Im ersten Teil der Serie zu Value-Investing haben wir illustriert, wie tief das Tal der Tränen ist, das Value-Aktien, vor allem jedoch Value-Anleger, durchschreiten. Wir sind auch auf die möglichen Ursachen der schlechten Wertentwicklung des Value-Stils im Vergleich zum Growth-Stil eingegangen. Die vermutlich für viele Anleger frustrierende Antwort auf die Frage, ob der Value-Stil tot sei, lautete: Man weiß es nicht. Dennoch bleibt festzuhalten: Es spricht einiges dafür, dass das, was langfristig gut funktioniert hat, auch für die Zukunft relevant bleiben wird. Value wäre demnach nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen.
Das bringt uns zur Gretchenfrage: Wenn Value als Investment-Stil eine Zukunft hat: Welche Wege könnten zum Erfolg führen? Das ist eine ambitionierte Frage, denn es gibt in der Praxis dutzende, möglicherweise sogar hunderte verschiedene Zugänge zum Value-Stil. Vor allem bei aktiv verwalteten Fonds gleicht kaum ein Investmentprozess dem anderen. Auch bei Value-Indizes gibt es höchst unterschiedliche Gewichtungskriterien. Zur Erinnerung: Strategic Beta-Indizes für Value-Aktien unterscheiden sich funktional nicht von aktiven Management-Ansätzen, weshalb Value-Investing auch bei passiven Investments eine höchst komplexe Angelegenheit sein kann.
Wir unternehmen daher hier nicht den vermessenen Versuch, der Komplexität des Value-Stils vollumfänglich gerecht zu werden, sondern beschränken uns auf zwei idealtypische Zugänge zum Value-Stil, die Anlegern zumindest eine grobe Orientierung geben, wenn es darum geht, einen ersten Zugang zur Praxis von Value-Investments zu eröffnen. Ausgehend davon werden wir im Anschluss einige Value-Fonds und -ETFs vorstellen, die über ein gutes Morningstar Analyst Rating verfügen.
Anhand einiger Bespiele zeigen wir zwei Pfade zu Value-Investments auf.
1. Vermeintlich „pures“ Value für die Puristen
Einen naiven, puristischen Zugang zu Substanzwerten ermöglicht der Index S&P 500 Pure Value. Hier werden die günstigsten Aktien aus dem S&P 500 ausgewählt und anhand der Stärke ihrer Value-Eigenschaften gewichtet. Dieser Index bringt typischerweise etwas mehr als 100 Aktien zusammen, was auf den ersten Blick für eine ordentliche Diversifikation zu sprechen scheint. Und tatsächlich findet sich keine Aktie mit einem Gewicht von annähernd fünf Prozent. Die Warren-Buffett-Holding Berkshire Hathaway kommt auf einen Anteil von rund 3,3 Prozent des Indexgewichts, gefolgt von General Motors (2,6 Prozent) Gap (2,5 Prozent) und Ford (2,4 Prozent).
Doch anders sieht es auf Ebene der Branchen aus. Hier offenbart sich, dass der Value-Index alles andere als diversifiziert ist. Finanzdienstleister sind hier mit gut 33 Prozent gewichtet. Man muss wissen, dass dieser Sektor nur knapp 13 Prozent im „Mutterindex“ S&P 500 ausmacht. Die Technologiebranche ist dagegen nur mit rund zwei Prozent im Value-Index gewichtet gegenüber rund 25 Prozent im S&P 500.
Bereits hier deutet sich das Worst-Case-Szenario einer derartigen Unwucht auf Sektorebene an: Finanzaktien im S&P 500 zählen zu den Verlierern im laufenden Jahr, während Technologie-Aktien eine sehr gute Performance hingelegt haben. Entsprechend hat der Value-Index in den ersten zehn Monaten dieses Jahres einen Verlust von gut 26 Prozent verkraften müssen, während sein Mutterindex um knapp drei Prozent zulegen konnte (Performance in US-Dollar gerechnet). Das entspricht einer Underperformance von fast 30 Prozentpunkten – in nur zehn Monaten!
So weit, so klar und so ernüchternd. Halten wir also fest, dass eine zügellose Konzentration auf die absolut billigsten Aktien eines Marktes eine signifikante Unwucht auf Sektorebene zur Folge haben kann. Dieser so genannte „Deep Value“-Ansatz ist beileibe nicht nur ein Kennzeichen von exotischen Indexfonds, sondern wurde vor allem von aktiven Managern einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Am deutschsprachigen Markt sind vor allem die Häuser Fidecum und Mandarine Gestion für diesen puristischen Value-Ansatz bekannt.
2. Sektor-Risiken sind schlechte Risiken
Das bringt uns zur zweiten Ausprägung von Value-Investing, über den Puristen möglicherweise die Nase rümpfen. Hierfür steht der MSCI USA Enhanced Value Index. Er leitet sich aus dem MSCI USA ab. Der Algorithmus zielt darauf ab, die günstigsten Aktien aus jedem Sektor (eigene Hervorhebung) des MSCI USA Index auszuwählen. MSCI weist jeder Aktie aus dem Mutterindex einen Score zu, basierend auf den Value-Kennzahlen Kurs/Buchwert, Kurs/Gewinn-Verhältnis und Unternehmenswert/Cashflow. Es werden dann die Aktien mit den höchsten Scores so lange abgetragen, bis eine vorher festgelegte Zielanzahl von Wertpapieren erreicht wird, die zwischen 20 und 40 Prozent der Marktkapitalisierung des Mutterindex entspricht. Es werden 150 Aktien ausgewählt, die nach der Stärke ihrer Value-Eigenschaften und nach ihrer Marktkapitalisierung gewichtet werden.
