Vanguard-Gründer John "Jack" Bogle hat sich selten geirrt. Er traf den Nagel auf den Kopf, als er sich anschickte, Index-Investments für alle zugänglich zu machen. Mit Indexfonds bekamen Privatanleger die Möglichkeit an die Hand, in Investmentfonds zu Konditionen zu investieren, die sonst nur Großanlegern zur Verfügung standen. Dass Vanguard trendige Fondsauflegungen vermied, war auch goldrichtig. Er erkannte zudem, dass eine positive Presse Vanguard mehr nützen würde als die Einstellung einer teuren Verkaufsmannschaft. Er hatte sogar Recht, als er argumentierte, dass US-Anleger keine Aktien aus Übersee besitzen müssten. (Vielleicht hatte er hier einfach nur Glück, dass sich US-Aktien so gut entwickelt haben, aber Recht behalten heißt nun mal Recht behalten.)
Aber er hat sich in einem wichtigen Punkt geirrt: Seine Kritik an börsennotierten Indexfonds ging am Ende ins Leere. Sie entsprang zwar einem berechtigten Verdacht, war aber gegen Ende seines Lebens aus der Zeit gefallen. Zu Bogles Überzeugungen gehörte, dass börsengehandelte Fonds schlechte Investitionen seien. Im Gespräch mit Jeff Cox von CNBC bezeichnete er ETF-Investoren sogar einmal als „Spinner und Verrückte“. Seine Kritik mag er sprachlich etwas abgemildert haben, seine Ansichten hat er aber nie korrigiert. ETFs gefährdeten ihre Investoren, und Vanguard hätte sie nicht übernehmen dürfen. Punkt. Basta!
Um Bogles vordergründig befremdliche Kritik zu verstehen, muss man einige Jahrzehnte in die Geschichte zurückgehen.
Wie Index-Investments in den USA entstanden
Erdacht wurde das Konzept des Investmentfonds von den Treuhandabteilungen der Banken und partnerschaftlich organisierten Vermögensverwaltern in den USA als bequeme Verpackungen für Wertpapiere. Sie waren für langjährige Kunden gedacht. Die frühen Fonds wiesen niedrige Kosten auf und schichteten ihre Portfolios nur sparsam um. Die Halteperioden dieser Vehikel wurden in Jahrzenten gemessen. Die Fonds-Pioniere verstanden sich in erster Linie als Sachwalter der Interessen ihrer Partner und Aktionäre.
So sah das relativ idyllische Bild aus, als Bogle als Student in Princeton zum ersten Mal das Fondsgeschäft studierte. Mit der Zeit, so behauptete er, erodierte jedoch das Selbstverständnis der Branche, weil ihr Erfolg nichttraditionelle Marktteilnehmer anzog, die andere Dinge im Sinn hatten. Beim Betrieb von Fonds ging es der neuen Generation der Geldverwalter laut Bogle weniger um den Aufbau starker Beziehungen zu Kunden als vielmehr um die Steigerung des jährlichen Cashflows. Besonders die als Geldverwalter tätigen Broker an der Wallstreet waren Bogle ein Graus. (Sie sind heute längst verschwunden.)
Bogle legte sich quer
In den 1980-er Jahren kam die Idee auf, Wertpapiere in gebündelter Form an die Börse zu bringen. Die ersten ETFs wurden von einer Börse gegründet, um mit den Terminbörsen zu konkurrieren. Die American Stock Exchange lancierte 1989 einen Vorläufer der ETFs. Dieses Produkt wurde bald per Gerichtsbeschluss kassiert – die Chicago Mercantile Exchange hatte geklagt und argumentiert, dass das Produkt der AMEX zu sehr einem Futures-Kontrakt ähnele. Im folgenden Jahr brachte dann die Toronto Stock Exchange einen besser konzipierten ETF auf den Markt, und die USA folgten 1993 mit dem SPDR S&P 500 ETF.
Und was war mit Bogle? Ihm behagten offenbar weder der Geburtsort der ETFs und auch nicht die ganzen Begleitumstände. Die zugrundeliegende Investition schien in Ordnung zu sein, da sie sich nicht von Index-Investmentfonds unterscheiden ließ, aber die Motivation war seiner Meinung nach schrecklich. Der Versuch, Terminbörsen Geschäfte abzuluchsen mit einem Investmentvehikel, das das Handelsvolumen einer Börse erhöhen würde? Das konnte unmöglich gut für Investoren sein! ETFs würden laut Bogle das Vermögen von den Anlegern hin zu den Börsen transferieren. Da jeder Dollar, den die Investoren mit Handelsgeschäften verschwendeten, in die Taschen der Börsen fließen würde, war das für den Indexfonds-Altmeister tabu!
Ständig bessere Bedingungen für Anleger – nicht trotz, sondern wegen ETFs
Mit Blick auf die Einschätzung, dass das traditionelle Selbstverständnis der Fondsanbieter des fiduziarischen Geldverwalters Bestand haben müsse, lag Bogle richtig. Er betrachtete vor dreißig Jahren Fidelity, American Funds und T. Rowe Price aufgrund des Backgrounds dieser Unternehmen als legitime Konkurrenten für Vanguard.
Bei ETFs lag Bogle aber falsch, und er hat seine Ansichten nie revidiert. Natürlich nutzen auch kurzfristige Trader ETFs, aber eben auch eine sehr große Schicht von Investoren und Beratern. Bogle wollte nicht anerkennen, dass ETFs beim Abbau von Vertriebsbarrieren und der Veränderung der Investmentkultur eine herausragende Rolle gespielt haben.
Für Berater in den USA, die auf wenigen Vertriebsplattformen registriert waren, waren ETFs eine gute Lösung, weil sie aufgrund der Börsenkotierung allgemein zugänglich waren. Sie gaben ihnen eine größere Auswahl an Produkten an die Hand. ETFs wurden so zum festen Bestandteil von Beratungsmodellen.
Privatanleger waren wiederum nicht länger gezwungen, hohe Kosten zu berappen, um an Fonds zu kommen. Zur Erinnerung: Auch bei herkömmlichen Indexfonds fielen mitunter hohe Ausgabeaufschläge an.
ETFs haben also die Anlagemöglichkeiten für Privatanleger erweitert. Und sie erweitern diese übrigens auch heute beständig weiter. So hat jüngst Dimensional Fund Advisors (DFA), immerhin der fünftgrößte Anbieter von Investmentfonds in den USA, ankündigt, seine bisher nur über Berater zugänglichen Fonds durch drei ETFs zu ergänzen. Privatanleger werden also die Chance haben, direkt in DFA-Portfolios zu investieren – so sie dies wünschen.
Dies ist ein ausgesprochen positiver Trend. Aus der Sicht eines Anlegers sollten Fondsgesellschaften nicht aufgrund ihrer Vertriebsmodelle prosperieren oder scheitern. Entscheidend ist, wie sie ihre Investoren behandeln. Ironischerweise kommen ETFs der Erfüllung der Vision von Jack Bogle näher als die Fondsbranche. Bogle setzte darauf, dass letztlich weniger die Vertriebsform, sondern die Qualität von Fonds den Ausschlag geben würde. Mit dieser Vorhersage hatte er Recht - aber er erkannte nicht, dass ETFs seine Verbündeten in diesem Bestreben sein würden - und nicht seine Widersacher.