Kryptowährungsmanie: Was ist Ihr Vorteil?

Kryptowährungen sind unter den Anlegern in aller Munde. Handelt es sich aber bei Bitcoin & Co. um eine echte Anlageklasse oder nur um die neueste Finanzmanie? Diese Frage stellt Dan Kemp

Dan Kemp 14.06.2021
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Kryptowährungen sind ein häufiges Gesprächsthema in den wieder geöffneten Pubs auf der Square Mile. Professionelle Anleger versuchen der Frage auf den Grund zu gehen, ob es sich bei ihnen um eine echte Anlageklasse oder nur um die neueste Finanzmanie handelt. 

Für uns als langfristige, bewertungsorientierte Anleger, die die Verwaltung des Kapitals ihrer Kunden ernst nehmen, ist es verlockend, uns von den Verwerfungen in einer Ecke der Kapitalmärkte abzuwenden und unsere Aufmerksamkeit und unsere Ressourcen auf Vermögenswerte mit besser vorhersehbaren Ergebnissen zu konzentrieren. Die Erfahrung hat uns jedoch gelehrt, dass Exzesse in einem Teil der Kapitalmärkte in Metastasen ausarten können, die sich auf alle Anleger auswirken und daher im Auge behalten werden müssen.

Im Umgang mit solchen Situationen ist es oft hilfreich, ähnliche Episoden in der Geschichte zu betrachten und zu versuchen, Lehren aus ihnen zu ziehen, die unseren Entscheidungen in der Gegenwart zugute kommen. William Bernsteins neues Buch "The Delusions of Crowds" zum Thema Massenwahn kommt daher zum richtigen Zeitpunkt. Als Psychologe und Investor interessiert sich Bernstein für die Art und Weise, wie wir Anlageentscheidungen treffen, und dieses Buch leistet einen wunderbaren Beitrag zu diesem Thema, indem es die gravierenden religiösen und finanziellen Manien der letzten 500 Jahre nachzeichnet.

Merkmale einer Marktmanie

Im Vergleich zu früheren Manien erscheint die aktuelle Begeisterung für Kryptowährungen und ähnliche Technologien relativ milde. Trotzdem trägt sie viele Merkmale früherer historischer Episoden: das Aufkommen einer neuen Technologie, die Unterstützung durch niedrige Zinssätze, eine rasche Zunahme des Angebots (laut CoinMarketCap erreichte der Gesamtwert der Kryptowährung vor kurzem einen Spitzenwert von mehr als 2.2 Billionen US-Dollar, verglichen mit 243 Milliarden US-Dollar vor einem Jahr), eine Missachtung traditioneller Bewertungsprinzipien von Vermögenswerten und eine Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die es "verstehen" (denken Sie an die "Laseraugen-Profile" in sozialen Medien) und diejenigen, die das nicht tun, wobei Letztere zur Entstehung von Echokammern und sich selbst verstärkenden Glaubensschleifen führen.

Angesichts dieser Ähnlichkeiten können Anleger im aktuellen Umfeld einige wichtige Lektionen aus historischen Manien ziehen, die für "Insider" wie für "Outsider" gleichermaßen relevant sind.

  • Erstens können Manien länger anhalten und überdimensionale Ausmaße annehmen, da sie durch Geschichten über diejenigen befeuert werden, die riesige Geldsummen gemacht haben. Derartige Storys ziehen immer mehr Leute an, bis die Manie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbricht, was zu einer Umverteilung des Reichtums zwischen denen, die früh verkauft haben, und denen, die spät gekauft haben, führt.
  • Zweitens wirkt die scheinbare Verfügbarkeit von Reichtum als starker Anreiz für unmoralisches Verhalten, weshalb wir stärker als sonst auf das Betrugspotenzial achten sollten, das in der Regel erst im Nachhinein offenkundig wird.
  • Drittens schließt die Existenz einer Manie die Möglichkeit erheblicher finanzieller Gewinne für einige langfristig orientierte Anleger und Vorteile für die Gesellschaft als Ganzes nicht aus. Während die Eisenbahnmanie des 18. Jahrhunderts zum Beispiel viele Investoren ruinierte, sorgte der aus ihr resultierende Ausbau der Infrastruktur für ein langfristiges Wirtschaftswachstum in Großbritannien.
    In ähnlicher Weise ruinierte die Dotcom-Krise zwar einige Anleger, förderte aber die Technologie, die es während des Lockdowns im letzen Jahr vielen von uns ermöglichte, sowohl produktiv zu sein als auch mit unseren Familien in Kontakt zu bleiben.
  • Viertens können versteckte Übertragungsmechanismen zwischen dem Epizentrum der Manie und dem breiteren Finanzsystem bis dahin unbekannte Schwachstellen des Letzteren aufdecken. Ein gutes Beispiel dafür sind die Auswirkungen auf britische Sparer, insbesondere auf Rentner, nach dem Platzen der US-Immobilienblase im letzten Jahrzehnt.
  • Nicht zuletzt sollten sich Anleger vor dem Phänomen des sogenannten "eskalierenden Commitments" hüten. Dieses Phänomen wurde von Professor Barry Staw identifiziert und als Situation beschrieben, in der sich Begeisterte nach Rückschlägen immer stärker an eine Überzeugung binden. Das führt dazu, dass sie ihre Investitionen (entweder in Form von monetärem oder von emotionalem Kapital) erhöhen und schließlich, wenn das endgültige Ergebnis unausweichlich klar wird, einen höheren Verlust verkraften müssen.

Eine solche Eskalation ist charakteristisch für eine deterministische Zukunftssicht. Tatsächlich aber ist die Zukunft unsicher, und wir als Anleger sollten uns davor hüten, uns zu stark auf eine einzelne Meinung zu stützen.

Wir bleiben vorsichtig

Die vielleicht bemerkenswerteste Beobachtung ist das sich ändernde Motiv von Kryptowährungshändlern. Was als Pool von "Early Adoptern" begann, hat sich in eine wachsende Gruppe von "Quick-Profit-Tradern" gewandelt. Dieses Motiv ist zwar intuitiv verständlich, birgt aber Gefahren.

Zu wissen, wer auf der anderen Seite einer Transaktion steht, ist ein wichtiger Faktor, dessen Bedeutung wir unterstreichen möchten. Da jedem Käufer ein Verkäufer gegenübersteht (außer Sie schürfen nach Coins), müssen Sie sorgfältig darüber nachdenken, worin Ihr Vorteil gegenüber dieser Person oder Entität liegen könnte. Bill Miller definierte bekanntlich drei Faktoren für den Anlagevorsprung, die er in anschaulicher Weise drei Eimern zuordnete. 

  • Informationsvorsprung: Habe ich wirklich besseren Zugang zu Einblicken oder Daten als der gesamte Pool der Anleger?
  • Analysevorsprung: Kann ich mit diesen Informationen mehr anfangen als der gesamte Pool der Anleger?
  • Verhaltensvorsprung: Habe ich ein besseres Gespür oder eine bessere Fähigkeit, das Verhalten von anderen zu verstehen, als der gesamte Pool der Anleger?

In Wahrheit ist die Zukunft unsicher, und wir als Anleger sollten uns davor hüten, uns zu stark auf eine einzelne Meinung zu stützen, und sei es unsere eigene. Denken Sie immer zurück an Ihren Vorsprung als Anleger. Wenn Sie keinen haben, sollten Sie sehr vorsichtig vorgehen. Das soll nicht heißen, dass in der aufregenden Welt der Kryptowährungen kein Vorsprung erreichbar ist - einige Anleger werden mit Sicherheit Kapital aus ihrem Vorsprung schlagen. 

Um dieses immer wichtiger werdende Thema abzuschließen: Das Einzige, was wir über Manien wissen, ist, dass wir uns absolut vorrangig auf  die Robustheit der von uns verwalteten Portfolios konzentrieren müssen. Dies ist notwendigerweise eine ganzheitliche Betrachtung, bei der wir nach potenziellen Folgewirkungen auf andere Vermögenswerte oder inhärenten Schwachstellen im Finanzsystem Ausschau halten.

Kryptowährungen sind letztendlich komplex und extrem schwer zu bewerten, aber genau diese tiefgreifenden Analysen sind erforderlich, um eine solide Anlage zu tätigen. Wir meinen, dass jetzt ein großartiger Zeitpunkt ist, um sich im Rahmen dieser Analyse auf die Robustheit des Portfolios zu konzentrieren, die in Wahrheit aus beiden Seiten desselben (Bit)coin besteht. 

 

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Über den Autor

Dan Kemp

Dan Kemp  is Chief Investment Officer, Morningstar Investment Management EMEA