Gerade ältere Semester fühlen sich in diesen Tagen an den Höhepunkt der Tech-Bubble Ende der 1999-er erinnert. Wie damals gibt es heute surreale Momente, die durchaus ins Komische kippen können. Kaum hatte der Short-Seller Citron Research am vergangenen Freitag eine Kurshalbierung der GameStop-Aktie auf 20 US-Dollar vorhergesagt, da trieben die Käufe von trotzigen Privatanlegern, die sich laut Medienberichten auf der Plattform Reddit verabredet hatten, den GameStop-Kurs in ungeahnte Höhen.
Am gestrigen Dienstagabend ging der Liebling vieler Privatanleger bei knapp 150 US-Dollar in New York aus dem Handel. Hedgefonds wie Melvin Capital sollen in diesem Jahr Berichten zufolge bereits fünf Milliarden Dollar mit ihren GameStop-Short-Positionen verloren haben. Die Kunde von „Reddits Day-Trader Armee“ macht die Runde. Zwingen also die Robin-Hood-Trader die Hedgefonds in die Knie?
Fragezeichen sind da angebracht: Privatanleger waren historisch in Hypephasen eher auf der Verliererseite. Doch die Ereignisse um Aktien wie GameStop, ein Retailer übrigens, der nichts herstellt, sondern bloß Spiele verkauft, werfen grundlegende Fragen über die Situation an den Märkten auf.
Von gekochten Fröschen und leeren Aktienhüllen
Immer mehr Marktteilnehmer sprechen bereits vom „Boiling-Frog“-Syndrom: Demnach ignorieren Anleger die Risiken und merken nicht, dass die Märkte um sie herum immer heißer werden. Am Ende ist der sprichwörtliche Frosch tot, weil er den Umschlag von warmem zu kochendem Wasser zu spät realisiert hat.
Dieses Bild hat auf den ersten Blick etwas für sich. Die Märkte erklimmen immer neue Höhen, und das Geld der Investoren steuert immer exotischere Segmente an. So verdreifachte sich der Kurs der Pseudo-Währung Bitcoin zwischen Anfang November 2020 und Anfang Januar 2021 auf über 33.000 Euro, Initiatoren bringen leere Firmenhüllen – SPACs (Special Purpose Acquisition Companies) – an die Börse und sammeln Milliarden ein, in der Hoffnung, diese Hüllen später zu Firmen mit Geschäftszwecken umzuwandeln. In diesem noch jungen Jahr wurden über 60 SPACs lanciert, die gut 18 Milliarden US-Dollar eingesammelt haben. Dazu passen auch die Nachrichten über Rekord-Emissionen von Firmenbonds in den ersten drei Januarwochen.
Das bringt den Otto-Normalanleger zur Frage: Jetzt aussteigen und darauf warten, dass das Kasino implodiert, so wie ab März 2000 der Nasdaq und dem Neuen Markt die Luft in Rekordtempo abgelassen wurden? So unwirklich viele Entwicklungen sind, und wenn auch einige Profianleger vor „epischen Blasen“ (Jeremy Grantham) warnen, so sollten Investoren doch innehalten. Die Welt da draußen ist zu kompliziert für einfache Antworten.
Fallbeispiel US-Technologieaktien zeigt: 2021 ist nicht 1999
Natürlich besteht mit zunehmender Hausse die Gefahr, dass auch Fondsmanager aus Angst vor Jobverlust sich der Reddit-Armee anschließen und voll aufs Gaspedal drücken. Doch das erscheint nicht wahrscheinlich. Einfach deshalb, weil es zwar Marktsegmente gibt, die inzwischen die Signalfarbe rot anzeigen, aber es heute genügend Aktien gibt, auch in Wachstumssektoren, die moderat gepreist sind und Chancen bieten.
Weil es für viele Anleger nahelegend ist, blicken wir hier auf das Segment der US-Technologie-Aktien. Fangen wir mit einer banalen Feststellung an, dass im Jahr 2021 viele innovative Technologieunternehmen bereits erprobte Geschäftsmodelle haben und eben nicht wie 1999 ein nur aus Zukunftsträumen bestehen. Unsere Aktienanalysten haben nachgerechnet und bei US-Technologie-Aktien, die wir abdecken, eine Überbewertung von rund 22 Prozent im Median (Stand: 21. Januar) ausgemacht. Das ist dann doch weit weg von einem „Runaway“-Markt, der Gefahr läuft, in drei Jahren 2/3 seines Wertes einzubüßen, wie das bei der Nasdaq zwischen 2000 und 2002 der Fall war.
Viele Firmen in den Subsektoren Halbleiter, IT-Dienstleistungen und Software generieren ordentliche Cashflows, und angesichts der Wettbewerbsvorteile, von uns in „Wide Moat“ oder „Narrow Moat“- Ratings ausgedrückt, erscheinen die Kurse etlicher Unternehmen durchaus gerechtfertigt. Auch einige Cloud-Computing-Firmen, die keine Gewinne erwirtschaften, dürften in der Lage sein, durch die zunehmende Migration von Daten in die Cloud langfristig Kunden zu gewinnen und Umsatzchancen wahrzunehmen.
