Die klassische Sichtweise, wonach der Ort des Börsen-Listings über den Status eines Unternehmens bzw. der Aktie entscheidet, halte ich nicht für sinnvoll. Wie widersinnig eine Kategorisierung nach Listing-Ort ist, zeigt auch die Tatsache, dass einige Schwellenländer keine funktionierenden Kapitalmärkte haben. Die Aktien dieser Unternehmen sind deshalb in London oder anderswo in den Industrienationen notiert. Stark wachsende afrikanische Rohstoffunternehmen gehen oft ins Ausland, um größere Investorenkreise zu erschließen. Die Börse im kanadischen Vancouver spiegelt beispielsweise den afrikanischen Rohstoffmarkt wider - da tummeln sich Unternehmen aus Tanzania, Zambia und anderen afrikanischen Ländern.
Der klassische Emerging Markets Index von MSCI setzt sich zu knapp 20 Prozent aus chinesischen Aktien zusammen, Südkorea macht 15% aus, Brasilien und Taiwan je rund 12%, danach folgen Indien, Südkorea, Russland und Mexiko mit jeweils etwa 5%. Wie würde das perfekte Emerging-Markets-Portfolio von Mark Mobius aussehen?
Nun, ich würde China, Hongkong, Thailand, Indonesien, Russland und Brasilien mit je 10% gewichten, dann wären die Türkei, Singapur, Malaysia mit je 5% gewichtet, und dann würde ich etwa 10% in die Frontiermärkte Afrikas und Asiens investieren.
Das ist ziemlich weit weg vom Index. Und die so genannten Frontiermärkte scheinen dabei hoch im Kurs zu sein.
Ja, und Afrika ist dabei der hot spot! Von den 10 am stärksten wachsenden Ländern weltweit sind 9 Schwellenländer und unter ihnen befinden sich 6 Afrikaner. Natürlich ist die Ausgangsbasis bzw. der Grad der Entwicklung in Afrika niedrig. Aber das die Voraussetzung für das rasante Wachstum. Interessanterweise sind es vor allem andere Schwellenländer, die Afrika entdeckt haben, vor allem China, Brasilien und Indien sind ganz vorne dabei. Es geht dabei viel um Rohstoffe, aber es findet zugleich viel Technologietransfer statt.
Wer profitiert von diesen Auslandsinvestitionen?
Die Karten sind da einigermaßen verteilt. Indien ist auf die Telekom-Branche konzentriert, China ist bei Infrastruktur-Investments ganz vorn. Wer Rohstoffe baucht, muss zunächst Straßen bauen. Die Chinesen machen das so. Aber diese Investments helfen auch den Zielländern. Der Wohlstand nimmt zu, und irgendwann werden in vielen Ländern die Afrikaner zu Konsumenten, so, wie es in Asien bereits der Fall ist.
Das ist die Frage. Bei Frontier-Märkten handelt es sich um Staaten, die noch keine stabile Entwicklung zeigen. Einige Länder könnten es schaffen, die asiatische Wachstumsstory zu erreichen, aber viele andere werden es nicht. Wissen Anleger, die sich in Frontier-Märkten engagieren, worauf sie sich einlassen?
Nicht immer. Die erste Frage, die ich oft zu unserem Frontier-Fonds höre ist: Welches ist das größte Land in Ihrem Fonds? Die Antwort lautet Nigeria. Wow, heißt es dann oft, wir haben schon viel Schlechtes über Nigeria gehört. Dann kommt die nächste Frage: Was ist der Größte Sektor? Banken! Banken? Ich habe doch neulich eine Email von diesem Nigerianer bekommen, der behauptete, mir einen Zugang zu einem Bankkonto mit fünf Millionen Dollar verschaffen zu können! Und so weiter und so fort. Einerseits wissen Anleger nicht viel über Afrika, aber Sie wissen, dass sie ein hohes Risiko eingehen müssen.
Müssen sie das wirklich?
Sie meinen es zu müssen. Wir beobachten, dass viele US-Anleger, private wie institutionelle, einen sehr speziellen Ansatz wählen. Auch wenn die Börsen in den letzten Jahren sehr gut gelaufen sind, überwiegt bei vielen die Vorsicht. Das meiste Geld stecken Anleger in Staatsanleihen. Das sehen sie als sicher an. Mit den restlichen 10% wollen sie die mickrigen Anleiherenditen kompensieren. Dieses Geld allokieren sie in sehr riskante Märkte, wo der potenzielle Gewinn sehr hoch ist. Davon profitieren die Frontiermärkte. Bei uns ist das in Frontiermärkten verwaltete Fondsvermögen in den vergangenen vier Jahren von 10 Millionen auf vier Milliarden Dollar gestiegen.
Mit sehr volatilen Produkten ist Anlegern aber oft nicht gut gedient. Wer 50% verliert, muss 100% gewinnen, um auf den Ausgangspunkt zu kommen. Breit zu diversifizieren über viele Emerging Markets, dürfte für viele Anleger eine bessere Lösung sein.
Natürlich wäre es sinnvoller, nicht eine derartige Extremstrategie zu verfolgen. Ich rate jedem Anleger, nicht in Treasuries und andere vermeintlich sichere Staatsanleihen zu investieren. Legen Sie nicht 10%, sondern 35% Ihres Aktienvermögens in Emerging Markets an! Denn das entspricht dem Anteil der Marktkapitalisierung der Schwellenländer an den globalen Aktienmärkten. Ich rate Anlegern auch, ihre Aktienquote nicht nur mit Nigeria zu belegen, sondern breit zu streuen und in China, Hongkong, Russland, die Türkei und in anderen Ländern zu investieren, Ländern also, denen es gut geht. Gemischte Portfolios zu bauen und auch Emerging Markets Bonds, gerne auch Unternehmensanleihen, zu kaufen, wäre auch sehr empfehlenswert, da hier höhere Zinsen winken, die die Inflation ausgleichen. Aber leider gehen nicht viele Anleger so vor. Das hängt, wie gesagt, viel mit Risikoaversion zusammen. Bei Institutionen sind die Portfolios außerdem oft auch aus regulatorischen Gründen sehr konservativ gestaltet.