„Was für einen Sinn hat es, die Aktie eines nicht nachhaltig agierenden Unternehmens zu verkaufen, denn dann hält sie doch ein anderer Investor?“. Diese Frage stellen sich Anleger regelmäßig, und sie ist wichtig, weil sie auf einen wichtigen Punkt aufmerksam macht: Kann eine Desinvestment-Strategie, also das Abstoßen einer Aktie aus Nachhaltigkeitsüberlegungen, ein gleichermaßen effektiver wie sinnvoller Bestandteil einer ESG-Strategie sein?
Die Frage treibt übrigens auch Fondsmanager um. Einige verneinen die Sinnhaftigkeit, „ESG-Sünder“ zu verkaufen, andere gehen noch weiter und vertreten den Standpunkt, dass Desinvestments sogar einer Engagement-Strategie entgegenstünden. Wer nicht investiert sei, so das Argument der Kritiker, gebe die Möglichkeiten aus der Hand, die Strategie eines Unternehmens beeinflussen zu können. Dieses Argument ist valide. Wer eine Aktie hält, ist Miteigentümer eines Unternehmens, und wer das Eigenkapital gibt, hat auch das Sagen. Und es gilt das Motto: Je größer der Anteil am Eigenkapital ist, desto größer sind die Möglichkeiten des Investors, sein Portfolio-Unternehmen zu einer besseren Nachhaltigkeitsstrategie zu bewegen.
Halten wir zunächst fest, dass sich praktisch alle nachhaltigen Fonds darauf konzentrieren, ESG-relevante Aspekte in den Anlageprozess zu integrieren, um Investmentchancen zu identifizieren und wahrzunehmen. ESG-Investmentstrategien erschöpfen sich nicht darin, „unverantwortliche“ Unternehmen zu vermeiden. Egal, wie strickt ESG-Kriterien angewendet werden, ist die Idee hinter ESG-Fonds, ein Portfolio mit Unternehmen zusammenzustellen, die günstige finanzielle Eigenschaften bei ESG-bezogenen Themen aufweisen, in der Hoffnung, dass sich diese Praktiken positiv auf das Geschäft des Unternehmens auswirken.
Praktisch alle nachhaltigen Fonds konzentrieren sich darauf, ESG-relevante Aspekte in den Anlageprozess zu integrieren, um Investmentchancen zu identifizieren und wahrzunehmen
So weit, so gut. Doch darüber hinaus gilt es zugleich auch, Unternehmen zu vermeiden, die ESG-Risiken nicht effektiv managen. Für ein Transportunternehmen - zum Beispiel eine Fluggesellschaft – liegen die größten Probleme in den Bereichen CO2-Emissionen, Sicherheit und Humankapital. Die „Guten“ managen diese latenten Probleme besser als die „Schlechten“. Für ein Social-Media-Unternehmen stehen wiederum die Risiken Datenschutz, Sicherheit, Content Governance und wettbewerbswidrige Praktiken im Vordergrund. Auch hier gibt es gute wie schlechte Risikomanager.
Ceteris paribus wird der Manager eines ESG-Fonds die ESG-Leader den Nachzüglern vorziehen. Dadurch hofft er, das Portfolio resistenter gegen ESG-bezogene Risiken zu machen. Unternehmen, die ESG-Risiken am effektivsten angehen, sind in der Regel auch qualitativ hochwertige Unternehmen. Eine starke ESG-Performance dürfte künftig noch stärker als heute darüber entscheiden, welche Unternehmen als qualitativ hochwertig eingestuft werden. Und da Qualitätsunternehmen dazu neigen, ihre Wettbewerbsvorteile auszuspielen und so ein stetiges, langfristiges Wachstum zu erzielen, sind deren Aktien die Lieblinge von Investoren.
