Bei ESG ist noch längst nicht alles im grünen Bereich

Kein anderes Thema wird im Asset und Wealth Management so intensiv – und teilweise kontrovers – diskutiert wie die Nachhaltigkeit von Investments.

Morningstar 02.11.2021
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Fund flowsRendite ist nicht mehr alles. Vielmehr fordern Investorinnen und Investoren, dass sich Unternehmen ESG-konform verhalten. Und die Politik reagiert ebenfalls. Mit ihrem Aktionsplan für nachhaltige Finanzen will die Europäische Union Kapitalströme in nachhaltige Anlagen lenken und finanzielle Risiken managen helfen. Eine zentrale Komponente ist dabei die so genannt EU-Taxonomie als Werkzeug zur Klassifizierung von Investmentfonds. All das ist aber noch recht jung und viele Vorschriften treten sogar erst nächstes Jahr in Kraft.

Aus diesem Grund haben Morningstar und PwC eine Studie über den aktuellen Stand von ESG im Asset und Wealth Management durchgeführt, um drei Fragen zu beantworten: Wie sieht das Angebot der Asset Manager an nachhaltigen Fonds aktuell aus? Was erwarten die Investorinnen und Investoren, insbesondere die jungen? Und mit welchen Herausforderungen sind Finanzdienstleister konfrontiert, wenn es darum geht, Lösungen bereitzustellen, die den Präferenzen und Erwartungen ihrer Kunden entsprechen?

 

EU-Offenlegungsverordnung lässt Spielraum

Seit März dieses Jahres gilt die EU-Offenlegungsverordnung oder Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) für das gesamte europäische Fondsuniversum. Im Rahmen der Verordnung müssen Asset Manager alle ihre Fonds in eine von drei Kategorien einordnen: Artikel 6, 8 oder 9. Während Fonds nach Artikel 6 lediglich allgemeine ESG-Informationen veröffentlichen müssen, sind die Vorgaben nach Artikel 8 und 9 deutlich spezifischer. Artikel 8-Fonds müssen Umweltfragen und soziale Aspekte berücksichtigen, Artikel 9-Fonds einem expliziten nachhaltigen Anlageziel folgen.

Dass Artikel 9-Fonds ein höheres Nachhaltigkeitsprofil als Artikel 8-Fonds haben und diese ein höheres als herkömmliche Anlagelösungen ist eine Daumenregel, keine Garantie. Denn die Klassifizierung nach SFDR schafft kein allgemein gültiges ESG-Label. Die Asset Manager haben unterschiedliche Herangehensweisen – abhängig davon, wie sie die SFDR interpretieren. Die Folge ist ein breites Spektrum verschiedener Fonds, die nach Artikel 8 und 9 klassifiziert werden, und mehr noch: Unsicherheit.

Die gemeinsame Studie von Morningstar und PwC liefert jetzt erstmals verlässliche Informationen, wo die Schwerpunkte und Charakteristiken liegen und welche Fonds wo zu finden sind. So machen Fonds nach Artikel 8 und 9 rund 22 Prozent des Universums aus, aber 32 Prozent des verwalteten Kundenvermögens (Daten per 20. Mai 2021). Anteilmäßig liegen allerdings Artikel 8-Fonds ganz klar vorn. Auf sie entfielen gut 28 Prozent der Assets under Management, auf Artikel 9-Fonds dagegen nur etwas mehr als drei Prozent.

Alles in allem ist das europäische Universum an ESG- und Nachhaltigkeitsfonds 2,3 Billionen Euro groß. Aus der Untersuchung geht außerdem hervor, dass aktiv verwaltete Fonds mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als Artikel 8- oder 9-Fonds klassifiziert werden als Indexfonds. Von den analysierten ETFs waren nur knapp zwölf Prozent in einer der beiden Kategorien. Den größten Anteil an Artikel 8- und 9-Fonds haben Aktienfonds, gefolgt von Fixed Income und Allocation Funds.

Weil sich Asset Manager selbst einen Reim darauf machen dürfen, was es heißt, Umweltfragen und soziale Aspekte zu berücksichtigen, und weil die Artikel 8-Kategorie vom Regulierer als eine Art Sammelkategorie für eine breite Palette an Anlagelösungen gedacht war, ist die Auswahl an Artikel 8-Fonds äußerst heterogen. Ganz gleich, ob einfache Ausschlusskriterien, Best-in-Class oder themenorientiert, die Ansätze sind vielfältig. Aus diesem Grund reicht die Spanne der Produkte von ESG-integrierten, also eher hellgrünen Fonds bis zu wirklich nachhaltigen und damit dunkelgrünen Strategien.

