Unbeliebtheit als Renditequelle

Morningstar Investment Konferenz in Amsterdam liefert neue Erkenntnisse über das Rendite-Risiko-Paradigma. Roger Ibbotson und Tom Idzorek bringen „Unbeliebtheitsprämie“ ins Spiel.

Ali Masarwah 27.03.2015
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Es gehört seit der Finanzkrise zum guten Ton, finanzwissenschaftliche Erkenntnisse als „Szientismus“ oder gar als Hochstapelei zu brandmarken. Dazu gehört auch die Auflösung des inhärenten Zusammenhangs zwischen Rendite und Risiko. Verwiesen wird dabei auf das Phänomen, dass Aktien mit einer niedrigen Volatilität auch langfristig bessere Renditen erzielen als hochvolatile Titel. Höhere Risiken lohnen sich also nicht. Stehen wir vor einem neuen Paradigma in der Finanzwissenschaft? Und wenn ja: Wie passen derartige Erkenntnisse mit dem heutigen Mantra der Finanzbranche zusammen, dass man in zinslosen Zeiten ohne Risiken keine Chance auf Renditen hat?

Alles ist immer neu aber nicht immer anders

Gemach. Grundsätzliche Wahrheiten hat die neue kritische Finanzwissenschaft nicht zu verkünden. Hohe Renditen sind nicht ohne hohes Risiko möglich. Dieser elementare Zusammenhang gilt als das A und O der Kapitalanlage, und er besticht durch seine Logik. Das war im Jahr 2007 so und ist auch im Jahr 2015 nicht anders. Ein einfaches Beispiel: Wer heute sein Geld auf einem Tagesgeldkonto unterbringt, kann sicher sein, dass er seine, sagen wir, 1.000 Euro auch übermorgen vorfindet. In einem Jahr wird dieser Anleger allerdings unter den heutigen Bedingungen eher über 1.003 und nicht 1.300 Euro verfügen. Sein Kapital um 30% und nicht 0,3% zu steigern wäre allerdings durchaus möglich, wenn besagter Anleger nicht ein Tagesgeldkonto, sondern ein Aktiendepot bewirtschaften würde.

Der inhärente Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko bleibt bestehen, wenn es um die Unterschiede zwischen Asset Klassen geht. Aktien liefern langfristig höhere Renditen als Anleihen. Anleger gehen als Eigenkapitalgeber höhere Risiken ein als Bond-Investoren und werden dafür entlohnt. Weniger klar ist dagegen das Bild, wenn man auf das Rendite-Risiko-Profil innerhalb einer Asset-Klasse blickt. Hier gibt es durchaus Abweichungen von der "Norm", etwa in Gestalt der Tatsache, dass weniger volatile Aktien ein günstigeres Profil aufweisen als hochvolatile. Damit befassten sich einige Beiträge auf der Morningstar Investment Konferenz in Amsterdam in der vergangenen Woche. In einer Rede stellte Yale-Professor Roger Ibbotson, der Gründer des gleichnamigen Researchhauses, das seit 2006 eine Tochtergesellschaft von Morningstar ist, das Konzept der „Unbeliebtheitsprämie“ vor.

Gefällige Investmentstories ziehen Anleger in ihren Bann

Auf den Punkt gebracht vertrat Ibbotson die These, dass Anleger dazu neigen, beliebten Themen zu folgen; sie werden von gefälligen Investmentstories angelockt. Das ist aber ein Fehler; Anleger sollten eher den Mut aufbringen und unbeliebte Investments ansteuern. Aufmerksame Leser werden es bereits erahnen: Ibbotson, der diese Erkenntnisse zusammen mit dem Morningstar Researchstrategen Thomas Idzorek entwickelte, vertritt damit eine klassische Contrarian-Position. Allerdings entwickeln beide diese These im Rahmen der Diskussion um Risikoprämien und der Modifikation der klassischen Portfoliotheorie (den aktuellen Beitrag im Journal of Portfolio Management finden Sie hier hinter einer Bezahlschranke)

Anleger, so Ibbotson, mögen das Risiko nicht, steuern aber paradoxerweise überdurchschnittlich riskante Themen an, weil diese beliebt seien. Als Beispiel nannte er Emerging Markets-Aktien. Diese Investments seien bis vor wenigen Jahren sehr beliebt gewesen, was die Bewertungen auf neue Höhen getrieben habe. Die künftigen Renditen beliebter Investments seien indes häufig unbefriedigend.

Was auf den ersten Blick als typischer Behavioural-Finance-Ansatz anmutet, entpuppt sich bei näherem Hinsehen allerdings als ein Versuch, die Welt der klassischen Risikoprämien in Einklang mit empirischen Beobachtungen zu bringen. Wir erinnern uns, dass nach dem klassischen Capital Asset Pricing Model (CAPM) das Kapitalmarktrisiko in (systematisches) Beta und unsystematische (also wegdiversifizierbare) Risiken unterteilt wurde. In der Folgezeit wurde die Welt der systematischen Risiken immer weiter erforscht und das ursprüngliche Beta in eine Vielzahl von Zusatzfaktoren bzw. Risikoprämien aufgebrochen.