Diese recht komplex anmutende Vorgehensweise hat einen relativ einfachen Hintergrund: Es geht darum zu verhindern, dass der Index ungezügelte Sektor-Wetten eingeht. Daher werden die günstigsten Aktien aus den verschiedenen Sektoren herausgefiltert und anhand ihrer Value-Eigenschaften und dem Prinzip der Marktkapitalisierung gewichtet. Folgerichtig ist der Index stärker in höher bewerteten Sektoren engagiert als viele andere Value-Ansätze. Das zeigt ein Blick auf die Gewichtung der zwei oben bereits thematisierten Sektoren: Der MSCI USA Enhanced Value hat nur ein zehnprozentiges Gewicht im Finanzsektor, was sogar eine Untergewichtung gegenüber dem Mutterindex MSCI USA darstellt, der Finanztitel mit gut zwölf Prozent gewichtet. Der Technologie-Sektor macht in beiden Indizes gut 24 Prozent aus.
Doch wer nun hoffnungsfroh die Performance-Zahlen der beiden MSCI-Indizes vergleicht, stellt ernüchtert fest, dass auch diese ausgeklügelte Methode nicht die Quadratur des Kreises brachte. Auch dieser Value-Index blieb hinter dem MSCI-Mutterindex zurück. Mit einem Minus von 17,5 Prozent in den ersten zehn Monaten lag er allerdings „nur“ um 21 Punkte hinter dem MSCI USA, der um gut vier Prozent zulegen konnte. Unter den Blinden ist der Einäugige König, ist man versucht zu sagen. Das deutet an, dass Anleger nicht zwangsläufig dafür kompensiert werden, dass sie billigsten Aktien eines Marktes halten. Aber immerhin können sie sicher sein, mit einer derartigen Vorgehensweise die sektorspezifischen Risiken auszuschalten und auf die günstigsten Aktien innerhalb eines Sektors zu setzen (eigene Hervorhebung).
Haben Technologie-Aktien einen Platz im Value-Portfolio?
Interessanterweise schneidet der MSCI USA Enhanced Value Index unter Value-Gesichtspunkten im Vergleich zu Konkurrenzfonds aus der Kategorie Aktien USA Value gut ab, ungeachtet der Tatsache, dass er auch auf höher bewertete Sektoren wie Technologie setzt. Er weist anhand fast aller Value-Kennzahlen eine höhere Bewertung auf als der S&P 500 Pure Value Index, aber er ist auf der anderen Seite deutlich günstiger als der Durchschnitt der anderen – auch aktiv verwalteten - USA Value-Fonds. Die (teilweise) Kapitalisierungsgewichtung bringt zudem eine höhere Liquidität mit sich als beim durchschnittlichen USA-Value-Fonds, bei dem der Liquiditätsfaktor deutlich geringer ausgeprägt ist.
Die Nachteile eines derartigen sektorneutralen Vorgehens: Diese Value-Strategie überlässt Mr. Market die Entscheidung, wie hoch ein Sektor gewichtet ist. Im Ergebnis kann ein Sektor besonders prominent vertreten sein, wenn er zuvor hochgekauft wurde. Teure Sektoren werden ein höheres Gewicht haben als in einem nach Marktkapitalisierung gewichteter Value-Index. Ebenso sieht dieser Algorithmus nicht vor, Chancen wahrzunehmen, die resultieren können, wenn ein Sektor auf breiter Front einbricht und sich attraktive Einstiegschancen bieten.
Wie lassen sich Kollateralschäden vermeiden?
Der MSCI USA Enhanced Value ist also ein Avatar des Marktes - heruntergeprügelte Sektoren werden gegenüber anderen Value-Fonds untergewichtet. Hinzu kommt, dass Fonds und ETFs, die diesem Indexprinzip folgen, überdurchschnittlich häufig umschichten müssen, weil sie die Sektorneutralität periodisch wiederherstellen müssen. Rein kapitalisierungsgewichtete Value-Ansätze unterliegen diesem Zwang indes nicht; sie können die Gewichtungen „laufen lassen“, was die Transaktionskosten im Vergleich zu dem sektorneutralen Ansatz begrenzt.
In der Welt der Faktor-Investments werden Sektor-Gewichtungen oft nicht berücksichtigt. Faktor-orientierte Strategien zielen häufig auf Wertpapiere mit bestimmten Merkmalen wie niedrige Bewertungen, hohe Rentabilität, Momentum oder geringe Volatilität ab. Diese Strategien mögen in der Vergangenheit eine attraktive langfristige risikobereinigte Performance erbracht haben. Die meisten faktororientierten Strategien können in ihrer Reinform jedoch zu unbeabsichtigten Branchenwetten führen. Zwar können diese Sektor- und Sub-Sektor-Exposures zur Outperformance einer Strategie beitragen, was sie auf den ersten Blick wünschenswert macht. Schlimmstenfalls stellen diese Exposures allerdings ein nicht kompensiertes aktives Risiko dar - mit potenziell hohen Kollateralschäden, die Faktorprämien potenziell empfindlich schmälern können.
Einen tieferen Einblick in die Problematik von Sektor-Exposures von Investment-Faktoren bietet das bereits 2017 veröffentlichte Papier „The Impact of Industry Tilts on Factor Performance“ von Alex Bryan und Adam McCullough, das Sie hier kostenlos herunterladen können.
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