Unsere persönlichen Lektionen aus dem turbulenten Jahr 2020

Morningstar Analysten berichten über persönliche Lektionen, die sie in einem außergewöhnlichen Börsenjahr gelernt haben.  

Ali Masarwah 07.12.2020
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Das zur Neige gehende Jahr war, gelinde gesagt, eine Achterbahnfahrt für Investoren. Für viele dürfte das Jahr 2020 die erste Erfahrung mit einer Baisse gewesen sein. Auch an uns, die wir Tag für Tag für Investoren schreiben, ist dieses Jahr nicht spurlos vorbeigegangen. Hinter dem Morningstar Research stehen Menschen, die genau wie andere Anleger ihren Emotionen und Affekten ausgesetzt sind. Einige persönliche Erfahrungsberichte aus dem Research-Maschinenraum 

Schluss mit dem Zaudern! 

Holly Black, Redaktionsleiterin, EMEA

Ich nehme mir seit Jahren vor, einen Fonds-Sparplan aufzusetzen. Ich rühme in meinen Artikeln oft den Vorteil, jeden Monat etwas Geld fest zu verplanen und anzulegen. Doch dieser Vorsatz ist bisher auf meiner „To-Do"-Liste“ ohne Folgen stehen geblieben. In diesem Jahr habe ich den Vorsatz gefasst, mit dem Zaudern aufzuhören und diesen Plan umzusetzen. 

Ich war diszipliniert genug, auf dem Höhepunkt der Coronakrise nicht in Panik zu geraten und meine Aktienpositionen zu verkaufen. Und so kam ich in den Genuss der anschließenden Erholung. Wäre aber mein Sparplan Realität geworden, dann hätte ich diese Gewinne noch steigern können; das disziplinierte Sparen hätte mir gute Einstiegskurse beschert. 

Während mein Portfolio also zum Jahresende weitgehend schwarze Zahlen schreibt (abgesehen von einem besonders sportlichen Emerging Markets Frontier-Fonds, der eine schwierige Zeit durchlebt), bin ich mir nur allzu bewusst, dass ich es hätte besser machen können. 

Scheuen Sie sich nicht, über Geld zu sprechen 

Susan Dziubinski, Content Director, Morningstar Inc 

Meine größte finanzielle Lektion im Jahr 2020 bestand darin zu erkennen, wie wichtig es ist, seine Nachlasspläne in Ordnung zu bringen. Ähnlich bedeutsam ist es auch, diese Pläne den Begünstigten und den Verwaltern klar zu kommunizieren. Die Pandemie war für meinen Mann und mich eine Mahnung, die Bestimmungen in unseren Testamenten zu überdenken – wie auch die Bedingungen der Nachlassverwaltung. 

Nennen Sie uns morbide, aber wir hatten unsere Pläne vor 15 Jahren ausgearbeitet, als unsere Kinder noch Kleinkinder waren. Seitdem haben sich die Umstände geändert, und unsere Nachlasspläne mussten daher aktualisiert werden. Jetzt, da unsere Kinder alt genug sind, konnten wir „das Gespräch“ offen mit ihnen führen. Es fiel uns nicht leicht, aber es war wichtig, und jetzt haben mein Mann und ich die benötigte Ruhe und die Gewissheit, „unser Haus in Ordnung“ gebracht zu haben. 

Seien Sie nicht gierig 

Syl Flood, Chief Content Strategist 

Ich habe in den vergangenen fünf Jahren zu verschiedenen Zeitpunkten in Amazon, Zoom und Tesla investiert. Als die meisten Aktien im März einbrachen, hielten sich diese drei Unternehmen sehr gut an der Börse. Infolgedessen erschienen sie mir überbewertet, also verkaufte ich sie. Ich habe nicht aus Angst verkauft, sondern weil ich den Erlös in günstigere Aktien investieren und damit mehr Geld verdienen wollte. 

Unnötig zu sagen, dass der anhaltende Anstieg von Amazon, Zoom und Tesla für mich reichlich unerträglich war. Nicht dabei zu sein, schmerzte – auch wenn das jüngste Comeback einiger Value-Aktien, die ich statt deren gekauft hatte, ein klein wenig von meinem Vertrauen in mein Urteilsvermögen wiederhergestellt hat. 

Mir ist klar geworden, dass Investments in günstige Aktien langfristig zwar weniger riskant sein mögen, aber diese Ruhe kann durch die Performance einiger weniger wirklich transformativer, erfolgreicher Unternehmen schlichtweg in den Schatten gestellt werden. Das führt mich zur wichtigsten Lektion des Jahres 2020: Tuen Sie einfach nichts, wann immer es möglich ist. Erinnern Sie sich daran, warum Sie in die Unternehmen in Ihrem Portfolio investiert haben, loggen Sie sich dann aus Ihrem Anlagekonto aus und widmen Sie sich wieder Ihren Alltagsdingen. 

Die eigene Investment-These erst als Allerletztes hinterfragen 

Ali Masarwah, Chefredakteur morningstar.at 

Anleger neigen dazu, bei neuen Situationen ganz schnell das eigene Portfolio in Frage zu stellen, nach dem Motto: „Wie muss ich reagieren?“. Das führt im Zweifel zu Aktionismus und kurzfristigem Denken. Beides sollte Tabu sein für Langfristinvestoren. 

