Es entspricht den heutigen Usancen, dass Experten, gerne auch als „Gurus“ bezeichnet, in den Medien spektakuläre Hinweise über den Zustand der Kapitalmärkte von sich geben. Vor allem Schwarzseher haben in Zeiten der Höhenflüge am Aktienmarkt Hochkonjunktur. Ende August machte ein bis dahin Unverdächtiger mit einer spektakulär klingenden Warnung auf sich aufmerksam.
Am 28. August fand sich im Wall Street Journal ein Artikel des renommierten Wissenschaftlers und Buchautors Burton Malkiel mit der Überschrift „Aktienkurse kurz vor dem Einsturz?“ (Der Artikel befindet sich hinter einer Bezahlschranke). Das klingt spektakulär aus der Feder des Verfassers des Klassikers „ A Random Walk Down Wall Street“, in dem überzeugend die These ausgebreitet wird, dass die Richtung der Aktienkurse nicht vorhersehbar sei. Hatte Malkiel, ein geistiger Urvater der Effizienzmarkthypothese, jüngst doch eine Eingebung? Ist ihm plötzlich eingefallen, dass er „Der Auserwählte“ ist, der doch in die Zukunft blicken kann? Nach der Lektüre war ich in einer Hinsicht beruhigt: Natürlich nicht! Darum ging es Malkiel nicht. Sein Artikel dreht sich vielmehr um die Fragen, die Anleger typischerweise umtreiben. Diese wollen wir uns etwas näher ansehen.
Ganzheitlich Betrachtet...
Malkiel äußert sich in dem Wall-Street-Journal-Artikel nicht zu kurzfristigen Perspektiven am Aktienmarkt, sondern spekuliert vielmehr über langfristige Entwicklungen. Wie viele andere, ist er wachsam. Das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis über zehn Jahre (Shiller-KGV), liegt derzeit bei 25. Das ist weit über dem historischen Durchschnittsniveau von 15 Jahren. Malkiel schreibt, dass zwar das „Shiller-KGV nicht geeignet ist, um die Ertragsentwicklung ein bis zwei Jahre im voraus zu prognostizieren“ – welche Kennzahl könnte das schon? – aber dass es „auf eine Zehnjahres-Perspektive die Aktienrenditen einigermaßen brauchbar vorhersagt.“
Wirklich? Ich bin mir da nicht so sicher. Nach meiner Ansicht haben die Wissenschaftler Dimson, Marsh und Staunton von der London School of Economics überzeugend gezeigt, dass die Prognosefähigkeit des Shiller-KGV in der Vergangenheit zwar brauchbar gewesen sein mag, es seine Prognosekraft heute aber eingeschränkt ist.* In einem Szenario haben die Forscher getestet, was die Kennzahl mit gegenwärtig vorliegenden Informationen über die Zukunft vorhergesagt hätte. Das Ergebnis war eher ernüchternd.
Außerdem argumentiert Jeremy Siegel, Professor an der Wharton Universität, dass Veränderungen in der Rechnungslegung ein zusätzliches Problem für die Aussagekraft des Zehn-Jahres-KGV sind, insbesondere beim Vergleich über mehrere Jahre. Letztlich ist es ja die Buchhaltung, die dafür sorgt, wie und wo Gewinne ausgezeichnet werden. Die Standards der Rechnungslegung ändern sich aber immer wieder und damit auch die Art, wie Unternehmensgewinne ausgewiesen werden. Zudem ist es durchaus möglich, dass Aktien heute weniger riskant sind, als sie es vor 50 oder 100 Jahren waren – eigentlich ist das sogar sehr wahrscheinlich. In dem Fall wäre auch ein höheres KGV nicht zwingend einen bevorstehenden Crash ankündigen.
Auch wenn das Shiller-KGV Prognosekraft hätte, so wäre es kaum als Indikator für Markt-Timing zu nutzen. Hatte der seinerzeitige Fed-Chef Alan Greenspan Recht, als er 1996 warnte, die Aktienmärkte würden von einem „irrationalen Überschwang“ getragen? Teilweise schon (Diese Äußerung fiel übrigens nach einer Unterhaltung mit Robert Shiller.). Im Nachhinein, im Zuge des Aktienmarkt-Crash 2000 bis 2002, wurde die Äußerung Greenspans allgemein als prophetische Warnung angesehen. Wie Malkiel jedoch treffend bemerkt, konnte man zwischen 1996 und 2000 einen Haufen Geld verdienen und auch über die vollen zehn Jahre ab 1996 ein respektables Vermögen anhäufen. Greenspans Äußerung war in Wirklichkeit also nicht besonders hilfreich für Anleger.
