In der Theorie haben es Anleger in Europa gut. Seit der großen Finanzkrise hat die Regulierung des Vertriebs von Finanzprodukten große Fortschritte bei der Verbesserung der Transparenz und der Schaffung von Fairness für Anleger gemacht. Morningstar untersucht regelmäßig die Erfahrungen von Anlegern weltweit, und die Dinge haben sich seit 2009 zum Besseren entwickelt, wie die aktuelle Global Investor Experience Study zeigt.
In der Praxis können die Dinge jedoch ziemlich chaotisch sein. Auch wenn die EU-Finanzmarkt-Richtlinie MiFid II das Ziel hat, einheitliche Regeln zu etablieren, so ist ihre Umsetzung keineswegs einheitlich. Die Qualität der Beratung und die Art der Vergütung der Finanzberater schwanken erheblich. Dies sind nur zwei der wesentlichen Faktoren, die die Erfahrungen der Anleger bestimmen - und die sich von einem europäischen Land zum anderen stark unterscheiden.
Dennoch bleiben Gemeinsamkeiten bestehen. Bei der Due-Diligence-Prüfung des Beraters der Wahl sollten Anleger Häkchen in den folgenden drei Kästchen ankreuzen, die Aufschluss über die Eignung der Kandidaten auf ihrer Shortlist geben.
Ist der Berater breit aufgestellt?
Anleger müssen darauf achten, dass ihr Berater breit aufgestellt ist. Das beschränkt sich keineswegs nur auf die Produkte, die er im Angebot hat. Die EU-Richtlinie MiFid II unterscheidet zwischen abhängigen und unabhängigen Beratern. Unabhängige Berater müssen einen Überblick über einen sinnvollen, repräsentativen Teil der Produktlandschaft geben, seien es Investmentfonds oder Versicherungen. Abhängige Berater bieten Anlegern nur die Produkte an, die ihnen ihre Vertriebs-Organisation zur Verfügung stellt. Das ist ein großer Unterschied.
Aber die Frage nach dem Horizont des Beraters geht noch weiter. Berater müssen eine ganzheitliche Sicht auf die finanzielle Situation des Kunden haben. Was sind seine Vermögenswerte? Wie hoch sind die Verbindlichkeiten? Wie ist seine steuerliche Situation des Kunden? Was sind seine Ziele und wie kann er sie am besten erreichen? Obwohl diese Fragen trivial klingen, zeigt die Realität oft, dass viele Berater es oft nicht richtig hinbekommen.
(Während unglückliche Anleger immer noch auf einen Ein-Fonds-Verkäufer stoßen können, sind diese Relikte aus den 1990er Jahren glücklicherweise eine aussterbende Gattung).
Mystery-Shopping-Tests zeigen immer wieder, dass viele Berater bewusst versteckte Lücken im Finanzplan des Testkunden nicht erkennen. Das bedeutet, dass die Beratung in der Praxis vielen Kunden nicht gerecht wird, weil bereits die Erfassung unvollständig ist.
Im Zweifelsfall muss der Kunde eine Art Schattenbuchhaltung betreiben, d.h. er muss sich ein klares Bild von seiner persönlichen finanziellen Situation machen, bevor er den Rat seines Finanzplaners einholt.
Klare Sprache statt Pseudo-Fachchinesisch
Es mag durchaus sein, dass einige Anleger sich gerne mit ihrem Berater über die Details einer Long-Straddle-Optionsstrategie unterhalten. Aber das ist die große Ausnahme. Die meisten Anleger sind keine Finanzexperten, und sie haben ein Recht darauf, zu verstehen, was der Berater ihres Vertrauens ihnen zu sagen (und zu verkaufen) versucht. (Übrigens haben qualifizierte Berater auch den Anspruch, mit ihren Kunden verständlich zu kommunizieren und sehr genau darauf achten, das große Ganze und die Details einer Altersvorsorgeplans in einer klaren Sprache zu erklären.)
Anleger müssen Alarm schlagen, wenn sich ein Berater hinter kompliziert klingenden Fachbegriffen versteckt. Das Zurschaustellen einer Informationsasymmetrie geschieht typischerweise, um unlautere Absichten zu verbergen. Der Kunde soll kleingehalten werden, und wer sich kleinmachen lässt, traut sich nicht, das Offensichtliche zu fragen: Wie viel kostet das Produkt? Was ist das Best-Case, was das Worst-Case-Szenario? Wie funktioniert der Fonds? Was könnte schief gehen? Wenn ein Verkäufer sich anschickt, mit Fachchinesisch um sich zu werfen, sollten Sie das Gespräch schnell beenden.
Eine ruhige Hand statt einer Last-Call-Mentalität
Natürlich ist es immer besser, schon gestern mit dem Investieren begonnen zu haben. Je länger ein Anleger sein Kapital bindet, desto länger kann es für ihn arbeiten und den Zauber des Zinseszinseffekts entfalten. Das heißt aber nicht, dass der Anleger gehetzt oder unter Druck gesetzt werden darf, um einen langfristigen Vorsorgevertrag zu unterschreiben.
Es ist ein typischer Verkäufertrick, künstliche Knappheit zu suggerieren, wie z. B.: "Dieses Angebot ist nur diese Woche gültig!". Dies entspricht genau der Masche, die viele Banken immer noch betreiben. In der einen Woche werden den Kunden Lebensversicherungen angeboten, in der nächsten Immobilienfonds in die Depots der nichtsahnenden Kunden geschoben.
Es gibt absolut keinen Grund, auf solche Lockangebote einzugehen. Seriöse Berater werden niemals den Eindruck erwecken, dass das Wohl des Kunden von einer Entscheidung hier und jetzt abhängt.
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Die Analysen in diesem Artikel basieren auf unserem Tool für professionelle Anleger. Weitere Informationen zu Morningstar Direct erhalten Sie hier.