Man muss zwar immer wieder die eigene Investmentthese hinterfragen. Allerdings geben tagesaktuelle Ereignisse darauf keine guten Antworten. Sie reflektieren nur Geschehenes, auf das man ohnehin keinen Einfluss hat. Leider gehen viele Anleger im Krisenfall genau andersherum vor. Sie lassen sich von der Hektik der Märkte leiten und schrauben an ihren Portfolios herum – und vergessen dabei ihr Investmentziel. 

Weil meine These im März 2020 die identische war wie im Februar, habe ich nach dem Kurssturz kräftig Aktienfonds und -ETFs nachgekauft - auch wenn ich dabei höllische Bauchschmerzen hatte. Ich konnte nicht ahnen, dass die Notenbanken und die Fiskalpolitik einen derart guten Job machen würden, dass die Aktienverluste bereits nach wenigen Monaten ausgeglichen sein würden. Aber weil ich überzeugt davon war (und bin), dass Aktien langfristig die besten Renditen bieten und ich noch lange Zeit habe bis zur Rente, fand ich mich auf der Käuferseite wieder. Ich gebe gerne zu, dass es in der Situation hilfreich war, bei Morningstar zu arbeiten. Man kann schließlich nicht jeden Tag die Vorzüge der Langfristanlage vertreten, um dann seine Vorsätze in den Wind zu schreiben, wenn es ernst wird.  

Seien Sie nicht Mr. Market 

Jon Miller, Direktor Manager Research Ratings, UK 

Benjamin Graham prägte den Begriff von Mr. Market. Es handelt sich um den sogenannten Ottonormal-Anleger, der anfällig ist für die Panik, Euphorie und Apathie. Das sind Affekte, denen man immer wieder in der Welt der Kapitalanlagen begegnet. Dieser Anleger trifft Entscheidungen auf der Grundlage von Emotionen und täglichen Kursschwankungen, vergisst aber das große Ganze. 

Aktienmärkte sind aber zukunftsorientiert Wesen und können, scheinbar ohne Sinn und Verstand, positive zukünftige Gewinne dann einkalkulieren, wenn man es nicht erwartet. Aktienkurse scheren sich nicht um das Wirtschaftswachstum, so dass man Ihre Richtung nicht antizipieren kann – sodass Timing keinen Sinn ergibt. 

In diesem Jahr fiel mir ein Kommentar von Tesla-Gründer Elon Musk zum 580-prozentigen Kursanstieg der Firma und zum Einstieg in den S&P 500 auf: „Wenn man sich unsere tatsächliche Rentabilität ansieht, ist sie sehr niedrig ... die Anleger geben uns viel Vorschusslorbeeren für die künftige Rentabilität, aber wenn sie irgendwann zum Schluss kommen, dass wir nicht so profitabel sein werden, wie erwartet, dann wird der Aktienkurs sofort wie ein Soufflé unter einem Vorschlaghammer zerdrückt! Das war für mich ein beachtlicher Denkanstoß, den ich auf Wiedervorlage setze, wenn ich mir die Neigung von Mr. Market zur Euphorie vergegenwärtigen will. 

Praktizieren, was man predigt 

Alex Morozov, Director Equity Research EMEA 

Als jemand, der seine Karriere im Aktien-Research um die Zeit der globalen Finanzkrise begann, hatte ich nicht erwartet, dass mich der Markt noch immer überraschen könnte. Nun, eine weitere Lektion wurde gelernt! 

Das Ausmaß der Marktturbulenzen, die wir im Jahr 2020 erlebt haben, war zwar nicht unbedingt beispiellos, aber die zugrunde liegende Ursache und die Schnelligkeit der Marktschwankungen waren es. Der Drang, Aktien zu verkaufen und mich in die relative Sicherheit von Cash zu begeben, brachte mich fast dazu, alle meine Anlagegrundsätze in den Wind zu schreiben. 

Glücklicherweise habe ich dann doch der Versuchung widerstanden, mich von der Achterbahn der Märkte zu verabschieden, und dies erwies sich als der richtige Schritt. Allerdings bedeutete mein Zögern, mehr zu investieren, dass ich eine der größten und schnellsten Kursrallys aller Zeiten verpasst habe. Ich habe die Gelegenheit schlicht nicht genutzt. Was war also die ultimative Lektion? Es stellt sich heraus, dass es viel einfacher ist, den Leuten zu sagen, was sie tun sollen, als sich selbst daran zu halten.   

Machen Sie Ihre ESG-Hausaufgaben 

Ian Tam, Leitender Redakteur, Morningstar Kanada 

Wir bei Morningstar sprechen wahnsinnig viel über ESG und nachhaltiges Investieren. Aber ich habe im Jahr 2020 gelernt, dass dies (zumindest in Kanada) ein Bereich ist, der von institutionellen Anlegern dominiert wird. Aber wollen wir nur mit den Profis reden? 

Es gibt viel zu tun, um die Privatanleger aufzuklären, insbesondere jetzt, da die Fondsgesellschaften die Marketing-Welle zu nachhaltigen Anlageprodukten reiten. Ohne einen globalen Standard, der einen Vergleich dieser Investments ermöglicht, kann es sich für den Durchschnittsanleger als ziemlich schwierig erweisen, seinen Weg durch den Produktdschungel zu bahnen. Welche Fonds sind nachhaltig, welche sind Mogelpackungen? Grundlegende Fragen für ESG-Investments gilt es noch stärker auf den Grund zu gehen.

Kleinanleger und Finanzberater müssen allerdings auch ihre Hausaufgaben machen, um sicherzustellen, dass die Merkmale ihrer Fonds tatsächlich ihren Bedürfnissen bzw. denen ihrer Anleger entsprechen.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich