Wenn ein Redner in der Lage ist, mit einem klassischen Marktausblick ein Publikum, das sich aus Finanzprofis zusammensetzt, zu fesseln, dann muss es sich entweder um einen begnadeten Redner handeln, oder das von ihm präsentierte Szenario muss bahnbrechend neue Erkenntnisse bringen, sodass ihm die Aufmerksamkeit des Publikums gewiss ist. Mohamed El-Erian hat auf einer Investmentkonferenz des Fondshauses Lupus Alpha in Frankfurt am Dienstag dieser Woche gleich beide Kriterien erfüllt. Vermutlich werden einige der institutionellen Profis zuhause die Bleistifte spitzen und über ihre Asset Allocation zum Jahresende reflektieren. So eine Reaktion ist ein Traum für jeden Redner!
Was El-Erian, der nach seinem unschönen Abschied bei PIMCO nach seinem Zoff mit Bill Gross klugerweise von der Allianz als Berater engagiert wurde, sagte, war eigentlich so neu nicht: Er erwartet in den nächsten drei bis vier Jahren eine schwere Rezession, die vor allem durch die ultralockere Geldpolitik verschärft werde. El-Erian prangerte dabei vor allem die Negativ-Zinsen in der Eurozone an, die seiner Meinung nach dazu angetan seien, „Zombie-Firmen“ am Leben zu halten und die Asset-Preise zu verzerren – vor allem bei Nominalwertanlagen könne das zu dramatischen Verwerfungen führen. Wie man es von deutschen Investoren erwarten würde, gab es reichlich Applaus.
70 Prozent Cash und eine Prise Argentinien
Bemerkenswert die radikalen Konsequenzen El-Erians, die offenbar nicht nur gedanklicher Natur sind. Er gab Einblicke in seine persönliche Asset Allocation. Sein persönliches Portfolio bestehe nunmehr zu Zweidritteln aus Cash, er engagiere sich unter Umgehung des Kapitalmarkts direkt in der Realwirtschaft im Peer-to-Peer Lending und er habe Argentinien-Bonds zu 30 Cent gekauft.
Auch wenn man nicht von heute auf morgen alles umwerfen müsse, riet er Investoren, ihr Portfolio wetterfest machen und vor alle die Liquidität der Bond-Seite kritisch zu überprüfen. Auch Hedgefonds seien in so einem Umfeld interessant, so der Allianz-Berater.
Um sein Szenario zu untermauern, zeichnete der Ex-PIMCO-Manager ein Alternativ-Szenario: Ein Weiter-so, das tatsächlich die Investment-Praxis vieler Investoren widerspiegelt. Diese seien „notorisch optimistisch“, so El-Erian. Sie würden davon ausgehen, dass noch vor wenigen Jahren undenkbare Szenarien einen guten Ausgang nehmen würden: Der Angriff auf die liberale Welthandelsordnung durch ihren Spiritus Rector USA, der Brexit, negative Renditen in weiten Teilen der Bond-Märkte, die Präsidentschaft von Donald Trump – um nur einige Punkte zu nennen. „Hätte ich Ihnen an dieser Stelle vor vier Jahren diese Ereignisse als todsichere Prognosen genannt, hätten Sie mir nie geglaubt“, so El-Erian. Doch Anleger hätten sich umstandslos an die neuen Realitäten angepasst und täten so, als ob diese höchst bedenklichen Entwicklungen normal seien.
Darf man heute noch ins Risiko gehen?
An dieser Stelle fühlte sich Ihr Morningstar-Marktbeobachter ertappt. Erst vor wenigen Wochen hatte ich mich in einem Kommentar gegen die Bedenkenträgerei vieler Investoren gewandt mit dem Argument, dass die Bewertungen auf der Aktienseite nicht so hoch seien und Fonds-Investoren sich von Aktien zurückhielten, was eher gegen eine „Irrational Exuberance“ spreche. Als Fazit hielt ich Anfang September fest: „Angesichts des gemischten Bildes, das die Konjunkturseite zeigt, ist zwar Achtsamkeit angesagt, aber es gibt keinen Grund zur Panik. Anleger sollten klare Kante zeigen und ihre Portfolios auf Kurs halten“.
War das fahrlässig? Treibt der Morningstar-Kommentator mit seinen Empfehlungen für strategisch aufgesetzte, konventionelle Aktien-Renten-Portfolios (die gerne aus ETFs bestehen können) Investoren in ihr Verderben? Möglich ist alles, aber ich halte das nach wie vor nicht für wahrscheinlich. Zumindest nicht kurzfristig, und das aus etlichen Gründen.
Fangen wir mit dem Vortrag El-Erians an, dem eine binäre Szenario-Analyse zugrunde liegt. Sie ist zwar plausibel, aber natürlich kommt hier der Profi-Redner ins Spiel. Er kommt den Bedürfnissen seiner Zuhörer entgegen, indem er zwei Szenarien - und nicht drei und nicht vier und nicht fünf - anbietet, um dann mit gekonnten rhetorischen Figuren das konventionelle Szenario an seinem unkonventionellen, innovativen Ausblick zerschellen zu lassen.
