Herr Saint-Georges: Die überragenden Investment-Themen Ihres Hauses waren in der Vergangenheit Schwellenländer und Rohstoffe. Entsprechend waren die Flaggschiffe Carmignac Patrimoine und Carmignac Investissement ausgerichtet. Für die Eurozone waren Sie lange pessimistisch gestimmt, und Euro-Aktien in Ihren Fonds deutlich untergewichtet. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Sie haben Eurozonen-Aktien gekauft, Rohstoffe, einschließlich Gold, komplett verkauft und Schwellenländer-Aktien reduziert. Was ist passiert?
Nun, ja, auch wenn Ihre Beobachtung im Großen und Ganzen zutrifft, müssen Sie zunächst berücksichtigen, dass wir keine Emerging-Markets-Investoren sind. Wir waren zwar seit Auflage unserer Fonds in den Emerging Markets engagiert, aber in erster Linie sind wir global ausgerichtete Investoren, die ihre Portfolios stark diversifizieren. Ich kann mich erinnern, dass im Jahr 2008 viele Beobachter wegen des hohen Emerging-Markets-Anteils in unseren Fonds mit einem Absturz gerechnet haben. Tatsächlich hat aber der Carmignac Patrimoine nichts verloren! Spätestens an dem Punkt sollten viele gemerkt haben, dass es bei uns nicht nur um Emerging Markets geht.
Das mag sein, aber Sie haben das Wachstum in den Emerging Markets stets als säkularen Trend hervorgehoben…
Sie haben Recht, wir haben etliche wichtigen Veränderungen in den vergangenen Monaten vorgenommen. Ob Brasilien, Indien oder China: Wir sehen heute überall eine deutliche Verlangsamung des Wachstums in den Emerging Markets, weil die Weltwirtschaft schwächelt. Faktisch müssen sich diese Länder heute neu erfinden, sie brauchen ein neues, tragfähiges Geschäftsmodell. Es ist nicht länger möglich, das Wachstum mit Exporten und Investitionen in die Infrastruktur zu befeuern. Das gilt vor allem für China. Die Führung in Beijing steht vor der Herausforderung, den Übergang von einer exportorientierten zu einer Konsumgesellschaft zu managen.
Dann bleibt eigentlich nur noch eine Wachstumsquelle…
Exakt, die Schwellenländer müssen mehr konsumieren. Je mehr sich das globale Wachstum verlangsamt, desto mehr müssen sich die Schwellenländer auf diesen Wachstumstreiber konzentrieren. Investoren müssen zwei Sachen akzeptieren: Egal, wie sich der Übergang der Schwellenländerökonomien gestalten wird, die Nachfrage nach Rohstoffen wird in Zukunft deutlich zurückgehen. Man kann nun einmal nicht realistisch sein und eine Phase mit niedrigerem Wachstum sehen und zugleich erwarten, dass die Nachfrage nach Rohstoffen ungebrochen sein wird! Die logische Konsequenz dieser Überlegung war, die Gewichtung bei Rohstoffen und Emerging Markets in allen unseren Fonds zu senken. Der zweite Trend: Globale Konzerne aus den Industrieländern werden vom globalen Konsumtrend profitieren. Die haben wir gekauft.
Also haben Sie auf die Nestlés, Avons und Colgates dieser Welt gesetzt.
Sie finden heute deutlich mehr europäische und US-Aktien in unseren Fonds. Das ist nicht der Ausdruck davon, dass wir positiv für diese Regionen gestimmt sind, sondern es spiegelt unsere indirekte Positionierung in den Emerging Markets wider.
Sind Sie wirklich so sehr überzeugt vom sanften Übergang, den Sie eben geschildert haben? Die Frage ist, ob China nicht doch eine harte Landung bevorsteht.