Kein Wunder also, dass von den Fonds, die insgesamt nach Artikel 8 und 9 klassifiziert sind, 89 Prozent Artikel 8-Fonds sind und nur 11 Prozent Artikel 9-Fonds. Diese Kategorie wiederum ist sehr viel homogener. Es fällt auf, dass das Universum der nach Artikel 8 und 9 klassifizierten Fonds größer ist als das nachhaltige Universum, wie es Morningstar definiert. Das liegt daran, dass Morningstar strengere Regeln anlegt und zum Beispiel Fonds mit milden Ausschlusskriterien nicht berücksichtigt. Positiv ist, dass die meisten (nicht alle) Artikel 8- und 9-Fonds nach dem Morningstar Portfolio Carbon Risk Score gut abschneiden.

 

Viel Verbesserungsbedarf aus Sicht der Kunden

Sehr viel Luft nach oben gibt es dagegen aus Sicht vieler Investorinnen und Investoren. Zwei Drittel der Befragten waren unzufrieden oder gar sehr unzufrieden und hatten den Eindruck, ihre Banken seien in Sachen Nachhaltigkeit nicht ausreichend engagiert. Vor allem jüngere Menschen könne sich vorstellen, aus diesem Grund zu einer Bank zu wechseln, die bei sonst gleichen Preisen und Dienstleistungen der Nachhaltigkeit eine größere Bedeutung beimisst.

Allerdings zeigt die Studie auch, dass alle Kundengenerationen preissensitiv sind und daher nicht grundsätzlich Nachhaltigkeit niedrigeren Gebühren vorziehen. Im Gegenteil: Ein Drittel der Befragten würde ihr Geld einer Bank anvertrauen, die vergleichsweise niedrige Gebühren erhebt, auch wenn damit Unternehmen finanziert würden, die Umwelt und Gesellschaft belasten. Finanzinstitute können also nicht Nachhaltigkeitsprogramme auf Kosten ihrer Kundinnen und Kunden einführen, sondern müssen eine Balance zwischen Kosten und Impact finden.

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie: Investorinnen und Investoren fühlen sich von den Banken nicht ausreichend informiert. Eine Mehrzahl ist daran interessiert, mehr über Nachhaltigkeit zu lernen, und wünscht sich von ihren Banken leicht zugängliche und verständliche Informationen zu dem Thema. Außerdem, so die Studie, müssen Banken glaubhaft sein und den Eindruck von Greenwashing vermeiden.

 

Es fehlen aussagekräftige Informationen

Für Finanzdienstleister ist die Sache klar. Spezielle Produktinformationen bezüglich der Nachhaltigkeit sind für Vertrieb und Beratung entscheidend. Das große Aber: Mehr als die Hälfte von ihnen sind mit den von den Asset Managern zur Verfügung gestellten Informationen nicht zufrieden – und das ist ein Problem. Denn nach eigenen Aussagen spüren die Finanzdienstleister in der Nachfrage der Investorinnen und Investoren bereits den Wechsel hin zu nachhaltigen Produkten. Fast ein Drittel der befragten Intermediäre denken über die strategische Entscheidung nach, künftig keine traditionellen Produkte mehr zu verkaufen oder zu empfehlen, die ESG nicht in irgendeiner Form berücksichtigen. Umgekehrt rechnen alle mit einer weiteren Zunahme an Fonds nach Artikel 8 und 9.

ESG-Vorgaben in ihre Arbeit zu integrieren ist die wichtigste Aufgabe, mit der sich Finanzdienstleister heute konfrontiert sehen. Die Verfügbarkeit von Daten, die notwendig sind, um die Vorschriften erfüllen zu können, ist dabei die mit Abstand größte Herausforderung, gefolgt von der Notwendigkeit, Transparenz im Beratungsprozess zu gewährleisten. Immerhin 62 Prozent der befragten Intermediäre betrachtet sich als gut informiert, was die ESG-Anforderungen nach SFDR und nach der geplanten Erweiterung unter MiFid II angeht.

Mit anderen Worten, schon heute stehen die Änderungen in den ESG-Regularien ganz oben auf der Agenda von Finanzdienstleistern und haben einen starken Einfluss auf ihre Arbeit. Jetzt müssen noch die Produktanbieter liefern. Laut Studie bevorzugen die Intermediäre ein standardisiertes Model der Interaktion mit den Asset Managern, die auf diesem Weg aussagekräftige Informationen zu nachhaltigen Investments bereitstellen sollen.

The state of ESG disclosure in Asset & Wealth Management

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