Wir Menschen sind es gewohnt, in binären Gut-Böse- bzw. Schwarz-Weißt-Szenarien zu denken, und da kommt uns eine brillante Rede entlang einer klaren Spaltungslinie gerade recht.
Auch inhaltlich sind Alternativen durchaus denkbar, egal, wie einleuchtend uns eine binäre Optionalität auch erscheinen mag. Angesichts vergangener Erfahrungen ist ein „Middle of the Road“-Szenario denkbar. Ja, man kann es sogar bei den beiden Extremen belassen, die El-Erian darlegt, und einzig die zeitliche Spanne zwischen dem heute und dem Eintrittszeitpunkt der Krise strecken. Auch wenn man Negativ-Zinsen ein zutiefst zerstörerisches Potenzial zubilligt, kann es weitaus länger als vier Jahre dauern, bis sich eine – keinesfalls ausgemachte - Kernschmelze an den Kapitalmärkten ereignet. Das gäbe der Sache eine ganz anderen Dreh.
Ist Japan ein Zombie-Staat?
Das beste Beispiel für ein nachhaltiges Niedrigzinsszenario bietet Japan, wo die Zentralbank bereits im Jahr 1999 den Leitzins auf null senkte. Bekanntlich kämpft die Bank of Japan seit geraumer Zeit gegen die Deflation mit Mitteln, die jeden ordentlichen deutschen Bundesbanker vor Schreck ergrauen lassen würde, unter anderem durch den Ankauf von Aktien-ETFs! (Das macht übrigens auch die hochseriöse Schweizer SNB). An dieser Anti-Orthodoxen Vorgehensweisen ist Japan übrigens nicht zerbrochen, auch wenn das Land bei (ordo-) liberalen Volkswirten fast schon als Inbegriff eines Zombie-Staates gilt.
Es ist entsprechend sehr wahrscheinlich, dass die Europäische Zentralbank im Krisenfall noch ganz andere Instrumente entdecken und auch in die Hand nehmen wird. Auch dürften beim Eintritt einer Krise auch die bisher erschreckend inaktiven EU-Staaten mit massiven und konzertierten fiskalpolitischen Maßnahmen gegensteuern.
Es ist in unserem heutigen Zusammenhang egal, wer sich als Vorkämpfer gegen die nächste Krise auszeichnen wird, und es ist hier auch unerheblich, ob die Maßnahmen gegen die nächste Krise langfristig schädlich sein werden. Es geht uns an dieser Stelle „nur“ darum, aufzuzeigen, dass ein Szenario des dritten Weges nicht von der Hand zu weisen ist. Zumal es das Dilemma von Langfrist-Investoren aufs Vortrefflichste abbildet.
Wer langfristige Verpflichtungen hat, kann nicht mal eben seine Cash-Quote auf Verdacht auf 70 Prozent hochschrauben und auf die Krise warten. Und nur die wenigsten Privatanleger dürften in der Lage sein, in großem Stil diversifiziert ein Peer-to-Peer-Lending Portfolio aufzubauen oder in qualitativ hochwertige Hedgefonds zu investieren.
Daher bleibt ein „Muddling-through-Szenario“ ein reelles. Wer diesem nachhängt und ein konventionelles Aktien-Renten-Portfolio aufgebaut hat, hat wenig Handlungsbedarf. Doch mit Sicherheit wäre die Reaktion des Publikums auf die Rede El-Erians weniger euphorisch ausgefallen, wenn er ein Durchwurstel-Szenario als wahrscheinlich vorgestellt hätte, in dem weiterhin ordentliche Erträge mit Aktien und sogar mit Bonds möglich und auch wahrscheinlich sind. Mit Sicherheit hätte keiner der Anwesenden Bleistifte gespitzt und der Applaus wäre allenfalls höflich gewesen, wenn El-Erian die Mega-Krise auf das Jahr 2050 hinausgeschoben hätte. So eine Reaktion ist ein Alptraum für jeden Redner!
Eine Lanze für Charles Prinz brechen
Das dem damaligen Citigroup-Chef Charles Prince zugeschriebene Zitat, „solange die Musik noch spielt, muss man aufstehen und tanzen“, gewinnt vor diesem Hintergrund eine andere Konnotation. Was gemeinhin als Ausdruck eines verabscheuungswürdigen Kasino-Kapitalismus gilt, lässt sich auch als Dilemma des typischen Langfrist-Investors darstellen. Wer zur Sicherung eines auskömmlichen Einkommens im Alter auf Kapitalmarktrenditen angewiesen ist, muss bei der Stange bleiben.
Natürlich sollten Privat-Investoren immer eine gewisse Cash-Quote vorhalten, was angesichts der Negativrenditen weiter Teile des Bondmarktes auch nicht mit Opportunitätskosten verbunden wäre. Doch insgesamt hängen alle Renditejäger am Tropf der Aktienmärkte. Nur dort sind auskömmliche Risikoprämien zu ernten. Auch heute noch.