Daimler schließt Ausgliederung des Lastwagen- und Busgeschäfts ab

Der neue geschätzte Fair Value liegt bei 77 EUR je Aktie.

Richard Hilgert 22.12.2021
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Konzernumbau in Stuttgart: Daimler schließt die Ausgliederung seines Lkw- und Busgeschäfts ab und behält einen Anteil von 35% an dem neuen Unternehmen, das künftig Daimler Truck AG heißt. Im Jahr 2020 hatte Daimler Truck einen Anteil von 23% am Konzernumsatz und von 8% am bereinigten EBIT. Weil wir die Geschäftstätigkeit aus unserem Discounted-Cashflow-Modell herausgenommen haben, verringerte sich der Fair Value Estimate, also der geschätzte faire Wert, um EUR 7 auf EUR 77. Das verbleibende Geschäft der Daimler AG wird in Mercedes-Benz umbenannt und umfasst Premium- und Luxus-Pkw, leichte Nutzfahrzeuge sowie Daimler Mobility, zu dem Finanzdienstleistungen und andere Mobilitätsdienste wie Ride-Hailing gehören. Die mit drei Sternen bewertete Aktie der Daimler AG wird aktuell mit einem Abschlag von 4% auf unseren neuen fairen Wert gehandelt.

Obwohl die Marke Mercedes-Benz eine Ikone für Luxusfahrzeuge ist, hat Daimler keinen Economic Moat geschaffen, also keinen strategischen Wettbewerbsvorteil, der als Schutzwall dienen kann. Zyklizität und die Kapitalintensität sind bei Automobilherstellern generell hoch und bei Herstellern von Nutzfahrzeugen und Bussen erst recht. Seit 2006 hat Daimler im Schnitt nur eine Rendite von 2,2 Prozentpunkte auf das investierte Kapital über den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten nach Steuern erzielt. Angesichts der niedrigen Zahlen fiel es schwer zu sagen, dass es eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich ist, dass Daimler in den nächsten zehn Jahren einen ökonomischen Gewinn erwirtschaftet, der für einen schmalen wirtschaftlichen Schutzwall oder Moat erforderlich ist.

Bei Pkw sind die Wechselkosten gering, da die Kunden beim Kauf eines Fahrzeugs zwischen mehreren Marken wählen können, auch bei Luxusmarken wie BMW, Audi und Lexus. Dennoch weist Mercedes-Benz ähnlich wie BMW aufgrund der Stärke seiner Marke und des Premiumpreises einen schmalen Moat auf. Wir schätzen, dass der durchschnittliche wirtschaftliche Gewinn des Automobilkonzerns seit 2006 bei 12,5 Prozentpunkten liegt. Wegen der Ausgliederung des kapitalintensiveren Lkw- und Busgeschäfts werden wir unser Moat-Rating für den Premium- und Luxus-Pkw-Hersteller überprüfen.

Geschäftsstrategie und Ausblick

Daimlers angesehene Marke Mercedes-Benz ist eine der bekanntesten Luxusautomarken der Welt und das Unternehmen führend bei Nutzfahrzeugen in Europa. Und dennoch steht Daimler auf allen Märkten in einem harten Wettbewerb. Denn das Unternehmen ist in der zyklischen, kapitalintensiven und wettbewerbsintensiven Pkw-Branche tätig, in der die Rohstoffkosten schwanken und die gewerkschaftlich organisierten Arbeitskräfte teuer sein können.

Andererseits verringert die geografische Verteilung der Absatzmärkte die Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Bedingungen in einer bestimmten Region. Zudem sind Premium-Marken wie Mercedes-Benz weniger anfällig für Konjunkturabschwünge, wie sie bei Herstellern für den Massenmarkt vorkommen, da die Ausgaben wohlhabender Kunden weniger empfindlich auf Rezessionen reagieren. Weltweit liegt das Bevölkerungswachstum bei vermögenden Privatpersonen bei durchschnittlich 5% und vergrößert den für Mercedes adressierbaren Markt schneller als die 1% bis 3%, die wir als langfristige Wachstumsrate der weltweiten Nachfrage nach leichten Fahrzeugen geschätzt haben.

