Eine Finanzkennzahl macht Furore: Geht es um die Frage, wie aktiv ein Fonds verwaltet wird, kommt zunehmend der Active Share ins Spiel. Diese Kennziffer misst treffgenau, wie stark ein Fonds von einem Index abweicht. Anleger stellen sich immer häufiger die Frage, wie aktiv „ihr“ Fondsmanager wirklich ist. Diese Frage ist berechtigt. Aktiv verwaltete Fonds kosten sehr viel mehr als Indexfonds, und deshalb ist es wichtig zu wissen, ob ein Fondsmanager sein Geld wirklich wert ist oder ob er hohe Gebühren für die Abbildung seiner Benchmark kassiert. Wir haben diese Kennzahl bereits vorgestellt (lesen Sie hier mehr), wollen angesichts des wachsenden Interesses auf einige für die Anlagepraxis relevanten Aspekte eingehen.
Active Share spiegelt die Fondswirklichkeit physisch wider
Fassen wir zunächst zusammen: Der große Vorteil des Active Share gegenüber anderen Kennzahlen, die die Aktivität eines Fonds messen, ist, dass er auf einem physischen Abgleich zwischen Fonds und Index basiert. Während der Tracking Error und R-Squared statistische Verfahren sind, die auf Korrelationsanalysen basieren, sagt der Active Share aus, zu welchem Grad die Bestandteile eines Fonds mit denen der Benchmark übereinstimmen. Man „legt“ quasi das Fondsportfolio – gewichtet - auf das Indexportfolio und ermittelt die Schnittmenge. Ein Fonds mit einem Active Share von 0% entspricht exakt dem Index, ein Fonds mit einem Active Share von 100% weist keine Übereinstimmung mit dem Index auf.
Statt sich auf statistische Annäherungen zu verlassen, können Anleger am Active Share also ablesen, ob sie es mit einem aktiven Fondsmanager oder einem verkappten Indexfonds zu tun haben. Sie brauchen „nur“ die vollständigen Fondsbestandteile und die Indexzusammensetzung.
Doch es kommt noch besser: Die Erfinder des Active Share, die seinerzeitigen Yale-Wissenschaftler Antti Petajisto und Martijn Cremers, stellten 2009 die These auf, dass Fonds mit einem hohen Active Share -- sie bringen die Grenze von >80% ins Spiel -- im Schnitt erfolgreicher sind als Fonds mit einem tiefen Active Share. Dabei weisen, so die Studie, diese erfolgreichen Fonds auch eine Outperformance-Persistenz auf. Das macht die Sache natürlich für alle Anleger hochgradig spannend, die auf aktives Management setzen und auf der Suche nach nachhaltig erfolgreichen Fondsmanagern sind. (So viel sei hier noch verraten: Die These von Cremers und Petajisto ist nicht unumstritten. Jüngst hat etwa das auf quantitative Investments spezialisierte Haus AQR – vermutlich nicht nur aus altruistischen Motiven – die Thesen von Cremers/Petajisto im Aufsatz „Deactivating Active Share“ infrage gestellt.)
Um den praktischen Nutzen des Active Share im Alltag eines Fonds-Pickers zu ermitteln, haben wir ein kleines Experiment durchgeführt. Wir haben den Active Share der größten global investierenden Aktienfonds der Morningstar Kategorie „Aktien Standardwerte weltweit blend“ ermittelt und mit einigen anderen Kennziffern abgeglichen. Einheitlicher Vergleichsmaßstab für alle Fonds war der entsprechende Kategorie-Index MSCI Welt.
Tabelle: Wie aktiv die großen Fonds am Markt sind
So lesen Sie die obere Tabelle: Neben Fondsnamen und ISIN finden Sie das aktuelle Fondsvermögen. In den beiden Spalten weiter rechts sind die Performance-Ränge der vergangenen drei und fünf Jahre aufgeführt, ausgedrückt in Perzentilen. Hier gilt das Motto, je höher die Zahl, desto schlechter die relative Performance eines Fonds. Ein Fonds im 90. Perzentil gehört zu den schlechtesten 10% der Vergleichsfonds. Ein Produkt im 10. Performance-Perzentil befindet sich dagegen unter den 10% besten Fonds. Weiter rechts finden sich die Angaben zum Tracking Error der letzten drei und fünf Jahre. Um den Grad der Aktivität in den vergangenen fünf Jahren zu ermitteln, haben wir den Active Share seit 2010 Jahr für Jahr berechnet. Diese Zeitreihe findet sich in den fünf Spalten rechts. Sortiert sind die Fonds unserer Tabelle nach dem zuletzt ermittelten Active Share per Ende Februar 2015.
Kommen wir nun zu den wichtigsten Erkenntnissen unserer Auswertung. Die größten Fonds am Markt sind nach dem höchsten Active Share per Ende Februar 2015 sortiert. Der M&G Global Leaders ist der aktivste Fonds unserer Auswahl. Er wies in den vergangenen fünf Jahren einen Wert von konstant über 90% aus. Allerdings zeigt ein Blick auf die Performance-Ränge, dass er bestenfalls Mittelmaß war. Sowohl in den vergangenen drei als auch in den vergangenen fünf Jahren lag der Fonds im 69. Performance-Perzentil. Aktives Management hat sich also für Anleger nicht ausgezahlt.
Gleiches Bild ergibt sich beim zweiten M&G Fonds unserer Auswahl, M&G Global Growth. Auch er liegt in beiden Perioden weit abgeschlagen in der Performance-Rennliste – bei einem Active Share von ebenfalls konstant über 90% in allen betrachteten Perioden.
Investec Fonds mit - fast - lupenreiner Bilanz
Deutlich besser war die Performance des Fonds mit dem zweithöchsten Active Share, Investec Global Dynamic. Er zählte in den vergangenen Jahren zu den besten 15% bzw. 16% der weltweit investierenden Aktienfonds. Aktives Management hat sich also ausgezahlt. Die beiden anderen Investec Fonds, Investec GSF Global Strategic Equities und Investec Global Franchise, zählen ebenfalls zu den aktivsten global anlegenden Aktienfonds. Bei ersterem war die Bilanz hervorragend, bei letzterem lief es in den vergangenen drei Jahren indes eher schlecht als recht.
Insgesamt fällt auf, dass die Fonds mit der deutlichsten Outperformance überwiegend die höchsten Active Share Werte zeigen. Gleichen wir den Active Share mit dem Tracking Error dieser Fonds ab, fällt auf, dass ein hoher Active Share tendenziell mit einem ebenfalls überdurchschnittlich hohen Tracking Error zusammengeht. Der Investec Global Franchise wies in den vergangenen fünf Jahren den höchsten Tracking Error aller betrachteten Fonds auf – nämlich 7,5%.
Kommen wir nun zum anderen Ende der Tabelle. Der Mediolanum CH International Equity kommt auf einen extrem tiefen Active Share von 2%. Er ist damit kaum vom MSCI World zu unterscheiden, weist aber überdurchschnittlich hohe Gebühren auf. Dieser Fonds lag weit abgeschlagen im 73. bzw. 74. Perzentil der Vergleichsfonds über beide untersuchten Zeiträume. Inaktivität hat sich für Anleger nicht bezahlt gemacht. (Für den Anbieter sehr wohl: zuletzt lag die Gesamtkostenquote bei gut 2%).
Der Fonds mit dem zweitniedrigsten Active Share ist der Deka – BR 100. Er weist einen Wert von knapp unter 50% aus. Allerdings lag dieser Fonds in den vergangenen drei und fünf Jahren im oberen Drittel der Vergleichsfonds. Auch der BGF Global Dynamic Equity, der auf einen Active Share von knapp 60% kommt, zählt zu den erfolgreicheren Fonds – wie auch der Fidelity International, der sogar zum erfolgreichsten Fondsquintil zählt.
Übergang von Kaldemorgen zu Köttner am Active Share ablesbar
Aktiver, aber dennoch wohltemperiert kommen der DWS Akkumula und der DWS Vermögensbildungsfonds I mit Active Share Werten von knapp unter 70% daher. In den vergangenen drei Jahren war die Bilanz insgesamt passabel, in den fünf Jahren seit 2010 insgesamt allerdings nicht. Interessant ist, dass die Bilanz des Fonds unter der Regie von Andre Köttner deutlich besser ausfällt als in der Spätphase von Ex-Fondsmanager Klaus Kaldemorgen. Dabei ist der Active Share beider Fonds unter der Ägide von Köttner deutlich niedriger als in der Ära Kaldemorgen. Dies lässt sich an den Sprunghaft veränderten Active Share Werten zwischen 2012 und dem Managerwechsel Anfang 2013 erkennen. Zu Zeiten Klaus Kaldemorgens lag der Active Share der beiden DWS-Aktienflaggschiffe bei deutlich über 80%. Mehrere fehlgeschlagene Wetten – vor allem am japanischen Aktienmarkt – brachten Anlegern nach 2009 dagegen eine deutliche Underperformance. Hier war der hohe Active Share gewissermaßen ein Muster ohne Wert.
Auffällig ist, dass der Tracking Error auch am Tabellenende mit dem Active Share positiv korreliert. Ein niedriger Tracking Error wird in der Regel von einem tiefen Aktive Share begleitet. Lediglich der Old Mutual Voyager Global Dynamic, der sich im Bereich von 70% beim Active Share bewegt, kam in den vergangenen fünf Jahren auf einen hohen Tracking Error von gut 6,5% - und war damit wenig erfolgreich, wie das Performance-Ranking zeigt.
Und die Moral der Geschichte? Die Suche geht weiter!
Die Verfechter des aktiven Managements könnten nun enttäuscht sein. Die von Petajisto und Cremers aufgestellte These von der Outperformance von Fonds mit hohem Active Share lässt sich in unserem Beispiel nicht bestätigen. Wer sich mit wissenschaftlichen Untersuchungen dieser Art beschäftigt, wird indes kaum verwundert sein. Unser Sample ist mit Blick auf die Reichweite begrenzt, auch wenn viele Anleger in diesen großvolumigen Fonds investiert sind. Auch zeitlich genügt unsere Analyse keinen wissenschaftlichen Kriterien: fünf Jahre sind eine sehr kurze Periode.
Studien, wie sie Cremers/Petajisto unternommen haben, umfassen im Gegensatz dazu große Fondsuniversen und stützen sich auf lange Zeitreihen. Sie ermitteln zudem Durchschnittswerte – die im Zweifel nichts über einzelne Fonds aussagen. Hier kollidiert die Welt der Fondspraktiker mit den Laborbedingungen der Wissenschaft: Auf der Suche nach einem aussichtsreichen Fonds werden Praktiker vermutlich häufiger nur einen schwachen Zusammenhang zwischen Active Share und Performance-Historie einzelner Fonds ermitteln. Das ist auch auf die Natur des europäischen Fondsmarkts zurückzuführen. Fondshistorien sind in Europa leider oft sehr kurz. Es finden sich nur wenige Fonds mit Performance-Historien von 10, 15 oder 20 Jahren. Und sofern es sie doch gibt, sind nur in den seltensten Fällen die identischen Fondsmanager mit unveränderten Investmentprozessen am Werk.
Leser sollten dennoch nicht die Flinte ins Korn werfen. Wir wollen nun einige Zwischenergebnisse in Gestalt einer Check-Liste festhalten:
- Ein hoher Active Share geht nicht notwendiger mit einer Outperformance einher. Fonds mit einem hohen Active Share können auch höchst unspektakuläre Ergebnisse liefern, oder, schlimmer noch: spektakulär schlechte Ergebnisse zeitigen. Merke: Wer vom Index abweicht, muss nicht zwangsläufig Erfolg haben.
- Ein erhöhter Active Share ist dennoch eine wichtige Bedingung für den Erfolg eines Fonds. Merke: Wer nicht vom Index abweicht und zugleich hohe Gebühren verlangt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach Anlegern keine guten Ergebnisse bringen.
- Wissenschaftliche Untersuchungen nach der Art von Cremers/Petajisto liefern Aussagen zu großen Durchschnitten. Man sollte sie nicht mit den Zehn Geboten verwechseln. Streng genommen begrenzen sich auch diese Großstudien auf ein limitiertes Sample innerhalb eines bestimmten Universums in einem bestimmten Zeitraum. Man sollte nicht erwarten, dass diese Aussagen zu jeder Zeit in jedem Markt Gültigkeit besitzen.