Wir gehen nicht von einer harten Landung aus, schließlich werden die staatlichen Investitionen dort nicht von heute auf morgen gestoppt. Auf dem chinesischen Immobiliensektor besteht nach wie vor Nachfrage. Das ist die gute Nachricht. Aber es gibt tatsächlich auch beunruhigende Signale. Seit dem vergangenen Sommer ist klar, dass die Kreditklemme in China ein Ende hat und die Inflation auf dem Rückzug ist. Aber gleichzeitig hat die stärkere Nachfrage nach Krediten nicht zu einem Wachstumsschub geführt. Das Kreditwachstum wird also nicht von einem entsprechenden BIP-Wachstum begleitet.
Wohin fließt das Geld?
Wir sind nicht sicher, aber es dürfte nicht nur im Immobiliensektor landen, wo Bedarf besteht, sondern in eher wachstumsschwache Unternehmen und -projekte gehen. Wir befürchten, dass sich viele Firmen mit Fremdkapital aufblähen, und sollte der Privatsektor gezwungen sein, immer mehr Leverage aufbauen, um immer weniger Wachstum zu erzielen, ist das sehr ungesund. Wir sind deshalb vorsichtiger geworden und setzen heute weniger auf Banken und Versicherungen in den Emerging Markets.
Angesichts Ihrer Diagnose überrascht, dass Sie nicht länger auf Gold setzen. Ich kenne einige deutsche Vermögensverwalter, die davon überzeugt sind, dass Gold als Katastrophen-Hedge nach wie vor sinnvoll ist. Dass Sie lange auf Gold gesetzt haben und dann auf dem Tiefpunkt verkaufen …
Ob der Tiefpunkt wirklich erreicht war, bleibt abzuwarten.
… hinterlässt aber dennoch einen schalen Nachgeschmack …
Wir haben Goldminen verkauft, weil wir zu dem Schluss gekommen sind, dass diese Titel keine Substanzinvestments darstellen. Wir waren zwar schon längere Zeit über die Entwicklung der Minengesellschaften in unseren Fonds frustriert, aber wir mussten schlussendlich einsehen, dass die niedrige Bewertung dieser Aktien nicht eine Opportunität, sondern Ausdruck eines schlechten Kostenmanagements war. Die Unternehmen hatten schlicht die Kosten nicht im Griff. Und dann kam EZB-Chef Mario Draghi ins Spiel …
… mit seinem inzwischen legendären „Whatever it takes“-Kommentar vom Sommer 2012…
Ja, das hat die Risikoperzeption der Märkte grundlegend verändert. Inzwischen sind wir überzeugt, dass das Hauptrisiko für die Weltwirtschaft die Deflation und nicht die Inflation ist. Ein Anzeichen dafür ist der kontinuierliche Rückgang der Kerninflation. Deshalb macht es keinen Sinn, an einem schlechten Gold-Investment festzuhalten. Es ist im heutigen Umfeld schlicht nicht die effizienteste Art, das Kapital der Anleger zu schützen.
Dann stellt sich die Frage, was Ihr Krisen-Hedge ist. Der Idee nach müssten Sie jetzt auf deutsche Staatsanleihen und US-Treasuries setzen.
In unseren Mischfonds tun wir das auf der Bond-Seite. Es sind heute keine an sich attraktiven Investments, aber damit schützen wir unseren Bestand an Unternehmensanleihen vor Liquiditätsengpässen. Auf der Aktien-Seite kaufen wir solide globale Blue Chips.
In einem deflationären Umfeld können Konzerne wie BMW, Pernod Ricard oder Hermes ihre Margen sogar steigern.
Wenn Sie das Deflationsszenario durchspielen, kommen Sie zum Schluss, dass sinkende Preise und gleichzeitig steigende Angebote viele Unternehmen in eine schwierige Situation bringen kann. Profitieren werden dagegen Unternehmen, die in ihrer Branche oder Segment führend sind. Sie haben solide Bilanzen, viel Cash, und vor allem die Marktmacht, ihre Preisvorstellungen auch gegenüber Verbrauchern durchzusetzen, die sinkende Preise erwarten. Und sie können darüber hinaus von den gesunkenen Input-Preisen profitieren. In einem deflationären Umfeld können Konzerne wie BMW, Pernod Ricard oder Hermes ihre Margen sogar steigern.
Dass Sie Eurozonen-Aktien nicht aus einer positiven Einschätzung der wirtschaftlichen Aussichten Europas heraus heute stärker als in den vergangenen Jahren gewichten, ist nicht erstaunlich. Ich hätte allerdings schon vermutet, dass die relative Stärke der USA in Ihren Überlegungen eine Rolle spielt.
Wir unterschätzen die USA nicht, aber wir meinen, dass die Wirtschaft nicht aus dem Schneider ist. Wir sind unsicher, wie tragfähig die Erholung ist. Ich meine, der Aufschwung am US-Arbeitsmarkt wird überschätzt. Dass die Arbeitslosigkeit sinkt, liegt auch daran, dass die Zahl der Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, zurückgeht. Das verfügbare Einkommen der US-Haushalte stagniert bestenfalls, und die Sparquoten sind niedrig. Das lässt uns an einem nachhaltigen, konsumgestützten Comeback zweifeln.
Beim US-Häusermarkt gab es eine markante Erholung …
Die haben wir so nicht kommen sehen. Es macht keinen Sinn, jetzt noch einzusteigen, zumal wir, wie gesagt, nicht restlos von der Tragfähigkeit des Aufschwungs überzeugt sind. Aber es gibt andere, aussichtsreichere Themen. Und über eine Entwicklung haben wir noch gar nicht gesprochen.
Bitte!
Über Japan.
Wo Ihre Fonds über Jahre kaum oder gar nicht vertreten waren.
Wir haben Japan in den vergangenen zehn, 15 Jahren nahezu vollständig ignoriert! Als Shinzo Abe Ende 2012 das Amt des Regierungschefs antrat, haben wir uns entschieden, dort einzusteigen. Die japanische Regierung ist entschlossen, zusammen mit der Bank of Japan, die japanische Wirtschaft aus ihrer 15-jährigen Wachstumsschwäche herauszuführen.
Als Shinzo Abe Ende 2012 das Amt des Regierungschefs antrat, haben wir uns entschieden, in Japan einzusteigen.
Als Aktieninvestoren können wir das nicht ignorieren. Wir haben uns auf die Sektoren konzentriert, die von der neuen Politik profitieren werden. Zum einen – und das ist nicht überraschend – haben wir exportorientierte Unternehmen gekauft, die von der Yen-Schwäche beflügelt werden. Dann setzen wir auf Finanzunternehmen, die vom allgemeinen Wirtschaftsaufschwung profitieren. Und weil ein Teil der Erholung auch auf dem steigenden Konsum basieren wird, haben wir Konsumgüteraktien gekauft. Das sind Unternehmen, die die langjährige Deflation gut überstanden haben. Und schlussendlich haben wir auch in Energie-Versorger, auch Atomstromhersteller, investiert. Wir meinen, dass Japan im Bestreben, unabhängiger von Ölimporten zu werden, wieder auf Atomtechnologie setzen wird.
Ich habe allerdings gesehen, dass - ungeachtet der vielen Themen, die Sie in Japan spielen, - Japan-Aktien im Carmignac Investissement immer noch neutral gegenüber der Benchmark gewichtet sind.
Wenn Sie noch die ein oder zwei Prozent in Japan-Futures hinzuzählen, sind wir leicht übergewichtet. Wir sind binnen kurzem von einer Null-Gewichtung auf eine neutrale Position gekommen. Das dürfte mehr sein als bei den meisten global anlegenden Aktienfonds.
Kommen wir zur aktuellen Marktlage. Seitdem die Aktienmärkte Mitte Mai alte Höchststände erreicht oder sogar überschritten hatten, geht es wieder ruppiger zu an den Märkten. Die Volatilität steigt. Wie beobachten Sie die Situation?