Doch was ist mit den Tech-Highflyern auf unserer Coverage-Liste, die um 100 Prozent der mehr im vergangenen Jahr zugelegt haben? Sind das Kandidaten für eine Implosion? Unsere Technologie-Analysten haben hier elf Namen ausgemacht: Coupa, CrowdStrike, DocuSign, Nvidia, Okta, Palantir, RingCentral, Shopify, Twilio, Zoom und Zscaler.
Von diesen Aktien halten zehn „Narrow Moat“-Ratings. (Zoom ist hier die Ausnahme: der Video-Konferenz-Spezialist weist ein „No Moat“-Rating auf). Das bedeutet, dass unsere Analysten diesen Unternehmen gute Zukunftsaussichten einräumen. Es handelt sich also nicht um Blow-up-Kandidaten. Allerdings bedeutet das nicht, dass Anleger in diese Aktien auf dem derzeitigen Niveau investieren sollten. Insbesondere Zoom und Spotify dürften Anleger, die jetzt einsteigen, enttäuschen. Es wäre vielmehr ratsam, bei diesen Namen Gewinne mitzunehmen.
Aber es gibt eben auch bei Technologie-Werten Alternativen. Günstig bewertet sind derzeit Intel, Splunk, Blackbaud und Vmware. Auch Microsoft ist günstig bewertet, wie das Vier-Stern-Aktien-Rating zeigt; Salesforce ist immerhin fair bewertet. Die beiden Letzteren Aktien verfügen über „Wide Moat“-Ratings. Diese Firmen haben nicht nur stabile Geschäftsmodelle, sondern waren auch Profiteure der Covid-19-Krise, was die Visibilität der künftigen Cashflows sogar noch erhöht hat. Der säkulare Trend in Richtung Cloud Computing bedeutet, dass die Coronakrise nur einer der vielen Wachstumstreiber dieser Unternehmen war.
Und der Blick auf das große Ganze: Sirenenklänge von TINA und Goldilocks
Dieser womöglich etwas kleinteilige Blick auf die Spezifika der US-Technologie-Aktien illustriert, dass es gravierende Unterschiede zwischen der Situation des Jahres 1999 und heute gibt. Ja, es gibt die viel zitierten Exzesse, und wer heute die GameStop-Aktie kauft, der darf sich im Nachhinein nicht beklagen, wenn er auf fetten Verlusten sitzen bleibt. Doch wer Geld verdienen will, findet auch seriöse Investmentgelegenheiten.
Ein weiterer sehr wichtiger Unterschied zu damals: Die Zinsen sind derzeit auf einem historischen Tiefpunkt angelangt, was bedeutet, dass Aktien für viele Investoren, die auskömmliche Risikoprämien benötigen, die einzige Alternative sind – man spricht über TINA wie „there is no alternative“. Und geht man davon aus, dass sich die Konjunktur von der Pandemie-Delle in diesem Jahr erholen wird, ebenso wie die Unternehmensgewinne, dann ist auch das Goldlöckchen-Szenario nicht fern. (Mehr zum Thema TINA und Goldilocks finden Sie hier)
Fazit
Natürlich besteht immer das Risiko, dass vollkommen irrational gepreiste Aktien weiter durch die Decke gehen und immer mehr Fondsmanager vor die Frage gestellt werden: in die Party einsteigen oder das Risiko eingehen, gefeuert zu werden, weil sie der Party ferngeblieben sind. Dafür muss man nicht Aktien wie GameStop, Blackberry, iRobot bemühen: Die fast schon wie ein Glaubenskrieg anmutende Auseinandersetzung zwischen Tesla-Fans und Tesla-Skeptikern, die durchaus in die Fondsmanager-Szene übergeschwappt ist, zeigt, dass auch Aktienstories aus dem Mainstream die Geister entzweien können.
Doch es geht, wie gesagt, um das große Ganze. Es gibt gute Gründe für die aktuelle Aktienhausse. Zwar sind die Aktienkurse optisch hoch, aber angesichts des nicht vorhandenen Zinses vertragen Dividendenpapiere eben höhere Bewertungen als zu der Zeit, in der es für Staatsanleihen pro Jahr noch Kupons von fünf oder sechs Prozent zu holen gab.
Auch wenn man sich vor einigen Marktsegmenten tunlichst fernhalten sollte, so sind die Optionen der Anleger eben nicht binär. Wir stehen nicht vor der Alternative: Bitcoin oder Tagesgeldkonto. (Aus dem Bitcoin-Kurs ist übrigens in den letzten Tagen ordentlich Luft abgelassen worden: Er notierte am heutigen Mittwoch, 27.1.2021, bei 25.500 Euro). Wer ein breit diversifiziertes Portfolio hält, sollte sich hüten, vor lauter Sorge vor den Risiken überschießender Märkte den Ausstieg zu suchen. Eher empfiehlt es sich, regelmäßig zu schauen, ob ein Portfolio, das eine Weile „gelaufen“ ist, eine Unwucht aufweist. Mit einem jährlichen Rebalancing gehen Anleger einen antizyklischen Weg – und angesichts der zumeist geringfügigen Modifikationen, die das Rebalancing mit sich bringt, dürfte sich die Trauer über die reduzierte Tesla-Position in Grenzen halten.
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Die Analysen in diesem Artikel basieren auf unserem Tool für professionelle Anleger. Weitere Informationen zu Morningstar Direct erhalten Sie hier.