Christoph Bruns ist seit 2005 Partner bei der Oldenburger Investmentfirma Loys AG. Der ehemalige Aktien-Chef von Union Investment gilt als einer der prominentesten und erfolgreichsten Value-Manager im deutschsprachigen Raum. Entsprechend ist sein Fonds heute kein Geheimtipp mehr. Der Loys Global P, der ein Morningstar Analyst Rating Bronze trägt, ist inzwischen rund 560 Millionen Euro schwer. Bruns Ansatz besteht - kurz gefasst - darin, solche Aktien zu kaufen, um welche die meisten anderen Investoren einen großen Bogen machen. Und weil er freimütig bekennt, ein schlechter Market-Timer zu sein, können die günstigen Aktien, die er kauft, durchaus noch günstiger werden, bevor sie - im besten Fall - wieder auf Erholungskurs gebracht werden. Sein Ansatz ist also nichts für schwache Nerven. Im vergangenen Jahr hat Bruns Eo.n und RWE gekauft, und im Interview mit Morningstar erläutert er nun, warum es sich lohnt, in den Schwellenländern auf Einkaufstour zu gehen.
Herr Bruns, die Märkte marschieren seit nunmehr fünf Jahren stramm nach oben, ungeachtet der gelegentlichen Rücksetzer, von denen wir auch in den vergangenen Wochen einen erlebt haben. So richtig glücklich kann ein Value-Investor wie Sie mit der aktuellen Marktlage nicht sein, oder?
Nein, wir sind nicht glücklich über die Bewertungen. Viele Aktien sind viel zu teuer. Die stürmische Marktentwicklung im vergangenen Jahr hat mich in der Form auch überrascht. Wir müssen befürchten, dass ein guter Teil der Hausse auf billiges Geld zurückzuführen ist. Täuschen wir uns nicht: Aktien sind zuletzt nicht gestiegen, weil sich die Geschäftslage die Unternehmen grandios entwickelt hätte. Nicht mit Blick auf die Gewinne und schon gar nicht beim Umsatz. Man achtet heute stärker auf die Marge und den Gewinn und lässt dafür sogar Marktanteile sausen. Die jüngsten Zahlen von Siemens und Apple sind dafür beispielhaft.
Wir sind nicht glücklich über die Bewertungen am Markt. Viele Aktien sind viel zu teuer.
Die Lage hat sich also seit der Finanzkrise nicht geändert. Unternehmen sparen und horten ihre Gewinne als Cash…
Ja, das sind immer noch die Nachwirkungen der Finanzkrise. Aber die Lage hat sich längst entspannt – jetzt müssten die Umsätze der Unternehmen deutlich steigen, aber das sehe ich in vielen Branchen nicht. Die Umsätze sind schwach, die Gewinne bestenfalls stabil. Mehr nicht. Aber warum steigen dann die Märkte? Nun, das Hauptargument für Aktien ist, dass es heute keinen Zins mehr gibt, der wichtigste Wettbewerber der Aktie ist also tot, oder er liegt zumindest im Koma. Die Notenbanken haben entschieden, dass die Zinsen auf lange Sicht niedrig bleiben müssen, weil sich die Staaten sonst nicht finanzieren können. Es gibt heute also keine Alternativen zu Aktien.
Sie halten derzeit im Loys Global eine Cash-Quote von 13%. Ist das der Ausdruck Ihrer Sehnsucht nach einer Konsolidierung?
Ja. Eine Korrektur wäre sehr willkommen. Dann würden wir die Cash-Quote schnell auf etwa 5% senken.
Verfolgt man die Entwicklung Ihres Fonds fällt auf, dass die Performance von 2004 bis 2008 schlechter war als der MSCI Welt. Und 2008 haben Sie sogar zunächst mehr verloren als der Index. 2009 ging es dann vom absoluten Tiefpunkt stark nach oben. Seitdem liegen Sie weit vorn. Wie wichtig war das Jahr 2009 für Sie? Oder, anders gefragt: In Krisen haben Sie Ihre beste Zeit?