Die Märkte hängen noch immer sehr stark an den Zentralbanken. Was wird Draghi auf seiner nächsten Pressekonferenz sagen? Wie lautet das Statement der FED zu den neuen Job-Zahlen in den USA? Die Wirtschaft kommt nicht voran, und deshalb schauen alle wie gebannt auf die Notenbanken; sie bestimmen heute das Geschick der Märkte – zumindest kurzfristig. Das erklärt die Rückkehr der Volatilität in den vergangenen Wochen und Monaten. Die Volatilität wird uns noch länger begleiten, weil sich an dem großen, eher trüben Makrobild nicht viel ändern wird.
Anleger sollten also nicht zu sehr an den Lippen Ben Bernankes hängen und hektisch auf tagesaktuelle Ereignisse reagieren – weil sich am Großen Ganzen nichts ändert?
Ja, die Unsicherheit wird die Volatilität hochtreiben, auch wenn sich de facto an der Unterstützung der Notenbanken für die Märkte zunächst nichts ändern wird. Die Schwierigkeit für uns als Geldverwalter lautet: Werden wir versuchen, diese Volatilität zu managen?
Ich bin gespannt.
Man muss berücksichtigen, dass Volatilität und Risiko zwei Paar Schuhe sind. Das Risiko zu managen, sollte man nicht mit der Minimierung der Volatilität gleichsetzen. Anleger mögen Volatilität nicht. Das ist verständlich, aber es wäre kontraproduktiv, zu versuchen, die Tagesvolatilität zu minimieren, wenn damit die Treiber der langfristigen Performance aus dem Blick geraten.
Als Anleger müssen Sie heute die Antwort auf eine eigentlich einfache Frage finden: Tolerieren Sie Volatilität oder nicht?
Dass Sie nicht die kurzfristige Volatilität eindämmen möchten, könnte viele Anleger überraschen.
Die langfristige Performance unserer Flaggschiffe beruht darauf, dass wir unsere mittelfristigen Ziele verfolgen und dabei kurzfristige Schwankungen aushalten. Als Anleger müssen in der heutigen Situation die Antwort auf eine eigentlich einfache Frage finden: Tolerieren Sie Volatilität oder nicht?
Sie sind bekannt dafür, dass Sie gegenüber der Marktvolatilität in der Vergangenheit nicht sehr tolerant waren.
Dann ist das eine gute Gelegenheit, um mit einem Mythos aufzuräumen. Wenn wir uns darauf einigen, dass Sie mit Volatilität die Tagesbewegungen meinen, dann waren Fonds wie der Investissement oder auch Patrimoine immer schon recht volatil. Auch wenn es einige überraschen mag: Wir haben uns noch nie um diese Volatilität groß gekümmert. Sie können mit unserer Art von Risikomanagement nicht Tagesbewegungen von zwei, drei oder vier Prozent verhindern. Unser Ziel war es immer, die großen Risiken zu erkennen und das Anlegergeld vor den wirklich großen Korrekturen zu schützen, wie wir sie im Herbst 2008 oder im August 2011 gesehen haben. Diese Ereignisse abzufedern und ein Plus von sechs bis acht Prozent im Jahr auf lange Sicht zu verdienen, das ist das Ziel des Carmignac Patrimoine.
Das hieße, dass Anleger bei Ihren großen Fonds künftig stärkere Schwankungen und damit auch höhere Drawdowns in Kauf nehmen müssen.
Wenn wir das Abwärtsrisiko als substanziell einschätzen, dann handeln wir so, wie wir das immer getan haben. Aber die Tagesvolatilität wird künftig höher sein als in der Vergangenheit, und das wird sich nicht nur in unseren Fonds widerspiegeln. Sie können insofern ausgehen, dass die Sharpe Ratios überall sinken werden. Aber, wie gesagt, wir müssen in der Lage sein, unsere mittelfristigen Ideen durchzusetzen, und das können Sie nicht, wenn Sie sich nur auf die Kontrolle der Tagesvolatilität konzentrieren.
Das Interview führten Barbara Claus und Ali Masarwah