Neue Produkte sind von entscheidender Bedeutung, um das Interesse der Verbraucher zu wecken, und können selbst bei einem wirtschaftlichen Abschwung zum Ergebnis beitragen. Mercedes-Benz bringt jedes Jahr neue oder deutlich aufgefrischte Modelle in verschiedenen Ländern auf den Markt. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, einschließlich der aktivierten Entwicklungskosten, sind beträchtlich und belaufen sich im Schnitt auf etwa 6% des Umsatzes, was wir als notwendigen Teil einer langfristigen Strategie betrachten. Die weltweiten Umweltgesetze zwingen die Automobilhersteller dazu, Fahrzeuge mit effizienteren Verbrennungsmotoren und elektrifizierten Antriebssträngen zu entwickeln. Bis 2030 will das Unternehmen nach eigenen Angaben "bereit sein, vollelektrisch zu fahren".

Fairer Wert und Gewinntreiber

Nach der Abspaltung von Daimler Truck haben wir unsere Fair-Value-Schätzung für die in Europa gehandelten Daimler-Aktien von EUR 84 auf EUR 77 gesenkt. Wir gehen davon aus, dass Daimler seine operative Effizienz weiter verbessert, was aber teilweise durch höhere Ausgaben für disruptive Technologien wie elektrifizierte Antriebe, fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme und autonome Fahrzeuge wieder aufgehoben wird. Engpässe bei Mikrochips schränken die Produktion ein, aber Daimler verteilt die Chips auf Fahrzeuge mit höheren Deckungsbeiträgen. Wir modellieren pro forma einen 6%igen Umsatzanstieg für das Jahr 2021 nach einem 8%igen Rückgang des Industrieumsatzes im Jahr 2020, schätzen aber für die Jahre 2019 bis 2025 pro forma ein durchschnittliches jährliches Umsatzwachstum von 4%.

Für unserer Stufe I-Prognose gehen wir von einer durchschnittlichen bereinigten Industrie-EBIT-Marge (ohne Kapitalerträge aus China JV) von 8,7% aus, für das letzte Jahr unserer Prognose von einer normalisierten nachhaltigen Industrie-EBIT-Marge von 5,9% in der Mitte des Zyklus, was 50 Basispunkte unter dem historischen 15-Jahres-Median der Industrie-EBIT-Marge von 6,4% liegt. Wenn wir die höheren Ausgaben für disruptive Technologien ausklammern, dann hat Daimler unserer Ansicht nach den Break-even-Punkt bei der Produktionseffizienz von Pkws verbessert. Dies zeigt sich an der höchsten EBIT-Marge seit 15 Jahren in Höhe von 9,1%, die Daimler 2016 erreichte, bevor die Ausgaben für disruptive Technologien zu steigen begannen.

Wir gehen von Eigenkapitalkosten in Höhe von 9% aus. Dies entspricht der Rendite von 9%, die Investoren für ein diversifiziertes Aktienportfolio erwarten, und spiegelt Daimlers Sensibilität gegenüber dem Konjunkturzyklus wider, seinen relativ geringen Verschuldungsgrad und seine bessere operative Performance im Vergleich zu den Automobilherstellern im Massenmarkt.

Wir gehen von Fremdkapitalkosten vor Steuern in Höhe von 6,5% aus und berücksichtigen damit den Spread, den Gläubiger angesichts der Kreditqualität von Daimler wahrscheinlich verlangen werden. Wir unterstellen einen langfristigen effektiven Steuersatz von 29,5%, der auf Daimlers historischen Ergebnissen basiert, sowie auf dem von Morningstar für 2022 angenommenen US-Körperschaftssteuersatz von 26% und dem deutschen gesetzlichen Steuersatz. In den letzten zehn Jahren lag das durchschnittliche Gesamtverschuldung-Gesamtkapital-Verhältnis für das Automobilgeschäft mit der Finanzdienstleistungsgruppe auf Eigenkapitalbasis bei 13,8%. Folglich betragen unsere steuerlich bedingten gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten, die zur Diskontierung der künftigen Cashflows von Daimler verwendet werden, 8,4%.