Small Caps, Value und Momentum: Die Welt der Risikoprämien

Fama/French hatten 1992 die Value- und die Small Cap-Prämien eingeführt, zu denen sich hiernach die Momentum-Prämie gesellte. Angetrieben durch die jüngsten Beobachtungen, nach denen Aktien mit tieferer Volatilität bessere Renditen liefern als überdurchschnittlich schwankungsintensive Aktien ist heute die Rede von der sogenannten Low Vola oder Low Beta Prämie. Wer das nunmehr versucht, in Einklang mit der Gedankenwelt der „Risikoprämien“ zu bringen, stößt irgendwann an Grenzen. Warum in aller Welt soll die Outperformance von schwankungsarmen Aktien eine Kompensation für ein – wie auch immer geartetes – Risiko sein? Warum sollen günstig bewertete Aktien „riskant“ sein? Jedenfalls riskanter als hoch bewertete Wachstumsaktien?  

Ibbotson und Idzorek machen mit dieser zunehmenden Verwirrung Tabula Rasa, indem sie den Risikobegriff um das Konzept der Beliebtheit erweitern. Viele Renditequellen gehen eben nicht auf Risiken im herkömmlichen Sinne zurück, sondern hängen damit zusammen, dass Anleger unbeliebte Investmentthemen meiden. Ja, es werden Prämien bezahlt, aber eben nicht notwendigerweise für Investments, die Volatilität als quantitatives Maß als Eigenschaft aufweisen. Beliebte Aktien werden künftig eine schlechtere Rendite als unbeliebte Aktien bringen. Das muss zunächst nichts mit der Volatilität dieser Aktien zu tun haben.

Übertragen auf die bekannten Kategorien argumentieren Ibbotson und Idzorek wie folgt: Wachstumsaktien weisen glamouröse Stories auf, werden aber schlechter performen als Value-Aktien, die höchst unbeliebt sind (O-Ton Roger Ibbotson: „Viele Value-Aktien sind gute Investments, auch wenn sich dahinter fürchterlich geführte Unternehmen verbergen“.) Auch Standardwerte sind viel beliebter als Nebenwerte, weshalb sie unterdurchschnittliche Renditen abwerfen; Aktien mit höherer Liquidität erfreuen sich ebenfalls höherer Beliebtheit als Aktien mit niedriger Liquidität, weshalb sie höhere Bewertungen (und niedrigere künftige Renditen) aufweisen.

High-Vola- und High-Beta-Aktien sind als Hebelersatz beliebt
 
Und wie passt das mit dem Phänomen der Outperformance von Low-Beta-Aktien bzw. Titel mit niedriger Volatilität zusammen? Nun, High Beta- und High Vola-Aktien sind Ibbotson und Idzorek zufolge beliebt, weil sie häufig als Ersatz für derivative Hebel verwendet werden. Viele Investoren würden – aus unterschiedlichen Motiven – keine Derivate in ihren Portfolios einsetzen, folglich würden Aktien mit hoher Marktreagibilität (nach oben) als eine Art Hebel-Ersatz Anwendung finden (und in Abwärtsphasen für überdurchschnittliche Verluste sorgen.).

Das Pardigma „beliebt“ vs. „unbeliebt“ lässt sich übrigens auch in anderer Hinsicht wunderbar in das Konzept der Risikoprämien einfügen; es handelt sich um ein stabiles System. Da sich die Präferenzen der Investoren aller Voraussicht nach nicht ändern, ist die Unbeliebtheitsprämie stabil bzw. systematischer Natur, so, wie es Risikoprämien sein sollten (im Unterschied zu bloßen Übungen in Data-Mining). Erst wenn Anleger im großen Stil anfangen, gezielt in höchst unbeliebte Aktien (Pleitekandidaten, illiquide Aktien, o.ä.) zu investieren, könnte sich dieses Paradigma ändern. (Wir erinnern uns, dass den furchtlosen Galliern noch immer nicht der Himmel auf den Kopf gefallen ist.)

Investoren, die auf unserer Konferenz in Amsterdam nunmehr gehofft hatten, von der allgemeinen Erkenntnis hin zu praktischen Anlagetipps zu kommen, wurden freilich enttäuscht. Auch wer den Begriff „Value-Falle“ durch „Unbeliebtheitsfalle“ austauscht, wird dadurch nicht automatisch den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg in eine günstige Aktie finden. „Am Markt finden laufend Re-Ratings statt, gelegentlich wird aus einer unbeliebten, illiquiden Aktie eine beliebte, liquidere Aktie; an welchem Punkt dieser Prozess der Neubewertung eingeleitet wird, lässt sich aber nicht prognostizieren“, goss Tomas  Idzorek Wasser in den Wein.  

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich