Thomas Caduff (fundplat.com): Herr Masarwah, das neue Jahr ist nun gerade mal zwei Monate alt. Gibt es für Sie schon handfeste Überraschungen?
Ali Masarwah (Morningstar): Es kommt darauf an. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die politischen Turbulenzen in den USA seit dem Amtsantritt der Trump-Administration durchaus das Zeug haben, sich zu einer Verfassungskrise zuzuspitzen, dann könnte der Optimismus der Marktteilnehmer, die klar auf ein Wachstumsszenario setzen, schon überraschen. Aber Märkte sind nun mal zutiefst apolitische Veranstaltungen, und insofern ist der aktuelle Reflations-Trade vielleicht doch keine handfeste Überraschung…
Indexfonds haben im Januar wieder kräftig Geld eingesammelt. Die ETF-Industrie gräbt also weiter den aktiven Fondsanbietern Wasser ab.
Ja und nein. Unsere Januar-Daten deuten einerseits darauf hin, dass ETFs und andere Indexfonds tatsächlich gut ins neue Jahr gestartet sind. Aber ich würde davor warnen, der Versuchung zu unterliegen und das wirklich beeindruckende Wachstum immer weiter fortzuschreiben. Ja, eine relativ junge, relativ kleine Industrie neigt nun einmal typischerweise zu stärkerem Wachstum als die alten Dinos aus etablierten Branchen. Aber man sollte aktiv verwaltete Fonds nicht abschreiben. Mischfonds hatten europaweit im Januar die höchsten Zuflüsse in einem Monat seit Juli 2015 gesehen, und aktiv verwaltete Aktienfonds haben nicht nur positive Flüsse im Januar gesehen, sondern dabei das stärkste Nettoneugeschäft in einem Monat seit Ende 2015 verbucht.
Bedenkt man, dass Ihre Daten die erstaunliche Dominanz von nur einem einzigen Index-Fondsanbieter weltweit im vergangenen Jahr zeigen, fällt es schwer, nicht von einem Durchmarsch der Indexfonds zu sprechen.
Sie sprechen die Tatsache an, dass die Nettoflüsse Vanguards 2016 das gesamte Nettomittelaufkommen aller anderen Fondsanbieter weltweit übertroffen haben. Das war tatsächlich sehr bemerkenswert. Aber man muss die Zahlen in den Kontext stellen. Zum einen war dieser Erdrutsch der Entwicklung in den USA geschuldet. Dieser Trend setzt sich übrigens auch 2017 fort. Im Januar hat Vanguard erneut alle anderen Fondshäuser deklassiert. Die ersten neun von zehn Top-Sellern in den USA waren Indexfonds und Vanguard konnte dabei die ersten fünf stellen. Inzwischen beläuft sich der Indexfondsanteil in den USA auf über 36 Prozent aller Langfristfonds! Aber in Europa sieht es doch anders aus. Hier liegt der Anteil der Indexfonds, inklusive ETFs, bei gerade einmal 15 Prozent. Vanguard spielt hier auch längst nicht die Rolle im Vertrieb wie in den USA.
Es gibt ja Befürchtungen, dass die Markt-Effizienz mit zunehmender Passivierung der Kapitalanlagen abnehmen wird.
Das wiederum würde ich nicht als das relevante Thema bezeichnen. Vermutlich stimmt die These, dass bei einer zunehmenden Verbreitung von Indexinvestments irgendwann einmal der Punkt erreicht ist, dass es zu einer Fehlallokation von Kapital kommen wird. Aber wann ist der Punkt erreicht? Bei 36 Prozent passivem Anteil am Fondsmarkt sicher nicht, denn wohl keiner wird den US-Markt als ineffizient bezeichnen. Dann vielleicht bei 60, 70 oder gar 90 Prozent? Die ganze Debatte erinnert mich an die Diskussion um die Laffer-Kurve über das Verhältnis von Steuersätzen und Steuereinnahmen. Keiner würde bestreiten, dass es einen Punkt gibt, an dem die Sache kippt, aber keiner weiss, wo dieser Punkt liegt. Es gibt wichtigere Themen als diese halbgaren, alarmistischen Ideen!
Dann widmen wir uns doch dem Wichtigen zu: Was raten Sie Fondsanbietern in Europa, um in diesem Jahr noch erfolgreicher zu sein - haben Sie drei Tipps zur Hand?
Bieten Sie weiter teure Produkte an, legen Sie weiter auf Teufel komm raus im Wochenturnus trendige Produkte auf, unabhängig davon, ob Sie Expertise auf dem Gebiet haben, und beten Sie zu den Göttern im Pantheon, dass Ihnen die Märkte hold sind und die Asset-Basis Ihrer Fonds ordentlich steigt, dann werden Sie Ende 2017 auf ein Rekordjahr zurückblicken!
Sie scherzen.
Sie merken aber auch alles.
Ich hätte zum Abschluss unseres Gesprächs schon noch gerne eine ernste Antwort.
Ich wollte damit ausdrücken, dass das, was kurzfristig aufgehen mag, mittel- und langfristig fürchterliche Konsequenzen zeitigen könnte, die sich auch nicht mehr zurückdrehen lassen werden. Ich gehe davon aus, dass der Regulierungstrend in Europa andauern wird. MiFID II hat schon ein Fuss in der Tür, und ich glaube, dass sich die Industrie in etlichen Ländern überhaupt nicht der Konsequenzen bewusst ist. In Europa dreht sich die Regulierungsschraube weiter, Retros werden unter Druck geraten, die Vertriebsmodelle der Banken stehen auf dem Prüfstand. Das hat man ja schon in der Schweiz gesehen, wo der Provisionsvertrieb massiv zurückgedrängt wurde. Diese Entwicklung steht in ganz Europa auf der Tagesordnung. Alternative Vertriebsmodelle werden immer mehr an Fahrt gewinnen. Das heisst nicht, dass unbedingt die Fintechs die Gewinner sein müssen, aber sie werden als Träger neuer Technologien dazu beitragen, dass das Wealth Management einen völlig neuen Grad an Professionalisierung erreichen wird. Die Folgen wird man nicht morgen und vermutlich nicht schon Ende 2017 sehen, aber mittelfristig steht der immer noch sehr konventionellen Fonds-Vertriebswelt ein Radikalumbau bevor. Je eher man sich da positioniert, desto besser für das eigene Business.