2009 war für uns sehr wichtig. Wir sind mit viel Cash in das Jahr 2008 gegangen und haben auf unsere Chance gewartet. Vorher ging alles nur hoch, das war frustrierend. Machen wir uns nichts vor, in steigenden Märkten brauchen Investoren eigentlich keinen Fondsmanager. Wenn alles nur steigt, kann man auch einen ETF kaufen. Das ist banal, man muss nicht aktive Entscheidungen treffen. Die große Stunde des Fondsmanagers kommt in der Krise, denn da trennt sich die Spreu vom Weizen, da ist man aufgerufen, etwas zu tun. Und das haben wir damals: Im Spätherbst 2008, also nach der Lehman-Pleite, war der Fonds voll investiert. Das war das erste Mal, seitdem ich den Loys Global im Jahr 2004 übernommen hatte.
Und Sie haben zunächst den weiteren Abwärtsschwung mitgenommen, der bis März 2009 anhielt.
Ja, das zeigt auch, dass wir keine guten Markt-Timer sind – wir wussten nun einmal nicht, wann es wieder bergauf gehen würde. Aber das kann keiner. Ich war der Meinung, dass die Aktienbewertungen auf historisch niedrigen Niveaus waren. Wenn es dann an den Märkten weiter runtergeht, dann ist es nun einmal so ...
Viele Anleger ziehen aber genau dann die Reißleine und verkaufen ihre Aktien oder Fonds.
… und erleben dann nicht den Sonnenaufgang. Die Gefahr besteht. Das ist uns übrigens nicht passiert, die meisten unsere Anleger sind dabei geblieben. Aber selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich nicht anders gehandelt. Ich habe meine Prinzipien. Die sind in der Theorie plausibel, und nach fast zehn Jahren kann ich behaupten, dass sie auch in der Praxis funktionieren.
Wer in einer Korrektur oder Krise zu früh verkauft, erlebt nicht den Sonnenaufgang danach.
Leider dominiert bei den meisten Anlegern in Krisenzeiten die Angst.
Das ist bedauerlich, zumal sich der normale Mensch im normalen Leben rational verhält. Wenn es Butter im Supermarkt im Angebot gibt, kauft er zwei Pfund statt einem Pfund. Das sollte bei Aktien nicht anders sein. Leider wird aber immer noch die Illusion geschürt, dass man mit Trading reich werden kann.
So weit, so klar, aber wir haben keine Krise, und wenn die Märkte weiter laufen, dann stehen Sie mit Ihrer hohen Barquote dumm da. Der MSCI Welt, Ihre Benchmark, ist immer voll investiert.
Bei uns ergibt sich die Portfoliokonstruktion aus der Aktienselektion. Die hat nichts mit dem MSCI Welt zu tun. Ja, die Märkte sind weltweit gestiegen und wir halten Cash, aber die Märkten sind nicht überall gestiegen. Es gibt einige schwache Branchen, Rohstoffe zum Beispiel. Ich war zwar nie ein Freund dieser Unternehmen, aber wahr ist auch, dass sich viele Minenunternehmen in der Vergangenheit wie Cowboys benommen haben und wie wild Konkurrenten übernommen haben. Und sie wurden bestraft. Vielleicht ergeben sich dort demnächst interessante Gelegenheiten? Und es gibt Regionen, die jetzt anfangen, sehr günstig auszusehen. Die BRIC-Länder zum Beispiel. Da wurden die Marketing-Säue durchs Dorf getrieben, und jetzt ist dort die Müllabfuhr unterwegs und räumt auf. Aus so einer Situation ergeben sich Chancen
Bruns goes BRIC?