Ausschlüsse sind als Sekundärmerkmale von ESG-Strategien wichtig
Doch auch wenn es vielen Fonds nicht so sehr darum, die Werte eines Investors in einem Portfolio abzubilden, sondern darum, durch die Anwendung von ESG-Strategien den finanziellen Wert eines Portfolios zu steigern, werden die meisten ESG-Strategien auch mit Ausschlüssen arbeiten. Das ist häufig bei den Herstellern geächteter Waffen und Energiekonzernen der Fall, die in hohem Maße fossile Brennstoffe einsetzen.
Doch, um zur Ausgangsfrage zurückzukommen, machen solche Ausschlüsse einen Unterschied? Würde nicht ein anderer Investor an die Stelle des „Vermeiders“ treten? Und was würde passieren, wenn viele Investoren die Aktien dieses Unternehmens mieden? Könnte es dann so stark unterbewertet sein, dass die Unbeliebtheit eine Outperformance für diejenigen erzielen, die keine Probleme haben, in diese Aktien zu investieren?
Die Antwort ist „ja“, Ausschlüsse machen einen Unterschied. Auch wenn manche Anleger, vor allem Value-Investoren, gezielt in Unternehmen investieren, wenn ihr Wert infolge von (ESG-)Problemen stark gefallen ist. Es drei wichtigsten Argumente dafür, warum Ausschlüsse einen Unterschied machen können in der Übersicht:
1) Desinvestments sind ein starkes Signal der Eigenkapitalgeber, die Unternehmen zum Umdenken und auch zum Umsteuern bringen können. Unternehmen sorgen sich heute mehr denn um ihren Ruf; sie wollen negative Schlagzeilen vermeiden und ändern deshalb ihr Verhalten, wenn die Anleger mit den Füßen abstimmen;
2) Nicht in ein Unternehmen zu investieren, kann Ausdruck einer Investment-Meinung sein. Wer nicht in Unternehmen investiert, die in großem Stil auf fossile Brennstoffe setzen, will womöglich Investment-Ruinen, so genannte Stranded Assets, vermeiden, die zu hohen Abschreibungen führen können. Es geht also nicht darum, „unverantwortlich“ handelnde Öl- und Gasunternehmen abzustrafen, die durch das Verfeuern fossiler Brennstoffe die globale Erwärmung zu verursachen, sondern Schaden vom Portfolio abzuwenden;
3) Aus der Behavioral-Perspektive kann der Investor, zusätzlich zum potenziellen materiellen Nutzen (eine Outperformance), gibt es emotionale Vorteile („es fühlt sich gut an, nachhaltig zu investieren“) und expressive Vorteile („mein Verhalten spiegelt wider, wer ich bin“) von Desinvestments. Wer Waffen oder Tabak oder private Gefängnisse unmoralisch findet, will solche Unternehmen aus seinem Portfolio entfernen. Man kann ja schließlich auch mit anderen Investments Geld verdienen.
Wer Waffen oder Tabak oder private Gefängnisse unmoralisch findet, will solche Unternehmen aus seinem Portfolio entfernen. Man kann ja schließlich auch mit anderen Investments Geld verdienen
Erleichtert wird eine Ausschluss-Strategie übrigens dadurch, dass die heute verfügbaren Optimierungstechniken es möglich machen, Ausschlüsse in einem Portfolio vorzunehmen, ohne den Tracking Error zu erhöhen. Das ist gerade für institutionelle Investoren wichtig, deren Mandate häufig Tracking-Error-Beschränkungen unterliegen.
Fazit
Es ist in Ordnung, mit Ausschlüssen zu arbeiten. Investoren machen einen Unterschied, wenn sie nicht in Unternehmen investieren, die ungünstige ESG-Eigenschaften aufweisen. Allerdings sollte man bedenken, dass nachhaltige Fonds zwar Ausschlüsse verwenden können, ihr Hauptaugenmerk aber darauf liegt, ESG-Überlegungen systematisch in den Anlageprozess zu integrieren. Das Ergebnis ist ein Portfolio, das sich an nachhaltigen, qualitativ hochwertigen Unternehmen orientiert, die Nachhaltigkeitsprobleme in einer Weise angehen, dass es ihnen langfristig Wettbewerbsvorteile ermöglicht.