In den Diskussionen um Faktor-Investments ist selten die Rede von Branchen-Risiken. So genannte Smart Beta-Strategien – wir bei Morningstar sprechen lieber von Strategic Beta - zielen systematisch auf die Merkmale von Aktien ab, die historisch mit einer besseren Performance in Verbindung gebracht werden. Anleger bedenken allerdings leider selten die möglichen Konsequenzen dieser Vorgehensweise.
Strategic Beta Portfolios weisen häufig Branchen-Gewichtungen auf, die deutlich von deren Anteil an den kapitalisierungsgewichteten Referenzindizes abweichen. Das erhöht zum einen die Tracking Error, was für die meisten Index-Investoren nicht gleichgültig ist. Zudem können die alternativen Gewichtungsstrategien unbeabsichtigte Konsequenzen haben – erwünschte wie unerwünschte. Wir wollen deshalb untersuchen, ob Branchen-Schwerpunkte zum Erfolg von Faktor-Strategien beitragen. Zunächst haben wir uns auf die Faktoren Value, Momentum und Low Volatility konzentriert. Wie sehr laufen solche Strategien Gefahr, unwillkommene Risiken mitzuführen, also Risiken zu beinhalten, die keine adäquate Prämie liefern?
Research Design
Um zu beurteilen, ob ein branchenrelevanter Ansatz mit Blick auf Faktor-Investments sinnvoll ist, haben wir Value-, Momentum- und Low Volatility-Strategien einerseits auf der Ebene einzelner Aktien konstruiert – unabhängig von der Branchengewichtung. Im zweiten Schritt haben wir die drei Faktoren auf Branchenebene abgebildet. Dann haben wir die Ergebnisse dieser beiden Vorgehensweise miteinander verglichen, um den Einfluss von so genannten Sektor-Tilts, also bestimmten Branchengewichtungen, mess- und damit qualifizierbar zu machen.
Für die Untersuchung haben wir die Daten der French Data Library verwendet, welche die Monatsrenditen aller US-Aktien enthält. Wir haben die Daten zwischen Dezember 1966 und November 2016 abgetragen und für die Einzeltitel-basierte Analyse diese Marktdaten jeweils nach den günstigsten Value-, Momentum- und Low Volatility-Eigenschaften sortiert. Dabei haben wir jeweils die Aktien-Quintile mit den günstigsten Eigenschaften ausgewählt. Für den Value-Faktor haben wir das Quintil mit dem tiefsten Kurs-Buchwert-Verhältnis ausgewählt. Für den Momentum-Faktor haben wir die Aktien mit den stärksten Trends der vergangenen zwölf Monate (abzüglich des jüngsten Monats) verwendet, und für den Low-Volatility Faktor haben wir die Titel mit den tiefsten Schwankungen der vergangenen 60 Tage verwendet. Auch hier haben wir die Portfolios monatlich neu zusammengesetzt.
Dieselbe Übung haben wir dann für die Sektorebene wiederholt und den Markt gemäß der „Standard Industry Classification“ in zwölf verschiedene Branchen aufgeteilt. Es wurden also Portfolios zusammengestellt, welche die Branchen mit den günstigsten drei Eigenschaften aufwiesen.
Ergebnisse
Abbildung 1 zeigt die annualisierte Performance der Aktien- und Branchen-Versionen jedes Faktors. Während der Value-Faktor auf Aktien-Ebene eine respektable jährliche Rendite von 2,36 Prozent über die gewählte 50-Jahres-Periode erwirtschaftete, verzeichnete der Value-Faktor auf Branchen-Ebene ein leicht negatives Ergebnis. Das legt nahe, dass eine Schwerpunktsetzung auf Branchen-Ebene nicht nachhaltig zur Performance beiträgt. (Trotz der Rendite-Lücke zwischen den beiden Value-Faktoren waren sie eng miteinander korreliert - der Korrelationskoeffizient betrug 0,78.).