Kein Problem habe ich indes mit Malkiels Schlussfolgerung mit Blick auf ein langfristigeres Engagement am Aktienmarkt. Er schaut auf die niedrigen Zinsen, die als Gegengewicht für das unangenehm hohe Shiller-KGV fungieren. Deshalb nimmt er eine ausgewogene Haltung ein: „Ausgehend von den aktuell hohen Bewertungen werden die Aktienrenditen langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich niedriger ausfallen als der langfristige Durchschnitt von den jährlichen Zuwächsen von 10%.“ Diese Einschätzung geht absolut in Ordnung. Wenn sich die Anleiherenditen weiter auf dem Niveau von zwischen 2 und 3% bewegen, ist eine Aktienrendite von 7% eine gesunde (notabene: etwas unterdurchschnittliche) Risikoprämie.
Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück
Kommen wir nun zu den Empfehlungen Malkiels auf der Aktienseite. Er legt Anlegern Aktien aus den Schwellenländern nahe. Diese sollten „in allen Portfolios vertreten sein“. Auch das entspricht der gängigen Expertenmeinung. Von allen Aktienmarktsegmenten werden heute insbesondere die aufstrebenden Märkte empfohlen, deren Performance-Chancen sich kein Anleger entgehen lassen sollte.
Das lässt mich erstmal inne halten. Es gab Zeiten, in denen ich ebenso dachte. Aufgrund des deutlich schnelleren Wachstums als in den entwickelten Märkten, der geringeren Staatsverschuldung und der jüngeren Bevölkerung seien Emerging Markets laut Malkiel prädestiniert, überdurchschnittliche Renditen abzuwerfen . Meine Ansichten haben sich inzwischen geändert.
Die Attraktivität der stark wachsenden Unternehmen in den Emerging Markets wird durch ihre Anleger-unfreundliche Politik stark relativiert. Firmen in den aufstrebenden Märkten weisen zwar regelmäßig einen im Vergleich zu ihrem Börsenwert überdurchschnittlich hohen Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt und am weltweiten Handel auf. Dass diese Unternehmen aber vor allem das Management und die politisch verantwortlichen in ihren Ländern beglücken und weniger ihre Aktionäre, spiegelt sich vollkommen zu Recht im Aktienkurs wider.
Illustriert wird dieser Einwand vom Beispiel Chinas. Ungeachtet des spektakulären Wachstums in den vergangenen 20 Jahren haben chinesische Aktien ihren Anlegern nichts gebracht. Investoren wären viel besser mit langweiligen Standardwerten aus den Industrieländern gefahren.
Allerdings sind Aktien aus den Schwellenländern inzwischen wirklich billig - so billig wie zu kaum einem anderen Zeitpunkt in der jüngsten Vergangenheit. Derweil US-Aktien so teuer sind wie schon lange nicht. Die Schlussfolgerung, dass Papiere aus den Schwellenländer günstig bewertet sind, ist also absolut valide, ist aber heute keine Minderheitenmeinung, sondern ist allgemeiner Konsens Infolgedessen dürften Emerging-Markets-Aktien das höchste Renditepotenzial am globalen Aktienmarkt aufweisen. (Natürlich besteht auch bei so viel Konsens immer noch die Gefahr, dass diese Meinung falsch ist, aber nach allem, was man abschätzen kann, ist dieses Szenario absolut valide.)
Was bleibt unter dem Strich? Malkiel liefert in seinem auf den ersten Blick spektakulär klingenden Artikel nur eine unspektakuläre Bestätigung des gängigen Konsens unter Kapitalmarktexperten. Aktieninvestoren sollten Kurs halten! Dazu hätte es keiner reißerischen Überschrift bedurft: Teilnehmer auf unseren Morningstar Konferenzen in Europa und zuletzt auch im Juni in Chicago konnten im Zuge der zahlreichen Vorträge, Analysen und Diskussionen ebenfalls zu diesen Erkenntnissen gelangen. Anleger sollten nicht nur reißerische Überschriften hinterfragen, sondern auch konventionelle Wahrheiten auf den Prüftstand stellen.
* Aufmerksame Leser werden am Beispiel des Shiller-KGV aufmerksam registrieren, dass unsere Analysten durchaus unterschiedliche Standpunkte vertreten können. „Getrübt, aber nicht gebrochen“, war das etwas gnädigere Fazit von Samuel Lee zur künftigen Aussagekraft des Shiller-KGVs. Lesen Sie seine Analyse hier.