Risiko und Ungewissheit

Die Fixkosten in der wettbewerbsintensiven, stark zyklischen und kapitalintensiven Automobilbranche führen zu einer ungünstigen operativen Hebelwirkung und können bewirken, dass die Gewinne als Reaktion auf Veränderungen der Nachfrage stark schwanken, wie z.B. in dem durch die Pandemie hervorgerufenen rauen Umfeld. Schwankende Rohstoffpreise, die durch langfristige Verträge gepuffert sind, können erhebliche Auswirkungen auf die Rentabilität und die Renditen haben. Die deutschen Gewerkschaften in Verbindung mit der Sympathie der Politik für die heimischen Arbeitnehmer könnten es dem Unternehmen erschweren, die Kapazitäten auf seinem Heimatmarkt zu rationalisieren.

Daimler ist einigen ESG-Risiken ausgesetzt, die wir in unsere hohe Unsicherheitsbewertung einbeziehen. Der Automobilhersteller stellt von Treibhausgase verursachenden Verbrennungsmotoren auf Elektrofahrzeuge um. Auch wenn das Unternehmen Elektrofahrzeuge anbietet, werden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor vermutlich noch mindestens die nächsten zehn Jahre verkauft werden. Alle Fahrzeuge der Automobilhersteller, einschließlich Mercedes-Benz, unterliegen dem Risiko der Produkt-Governance durch mögliche Rückrufe und der Einhaltung von Sicherheitsvorgaben, Fahrzeuge mit Verbrennern zusätzlich dem Risiko, Vorschriften zur Reinhaltung der Luft, beachten zu müssen. Die Produkte von Daimler sind hochtechnisiert, was das Unternehmen dazu zwingt, hochqualifiziertes Personal mit Fachkenntnissen in Software und verschiedenen technischen Disziplinen anzuwerben und zu halten.

Ein geschäftsethisches Risiko ergibt sich aus Daimlers Verwicklung in ein EU-Kartellverfahren, bei dem es um Absprachen zwischen deutschen Automobilherstellern bei Dieselmotoren geht. Nach dem EU-Kartellrecht könnte ein Whistleblower von Geldbußen befreit werden. Daimler könnte diesen Status erhalten und hat bisher keine Rückstellungen für mögliche Geldbußen gebildet. Im Jahr 2016 wurde das Unternehmen wegen Preisabsprachen bei Lkw zu einer Geldstrafe von EUR 1 Milliarde verurteilt. Die geschäftlichen Kontroversen erhöhten Daimlers Corporate-Governance-Risiko – auch im Hinblick auf sechs Vorstandsmitglieder, von denen der Vorsitzende seit mehr als sechs Jahren im Amt ist, und ein Vorstandsmitglied mit den Governance-Kontroversen eines anderen Unternehmens in Verbindung steht.

Kapitalallokation

Wir stufen die Kapitalallokation von Daimler mit Standard ein. Das Rating reflektiert unsere Einschätzung einer soliden Bilanz, fairer Investitionen und angemessener Ausschüttungen an die Aktionäre. Unserer Ansicht nach sind Reinvestitionen in das Unternehmen der wahrscheinlichste Haupttreiber für die Gesamtrendite der Aktionäre. Wir gehen davon aus, dass die Rendite des investierten Kapitals von Daimler in etwa den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten entspricht. Seit 2006 übersteigt die Kapitalrendite jedoch die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten um durchschnittlich 1,9 Prozentpunkte.