Abbildung 1: Faktor-Renditen zwischen 1966 und 2016 im Vergleich
Eine Schwerpunktsetzung auf Branchen-Ebene hat der Performance von Value-Faktoren vermutlich deshalb nicht geholfen, weil sie ziemlich statisch war, wie Abbildung 2 belegt. Die Tabelle zeigt, wie häufig prozentual gesehen jede Branche auf der Long-Seite in jedem Faktor-Portfolio zu finden war. Financials waren in allen Zeitperioden unter den günstigeren Branchen zu fi
nden, Versorger in knapp 97 Prozent der Fälle, und Energie war in 86 Prozent der Monate dabei. Aktien der Gesundheitsbranche waren indes nur in zwei Prozent der Fälle vertreten. Die Branchen-Performance kann insbesondere über kürzere Zeiträume auseinanderlaufen, aber wie es scheint, sind die Renditen über die Branchen hinweg nicht eng mit der Bewertung auf Kurs-Buchwert-Basis korreliert.
Unterschiede bei den Geschäftsmodellen, bei der Intensität des Kapitaleinsatzes und bei den Buchhaltungspraktiken können es schwierig machen, Bewertungen branchenübergreifend zu vergleichen. Daher sollten Bewertungen innerhalb einer Branche mehr Informationen über die zu erwartenden Renditen enthalten als die bei branchenübergreifenden Bewertungen der Fall ist. Unsere Ergebnisse stimmen damit jedenfalls überein.
Abbildung 2: Welche Branche bestimmte wann welchen Faktor?
Der Momentum-Faktor auf Branchen-Ebene performte dagegen viel besser, als das bei seinem Value-Gegenpart der Fall war. Er generierte sogar eine etwas höhere Rendite als der Momentum-Faktor auf Aktien-Ebene und das bei einer etwas niedrigeren Volatilität. Momentum-Strategien mit bestimmten Branchen-Schwerpunkten sind wie Abbildung 2 zeigt dynamischer als die Value- oder Low-Volatility-Faktoren und scheinen mehr Informationen über die zukünftig zu erwartende Renditen zu enthalten. Zum Beispiel dürften die Unterschiede in den Wachstumsraten und der Kapitalstruktur fast immer dazu führen, dass Finanzdienstleister und Versorger zu niedrigeren Bewertungen gehandelt werden als die Technologie- und Gesundheitsbranche. Allerdings ist die Performance-Führerschaft auf Branchen-Ebene oft ein kurzfristiges Phänomen. Die hohe Umschlagshäufigkeit beim Momentum-Faktor erfasst diesen Effekt, während der Value-Faktor sich nur langsam verändert. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Momentum-Strategie auf Branchen-Ebene die Effizienz eines Momentum-Signals gut einfängt.
In der Studie generierten über die gesamte Betrachtungsperiode hinweg weder die Low-Volatility-Faktoren auf Aktien- noch auf Branchen-Ebene eine positive Rendite. Allerdings ist die absolute Performance nicht das beste Mittel, um die Wirksamkeit von Faktoren zu messen. Per Definition sind weniger volatile Aktien und Branchen nicht so riskant wie ihre volatilen Gegenstücke. Daher ist es besser, den Erfolg des Low-Volatility-Faktors anhand der risikoadjustierten Performance zu beurteilen. Abbildung 3 zeigt die Performance-Daten für die Niedrig-(long)- und die Hoch-(short)-Volatilitäts-Portfolios, die für die Schaffung der Faktoren auf Aktien- und Branchen-Ebene genutzt wurden.
Abbildung 3: Volatility-Portfolios im Performance-Vergleich
Der sich für den 50 Jahres-Betrachtungszeitraum ergebende durchschnittliche jährliche Renditeunterschied zwischen den Niedrig-(long)-Volatilitäts-Portfolios und den Hoch-(short)-Volatilitäts-Portfolios weicht etwas von den Faktor-Renditen ab. Das hat damit zu tun, dass bei den Faktoren die Berechnung auf den monatlichen Differenzen der Long- und Short-Portfolios erfolgte, was kumuliert ein etwas anderes Ergebnis ergibt. Die Renditen der beiden branchenbezogenen Portfolios sind dagegen vergleichbar, aber das Low-Volatility-Portfolio hat eine geringere Standardabweichung vorzuweisen. Das hat, gemessen an der Sharpe-Ratio, ein besseres risikoadjustiertes Ergebnis zur Folge. Das Low-Volatility-Portfolio auf Aktien-Ebene hat dagegen eine deutlich stärkere absolute Performance vorzuweisen als sein volatileres Gegenstück. Nicht nur die Standardabweichung war deutlich geringer, sondern es konnte auch eine höhere Rendite verbuchen.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Low-Volatility-Faktor zwar sowohl auf Ebene von Einzelaktien als auch von Branchen erfolgreich umgesetzt werden kann, doch historisch gesehen war dieses Vorgehen auf Aktien-Ebene erfolgreicher. Zu erklären ist das vermutlich mit einer größeren Volatilität zwischen einzelnen Aktien, als dass zwischen verschiedenen Branchen der Fall ist. Weil Low-Volatility-Strategien auf Aktien-Ebene dazu neigen, sich defensiven Aktien zuzuwenden, hilft ihnen das dabei, die Volatilität stärker zu reduzieren, als das den branchenübergreifenden Strategien möglich ist.
In Übereinstimmung mit den Ergebnissen für die Value- und die Momentum-Faktoren waren die Low-Volatility-Faktoren auf Ebene der Einzelwerte und der Branchen in der Beobachtungsperiode stark miteinander korreliert (der Korrelationskoeffizient betrug 0,66.) Doch der Niedrig-Volatilitäts-Faktor auf Branchen-Ebene hat sich unterdurchschnittlich entwickelt und somit ein negatives Alpha generiert, wenn man dessen Ausrichtung mit Blick auf das Marktrisiko, Größenfaktoren, Value und den Low-Volatility-Faktoren auf Basis der Einzelwerte berücksichtigt. Zudem deutet das darauf hin, dass der Low-Volatility-Faktor auf Basis der Einzelaktien effektiver war.
Es überrascht nicht, dass der Low-Volatilitäty-Faktor auf Branchen-Ebene die Verbrauchsgüter (defensive Konsumwerte) und die Versorger durchgängig bevorzugte und in der Regel den Bereich Komponenten-Geschäft (das Technologie-Aktien einschließt) sowie Gebrauchsgüter (zyklischer Konsum) gemieden hat. Allerdings war hier die Betonung einzelner Branchen nicht so einheitlich wie beim Value-Faktor.
Die Ergebnisse der Studie legen folgende Schlüsse nahe:
- Value- und Low-Volatility-Strategien weisen beharrlich eine Übergewichtung von bestimmten Branchen auf, was nicht wesentlich zur Verbesserung ihrer Performance beiträgt. Anleger können die damit verbundenen aktiven Anlagerisiken reduzieren, indem sie diesen Brancheneffekt von Faktor-Strategien begrenzen, ohne dadurch gleichzeitig die Performance-Chancen zu verringern.
- Momentum-Anlage-Strategien funktionieren am besten, wenn die Branchengewichtung nicht beschränkt wird. Der Grund hierfür ist, dass die Branchen-Gewichtung von Momentum dynamisch ist. Das erlaubt es Investoren, sich kurzfristig bestehende Performance-Vorteile einer Branche zunutze zu machen.
Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass es sinnvoll ist, Branchen-Gewichtungen bei den Value- oder Low-Volatility-Strategien anzupassen. Kontrolliert man nicht, so neigen diese beiden Strategien dazu, langfristig Schwerpunkte bei bestimmten Branchen zu bilden, die allerdings nicht zum langfristigen Erfolg beitragen. Bei Momentum-Strategien ist es dagegen besser, solche Branchen-Schwerpunkte unangetastet zu lassen. Aber auch ohne Performance-Vorteil helfen Branchen-Beschränkungen Anlegern dabei, unerwünschten Wetten zu begrenzen. Das geht zu Lasten von geringerer Reinheit bei den Faktor-Stilen, einer höheren Umschlagshäufigkeit und einer größeren Komplexität. In unserem Beispiel hat sich das gelohnt. Ob das in der Praxis auch der Fall ist, hängt allerdings auch von Nebenbedingungen die Rebalancing-Häufigkeit sowie Produkt- und Handelskosten ab.