Auf der ganzen Welt gewinnen ökologische, soziale und Governance-Überlegungen bei Investitionen zunehmend an Bedeutung. Immer mehr Anleger überlegen, wie ESG-Strategien in ihren Portfolios eine Rolle spielen können. Im November 2020 haben wir ein weiteres ESG-Rating lanciert: das Morningstar ESG Commitment Level. Zum Start erstellten unsere Manager-Research-Analysten eine Bewertung für 107 Einzelstrategien und 40 Vermögensverwalter. Diese Coverage-Liste wird nach und nach erweitert.
Ein kritischer Blick auf das „Fonds-Elternhaus“
Anleger, die verstehen wollen, wie ESG-Faktoren in Fonds eingesetzt werden, kommen an der Analyse der zugehörigen Fondsgesellschaft nicht vorbei. Ähnlich wie bei Compliance oder Risikomanagement können ESG-Ressourcen unternehmensweit eingesetzt werden. Daher ist es entscheidend, wie ein Unternehmen diese Ressourcen entwickelt und ob diese auf schlüssige Weise zum Einsatz kommen. Wenn es um die Stimmrechtsvertretung geht macht es einen Unterschied, ob man das volle Gewicht einer Organisation über alle Investmentvehikel hinweg bei einer Abstimmung einbringen kann. Und ein Fondshaus kann durch die entsprechende Prioritätensetzung im Top-Management das Thema ESG für alle verbindlich vorgeben. Auch der Einsatz von entsprechenden Kontrollinstrumenten und die Schaffung von Anreizen in der Organisation können die Effektivität von ESG-Strategien stützen.
Bei der Bewertung des ESG-Engagements eines Asset Managers stehen drei Bewertungspfeiler im Vordergrund: die ESG-Philosophie und der ESG-Prozess, die mit 40 Prozent in die Note des ESG Commitment Levels für das Fondshaus einfließen, die Ressourcen (30 Prozent) sowie ‚Active Ownership‘ (30 Prozent). Das ESG Commitment Level wird auf einer vierstufigen Skala vergeben (in absteigender Reihenfolge): „Leader“ (führend), „Advanced“ (fortgeschritten), „Basic“ (Grundstufe) und „Low“ (niedrig).
Von Vorreitern und Nachzüglern
Für Leader-Firmen ist ESG oft der Kern der Firmenidentität. Sie blicken auf eine lange ESG-Geschichte zurück. ESG-Erwägungen sind im gesamten Unternehmen tief verwurzelt und allgegenwärtig - in den Investmentprozessen, Fonds, Abstimmungsprotokollen und in ihrer eigenen Geschäftstätigkeit. Diese Unternehmen berichten auch transparent über ihre ESG-Maßnahmen und Philosophie.
Fortgeschrittene Firmen integrieren ESG bewusst in ihre Anlageprozesse, verfügen über solide ESG-Ressourcen und überwachen die Einhaltung von ESG-Kriterien. Sie artikulieren ihre Vorgehensweise in Bezug auf ESG, wenden diese aber in begrenzterem Umfang an als führende Unternehmen. Dennoch liegen die fortgeschrittenen Firmen in puncto ESG über dem Branchendurchschnitt.
Unternehmen, die nur die Note ‚Basic‘ erhalten, integrieren ESG auf einem niedrigeren Niveau als Leader- und Advanced-Firmen, oder sie befinden sich möglicherweise in einem früheren Stadium ihrer Entwicklung zu einem ESG-Player. Diesen Firmen fehlt es in der Regel an einem oder mehreren Aspekten, die für eine effektive ESG-Strategie von zentraler Bedeutung sind.
Ein Engagementniveau von „Low“ kann auf mehrere Dinge hinweisen: Ein Unternehmen ist möglicherweise bei der Integration von ESG nicht festgelegt und verwendet daher ESG-Kriterien nicht, oder berücksichtigt ESG nur in begrenztem Umfang oder in uneinheitlicher Form; oder es leistet möglicherweise schlechte Arbeit bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren in seine Anlageprozesse.
Philosophie und Prozess
Wenn wir die Philosophie und den Prozess einer Fondsgesellschaft betrachten, beurteilen wir, wie wichtig ESG für ihren Charakter ist und ob sie diese „Denke“ auf überzeugende Art unter Beweis stellt. Wir stellen dabei u.a. folgende Fragen: Ist das Fondshaus Unterzeichner der UNPRI-Prinzipien? Hat es unternehmensweite Ausschlüsse für seine Portfolios festgelegt? Wir beurteilen auch, ob die Selbstdeklaration des Fondshauses als ESG-bewusster Asset Manager tragfähig ist und ob es darüber Rechenschaft ablegt. Die Einbeziehung von ESG-Faktoren in die Anlageprozesse jenseits einzelner Fonds zeigt den Grad der Integration von ESG-Faktoren. Eine formales Monitoring, wie Portfoliomanager ESG-Faktoren in ihre Prozesse integrieren, und die Transparenz gegenüber den Kunden in Bezug auf ESG-Kennzahlen für jeden Fonds tragen dazu bei, die Qualität eines Unternehmens mit Blick auf die glaubwürdige Integration von ESG zu untermauern.
Ressourcen
ESG-Investieren ist komplex und erfordert spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten; hinzukommt, dass sich die ESG-Landschaft fortlaufend weiterentwickelt. Beispielsweise gibt es sehr unterschiedliche ESG-Präferenzen auf Seiten der Anleger. Die Definitionen, was ESG ist, können nebulös und die regulatorischen und politischen Überlegungen schnelllebig sein. Gute Ressourcen sind daher entscheidend. Bei der Bewertung achten wir darauf, ob ein Asset Manager über ausreichend ESG-Spezialisten, -Daten und -Prozesse verfügt. Unternehmen haben die Wahl, wie sie ihre ESG-Spezialisten organisieren: Bauen sie ein spezialisiertes Team auf, oder entwickeln sie ESG-Expertise innerhalb der Investmentteams? Noch wichtiger ist eine gute Ausbildung der ESG-Experten und/oder Erfahrung mit der ESG-Integration. Daten von Drittanbietern liefern dringend benötigte Informationen und Zusammenhänge, aber die Entwicklung von proprietärem ESG-Research fördert das Verständnis eines Fondshauses für ESG und kann seine Analysen von denen der Konkurrenz abheben.
Aktive Eigentümerschaft (Active Ownership)
Wenn es darum geht, ESG-Initiativen gegenüber den Portfolio-Unternehmen voranzutreiben, verfügt der Vermögensverwalter über ein mächtiges Instrument: sein Stimmrecht als Eigenkapitalgeber. Viele Aktionäre bekennen sich seit langem zu einer guten Unternehmens-Governance und haben ihr Abstimmungsverhalten anhand solcher Prioritäten ausgerichtet. Anders sieht es dagegen sehr oft bei Umwelt- und Sozialbelangen aus. Für viele Fondshäuser waren und sind diese Aspekte als ursächliche Motive für ihr Abstimmungsverhalten neu oder noch wenig relevant. Wir prüfen daher, wie die Richtlinien für die Stimmabgabe in Umwelt- und Sozialfragen aussehen und untersuchen die Erfolgsbilanz von Vermögensverwaltern bei der Abstimmung für ESG-Resolutionen. Engagement ist eine weitere Form des aktiven Eigentums, die sowohl Aktien- als auch Anleiheninhaber ausüben können. Das Engagement erstreckt sich über ein breites Spektrum - von einmaliger, einseitiger Kommunikation (z.B. ein Brief an den CEO), bis hin zu mehrfachen Interaktionen mit mehreren Personen und klar formulierten Erwartungen. Firmen an diesem Ende des Spektrums schneiden beim Engagement besser ab.
Fazit
Das Interesse der Investoren an nachhaltigen Investments nimmt zu; diese Präferenz der Anleger ist für viele Vermögensverwalter der Treiber gewesen, sich mit dem Thema ESG zu befassen. Einige Investmentfirmen fangen gerade erst an, ESG-Kriterien in Erwägung zu ziehen, und es bleibt abzuwarten, ob ihre Bemühungen dauerhaft oder überzeugend sein werden. Andere sind bereits weiter fortgeschritten, habe eine ESG-Anlagepolitik entwickelt und in ESG-Ressourcen investiert. Doch ihre Bilanz ist dennoch bestenfalls gemischt. Wieder andere Asset Manager geben sich vollkommen unbeeindruckt von Thema Nachhaltigkeit und konzentrieren sich auf konventionelle Strategien. Manche Häuser wiederum sind schon lange ESG-Spezialisten. Es bleibt für Anleger eine Menge zu tun, und wir hoffen, dass wir mit dem Morningstar ESG Commitment Level für Fondshäuser für ein wenig mehr Transparenz sorgen können.
Hier gelangen Sie zum Übersichtsartikel zum Morningstar ESG Commitment Level.
Hier gelangen Sie zum Artikel, der das ESG Commitment für Fondsstrategien erläutert.
Hier gelangen Sie zum Methoden-Papier (in englischer Sprache)
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