Die Bilanz mit Finanzdienstleistungen auf Eigenkapitalbasis ist solide mit einem negativen 0,9-fachen der Nettoverschuldung/EBITDA-Quote und einer Nettoverschuldung/Gesamtkapital-Quote von minus 10,4% Ende Dezember 2020, wobei beide Quoten auf eine Nettoliquidität hindeuten. Wir gehen davon aus, dass die Bilanz solide bleiben wird, da das Management ein Investment-Grade-Rating anstrebt. In den letzten zehn Jahren hat das Unternehmen rund EUR 27,0 Milliarden in Form von Aktiendividenden an die Anleger ausgeschüttet. Seit 2006 liegt der Median der Dividendenausschüttungsquote von Daimler bei rund 41%. Trotz der wegen COVID-19 ergriffenen Maßnahmen zum Einbehalten von Barmitteln behielt Daimler 2020 eine Dividendenausschüttungsquote von 40% bei.

Die Governance-Struktur des Unternehmens besteht wie bei allen börsennotierten deutschen Unternehmen aus einem Vorstand und einem separaten Aufsichtsrat. Nach dem deutschen Mitbestimmungsgesetz besteht der Aufsichtsrat aus 20 Personen, von denen 10 von den Anteilseignern und 10 von den Arbeitnehmern des Unternehmens gewählt werden. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist seit April 2007 Manfred Bischoff. Bischoff war seit 1976 in verschiedenen Positionen mit wachsender Verantwortung bei Daimler tätig. Michael Brecht, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats, ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, der sich aus den 10 von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitgliedern zusammensetzt.

Der Vorstand, der seit Mai 2019 von Ola Kallenius geleitet wird, besteht aus acht Mitgliedern, die jeweils für bestimmte Funktionsbereiche des Unternehmens verantwortlich sind. Kallenius ist seit 1993 bei Daimler und seit 2015 Mitglied des Vorstands. Er leitet auch die Pkw-Sparte von Mercedes-Benz.

Das Unternehmen hatte kontinuierlich operative Verbesserungen vorgenommen und aktionärsfreundliche Maßnahmen ergriffen - wie etwa den Verkauf von Chrysler, die Erhöhung der Dividende und ein großes Aktienrückkaufprogramm im Jahr 2007. Das Unternehmen kaufte etwa 100 Millionen Aktien (10% der frei handelbaren Aktien) für insgesamt rund 267 Millionen Euro und schloss den Rückkauf im darauffolgenden Jahr ab. Seit 2008 hat das Unternehmen keine Aktien mehr zurückgekauft. Angesichts des hohen Investitionsbedarfs für disruptive Technologien in der Branche, einschließlich der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und des autonomen Fahrens, gehen wir nicht davon aus, dass Daimler erneut ein Aktienrückkaufprogramm auflegen wird, aber die Dividendenausschüttungsquote liegt nach wie vor bei rund 40%, einschließlich der stark von COVID-19 beeinflussten Dividendenausschüttungsquote für 2020.

In Situationen, in denen die Interessen von Investoren und Arbeitnehmern auseinanderklaffen, kann die Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zu Schwierigkeiten für die Aktionäre führen. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn eine größere Kostensenkung oder eine Umstrukturierung der Anlagen erforderlich ist, um die Effizienz auf Kosten von Arbeitsplätzen zu steigern.

Li Shufu, Vorsitzender des chinesischen Automobilherstellers Geely Automobile, besitzt 9,7% der Daimler-Aktien, die Kuwait Investment Authority 6,8% und BAIC hält 5,0% an Daimler. Im März 2009 verwässerte Daimler seine Aktionärsstruktur, indem es seine Aktienzahl durch ein privates Kapitalangebot an Aabar Investments aus Abu Dhabi um 10% erhöhte. Im Jahr 2012 sank der Anteil von Aabar jedoch unter die Meldeschwelle von 3%.

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Über den Autor

Richard Hilgert  Richard Hilgert is a securities analyst on the Industrials Team.