- Ein Active Share von 99% klingt nach einem phantastisch aktiven Fonds. Es kann aber auch sein, dass man für solch einen Fonds die falsche Benchmark gewählt hat.
- Anleger sollten die Natur des Marktes berücksichtigen, auf dem ein Fonds „unterwegs“ ist. Aktienfonds, die einen engen Markt abdecken, werden in aller Regel einen relativ niedrigen Active Share aufweisen, auch wenn sie einen aktiven Ansatz verfolgen. Dagegen werden Fonds, die einen breiten Markt abdecken, auch bei mäßiger Aktivität einen vergleichsweise hohen Active Share haben. Ein Beispiel: Der DAX 30 umfasst nur 30 Aktien. Ein Fonds, der diesen Index zur Benchmark hat, wird aufgrund dem Diversifikationsgebot (4/10/40-Regel) nicht umhin kommen, etliche der 30 DAX-Titel zu halten. Hinter einem Active Share von 50% kann also durchaus ein höchst aktiver DAX-Fonds stecken. Ein Fonds, der dagegen den MSCI World mit seinen gut 1.500 Aktien als Spielwiese hat, dürfte erst ab einem Wert von 70-80% als lupenreiner aktiver Ansatz gelten.
- Vorsicht bei quantitativen Ansätzen! Häufig haben sehr stark diversifizierte quantitative Portfolios relativ niedrige Active Share Werte. Etliche liefern hervorragende Ergebnisse, weil die Summe aller kleinteiligen Wetten eine höchst beachtliche Outperformance liefern kann.
- Die Kennzahl Active Share ist eine sehr charmante Kennzahl, die wir gerne in unserer Fondsanalyse einsetzen. Sie sollte aber in Kombination mit anderen Kennzahlen, etwa dem Tracking Error und dem R-Squared verwendet werden. Um dem Erfolgsrezept eines Fonds auf die Spur zu kommen, müssen Anleger auch qualitative Kriterien anlegen. Unser fünfstufiger Analyseprozess bei Fonds umfasst die Punkte Fondsmanager, Investmentprozess, Qualität des Fondshauses, Kosten und die Konsistenz der Vergangenheits-Performance.
- Der Active Share gibt nicht nur Aufschluss über den Grad der Übereinstimmung eines Fonds mit seiner Benchmark. Da er – ceteris paribus – über die Zeit bemerkenswert konstant ist, kann eine Active-Share-Zeitreihe auf einen Blick Änderungen im Investmentprozess anzeigen, die etwa aus einem Fondsmanagerwechsel resultieren. Der deutlich gesunkene Active Share nach dem Wechsel von Klaus Kaldemorgen zu Andre Köttner beim DWS Akkumula und DWS Vermögensbildungsfonds I ist ein gutes Beispiel.
- Vorsicht Marketing-Falle! Aktive Fondshäuser fangen an, den Active Share als Marketing-Instrument zu entdecken. Insbesondere in Großbritannien überschlagen sich derzeit die Fondsanbieter, diese Kennzahl Anlegern zur Verfügung zu stellen. (Zumindest haben viele das angekündigt.) Es besteht allerdings die Gefahr, dass Fonds mit hohem Active Share gezielt außerhalb ihrer Spielwiese arbeiten und somit Anlegern Aktivität nur vorgaukeln. Wer in einem Standardwertefonds Nebenwerte beimischt, wird es leichter haben, einen höheren Active Share aufzuweisen als ein Fonds, der nur in seinem im Fondsprospekt definierten Universum unterwegs ist. Derartige Ausflüge können Anlegern allerdings Risiken bescheren, die sie sich nicht ins Portfolio holen wollten.
- Praktiker sollten zwar nicht allzu große Hoffnung auf die Prognosekraft des Active Share im konkreten Fall setzen. Allerdings sollten Investoren Fonds mit sehr niedrigen Active Share Werten innerhalb einer Kategorie mit Skepsis begegnen. Die Gefahr ist hier groß, dass Hausmacherleberwurst als Foie Gras etikettiert wird. Auch wenn prinzipiell nichts gegen eine gute Leberwurst vom Lande einzuwenden ist, sollte diese nicht mit einem der französischen Luxusspezialität angemessenen Preisaufkleber versehen sein.