Ja, wir sind emsig dabei, uns diese Märkte auf der Researchseite zu erschließen. China ist günstig, und wir haben in den schwachen Tagen zuletzt dort gut eingesammelt. Der chinesische Juwelie Lukfook zum Beispiel, oder die Boutique L´Occitane, die sehr stark in China vertreten ist. Auch andere Emerging Markets sind jetzt interessant – Brasilien und die Türkei etwa, auch mit Blick auf die Währungen. Etablierte Märkte haben eine gewisse Reife erreicht.
In den BRIC-Märkten wurden die Marketing-Säue durchs Dorf getrieben, jetzt ist dort die Müllabfuhr unterwegs und räumt auf. Aus so einer Situation ergeben sich Chancen.
Vielleicht sind Aktien aus vielen Emerging Markets aus gutem Grund günstig? Russland beispielsweise hat, wie China auch, eine gelenkte Wirtschaft, dort herrschen nicht die Gesetze des Marktes.
Ganz klar.
Ist das wirklich ein Feld, auf dem Sie mitspielen können und wollen?
Bei einem angemessenen Abschlag schon. Wenn wir in den entwickelten Ländern investieren, kaufen wir den Euro zu 70 Cent. In Russland kaufen wir ihn zu 40. Ich kenne heute Unternehmen, die ein KGV von 2 haben. Da können wir langsam ins Gespräch kommen. Es ist alles eine Frage von Preis und Wert. Außerdem sind auch Unternehmen wie Gazprom auf Investoren angewiesen. Sie müssen ein Minimum an Attraktivität aufweisen, sonst bekommen sie keinen Zugang zu den Kapitalmärkten. Für Emerging Markets spricht übrigens auch, dass sie gerade sehr unbeliebt sind. So ein Klima zieht mich an.
Fondsanleger flüchten aus Schwellenländern.
Die Krise ist da, die Chancen sind es auch!
Die Kassandra ruft: Emerging Markets haben spezifische Probleme. Etwa die Währungsseite. Dieses Risiko hat auf Ihrem bisherigen Spielfeld, Europa und den USA, einen anderen Stellenwert.
Richtig. Deshalb kaufe ich auch nur, wenn ich einen erheblichen Abschlag bekomme. Die Risikoprämie muss riesig sein. Wenn die Kapitalflüsse stark negativ werden, dann ist das der Ausdruck des Herdentriebs. Den kennen wir. Wir müssen im Übrigen auch nicht als Erste springen. Und wir haben auch nicht die Erwartung, dass das, was wir zu günstigen Preisen kaufen, am nächsten Tag anfangen muss zu steigen. Einem Investment gebe ich fünf Jahre Zeit. Dann muss es aber auch ordentlich steigen.
Gazprom halten Sie bereits seit Juni 2012. Seitdem ist der Kurs kräftig gefallen. Kaufen sie zu?
Ja, denn an der grundlegenden Konstellation hat sich nichts geändert. In Schwellenländern haben heimische Versorger und Energiekonzerne typischerweise eine dominierende Stellung, sie sind unangefochtene Marktführer. Das wird auch so bleiben. Bei Konsumgütern ist das anders. Wegen des wachsenden Wohlstands sind westliche Marken in Schwellenländern erfolgreich. Die Tankstellen bleiben in russischer Hand, aber die Russen rauchen gerne Philip Morris.
Gazprom habe ich gekauft, denn in Russland bleiben die Tankstellen in russischer Hand. Anders ist es bei westlichen Konsumgütern: Russen rauchen gerne Philip Morris.
Bei RWE und E.on haben Sie auch erst im Februar 2013 gekauft. Angesichts deren Probleme könnten Sie länger als fünf Jahre auf Rendite warten, oder?
Ich glaube nicht, dass das so lange dauern wird. Der Kaufmann weiß: Im Einkauf liegt der Gewinn. „Sie haben RWE und E.on gekauft“ - das sagt mir erst einmal nichts. Mich interessiert der Preis, für den sie zu haben sind. Ich stelle fest, dass beide Unternehmen nicht wertlos sind. Und sie sind heute nicht mehr das wert, was sie es mal waren. Die Politik hat mit ihrem Schnellschuss nach Fukushima von einem auf den anderen Tag den Stecker bei sechs Atommeilern gezogen. Die produzieren nix mehr, die Kosten bleiben. Das ist zweifellos blöd gelaufen. Aber wie hat der Markt reagiert: Er hat Zweidrittel des Aktienkurses abgeschlagen. Dann ist zu fragen: Besteht die Möglichkeit, dass der Markt übertreibt? RWE und E.on werden das überleben, sie sind als Energieerzeuger viel zu wichtig, die Gesellschaft braucht sie bzw. ihren Kraftwerkpark. Beide Unternehmen sind jetzt aufgefordert, ihre Hausarbeiten zu machen. Es waren sehr schlecht geführte Unternehmen: zu groß, zu bürokratisch, zu hohe Cashflows, die ihnen vom Staat geschenkt worden waren und die sie in der Regel mit den blödsinnigsten Beteiligungen im Rest der Welt verbraten haben.
Wir sehen also die reinigende Krise der großen deutschen Versorger?
Ja, durch die Krise müssen diese Konzerne lernen, ernsthaft zu wirtschaften. Sie müssen sich fragen: Wie können wir nachhaltige Gewinne erzielen? Die Erkenntnis wird kommen: zunächst müssen wir Sparen! Angefangen bei den Dienstwagen - bis hin zu Vorstandsposten. Und die Vorstände sind bei beiden Konzernen ja auch ausgetauscht worden. Gleichwohl sind sie heute schon profitabel. Der Markt hat also übertrieben. Vor dem großen Abschlag waren wir nicht in E.on und RWE investiert, danach schon. Wir liegen bei beiden heute schon gegenüber dem Einstandspreis im Plus.
Auch jeder gute Fondsmanager langt bei machen Picks daneben. Bei Ihnen waren das die Käufe von Aktien wie Nokia, Nintendo oder Bijou Brigitte. Erfolgreich waren sie dagegen mit Aktien wie Bechtle, Timberland oder BP. Welche Erfolgsquote brauchen Sie, um in der Summe erfolgreich zu sein?
80 Prozent unserer Calls müssen aufgehen.
Das ist eine sehr hohe Quote.
Das gelingt uns aber. Zwei Sachen sind bei der Aktienauswahl wichtig: Der Preis und die Gewichtung der Position im Portfolio. Beide Erfolgsfaktoren müssen nicht zusammenfallen, und das ist bei uns nicht anders. 2013 war insofern ein außerordentlich, weil sich unsere Favoriten mit sehr hohen Gewichtungen, Bechtle, BP und SK Telekom, sehr gut entwickelt haben. Es passiert nicht immer, dass die hoch gewichteten Aktien auch am besten laufen. Das wäre mir am liebsten.
Ein Fonds ist ein organisches Gebilde, das atmet, das lebt.
Wenn es aber so ist, dass Sie mit 80% der Picks richtig liegen, bedeutet das, dass die großen Erfolge, die Sie beispielsweise mit BP erzielt haben, eher die Ausnahme sind. Es geht also in der Summe eher unspektakulär zu.
Ja, BP, das war ein Klassiker. Ansonsten stimmt es, in der Summe bestimmen eher die kleineren Erfolge das Bild. Das muss auch so sein, die spektakulären Calls müssen Ausnahmen bleiben, die streben wir nicht an. Mein Idealbild sieht so aus: Alle Positionen sind mit 2% gewichtet, alle steigen, und es herrschte ein sehr ausgewogenes Bild. Aber das klappt nicht: Fonds arbeiten, sie atmen. Die Aktien performen unterschiedlich, es gibt Zuflüsse, dann will ich den einen Titel nicht nachkaufen. Ein Fonds ist ein organisches Gebilde, das atmet, das lebt.