In letzter Zeit sind alle Augen auf die Zinsstrukturkurve gerichtet.
Wir reden hier nicht von einem neuen Wurf beim Baseball oder einem merkwürdigen Verkehrsschild auf einem kurvenreichen Bergpass. Vielmehr reden wir von der Entwicklung des Anleihemarktes und der Wirtschaft und von dem möglichen Wert Ihres Portfolios.
Die Zinsstrukturkurve ist ein fester Bestandteil der Finanzmärkte und dient dazu, die verschiedenen Wirtschaftszyklen abzuschätzen, um zu erkennen, ob die Gefahr einer Rezession steigt.
Was ist die Zinsstrukturkurve?
Der Anleihemarkt steckt voller Fachausdrücke und komplizierter Konzepte, aber dies hier ist etwas leichter zu verstehen.
Vereinfacht ausgedrückt veranschaulicht die Zinsstrukturkurve das Verhältnis zwischen den Renditen von US-Staatsanleihen mit unterschiedlichen Laufzeiten - von Dreimonatswechseln bis hin zu 30-jährigen Anleihen. Der Schwerpunkt liegt in der Regel auf den Renditen von zwei- bis zehnjährigen Anleihen. Und weil es um Renditen geht, wird die Zinsstrukturkurve auch Renditekurve genannt.
Wenn die Wirtschaft stark und die Zinsen stabil sind, steigt die Renditekurve an. Das liegt daran, dass Anleihen mit kürzerer Laufzeit meist niedrigere Renditen, Anleihen mit längerer Laufzeit höhere Renditen abwerfen. Anleger verlangen für Anleihen mit längerer Laufzeit höhere Renditen, weil mit der Bindung des Kapitals über längere Zeiträume Risiken verbunden sind, insbesondere das Inflationsrisiko.
Aber die Zinsstrukturkurve ist nicht statisch. Ihre Form ändert sich fortlaufend mit dem Auf und Ab am Anleihemarkt.
Was ist eine inverse Zinsstruktur?
Grundsätzlich unterscheiden die Akteure am Anleihemarkt drei Formen der Zinsstrukturkurve: steigend, abflachend und invers. Steigend ist die Kurve, wenn der Abstand zwischen kurz- und langfristigen Renditen größer wird, abflachend ist sie, wenn dieser Abstand schrumpft, und invers, wenn Anleihen mit kurzer Laufzeit mehr Rendite abwerfen als Anleihen mit langer Laufzeit.
Jetzt, wo die Inflation heiß läuft und die Zinsen steigen, steigen die Renditen kürzerer Staatsanleihen schneller als die längerer Laufzeiten. Die Renditen der verschiedenen Laufzeiten verengen sich, die Zinsstrukturkurve flacht ab.
Wenn das geschieht, werden Anleger unruhig, denn dann steigt das Risiko einer umgekehrten, inversen Renditekurve, bei der die Renditen kürzerer Staatsanleihen über denen längerer Laufzeiten liegen. Eine solche inverse Zinsstrukturkurve sorgt für Schlagzeilen. Warum? Weil damit in der Vergangenheit oft genug Rezessionen eingeläutet wurden.
Bedeutet eine inverse Kurve eine Rezession?
In aller Regel richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Renditedifferenz zwischen zweijährigen und zehnjährigen Anleihen, die manchmal auch mit "Zweier-Zehner-Spread“ oder mit einer Abwandlung dieses Begriffs bezeichnet wird.
In der Vergangenheit war eine Umkehrung des Verhältnisses zwischen zwei- und zehnjähriger Rendite der zuverlässige Vorbote einer heraufziehenden Rezession. Zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wirtschaftswachstum – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – bedeuten offiziell eine Rezession. Am letzten Dienstag im März kehrte sich im Intraday-Handel der Abstand zwischen der zweijährigen und der zehnjährigen Rendite kurzzeitig um.
Seit 1978 erfasste das US National Bureau of Economic Research sechs Rezessionen, bei denen sich die Zinskurve jeweils rund 12 Monate vor Beginn der Rezession umkehrte, sagt Ryan Grabinski, Anlagestratege bei Strategas Research Partners in Manhattan.
Manche Rezessionen entwickeln sich langsamer, manche schneller – so wie es etwa bei der Inversion im August 2019 und dem Beginn der letzten Rezession im Februar 2020 der Fall war. Im Jahr 1998 kehrte sich die Zinsstrukturkurve um, aber eine Rezession wurde abgewendet, weil die Federal Reserve schnell die Zinsen senkte.
Nicht alle Umkehrungen der Renditekurve führen zwangsläufig zu Rezessionen, sagt Dominic Pappalardo, Senior Client Portfolio Manager bei Morningstar Investment Management. (Ökonomen scherzen manchmal, dass die Zinsstrukturkurve zehn der letzten fünf Rezessionen vorhergesagt hat.)
Aber: Allen Rezessionen geht eine Umkehrung der Renditekurve voraus und das erklärt die Nervosität der Anleger, wenn sich die Kurve abflacht.
Zudem ist von Bedeutung, wie die Abflachung verläuft. Eine "Bären"-Abflachung tritt ein, wenn die kurzfristigen Zinssätze schneller steigen als die langfristigen, wobei zweijährige Schatzanweisungen besonders empfindlich auf eine Änderung der Leitzinsen reagieren. Dies war in diesem Jahr der Fall, als die Fed abrückte von ihrer Politik des leichten Geldes, die sie als Reaktion auf die Pandemie beschlossen hatte, und sich der Eindämmung der stark steigenden Inflation zuwandte. Das wirkt sich normalerweise negativ auf die Wirtschaft und den Aktienmarkt aus.
Umgekehrt kommt es zu einer "Bullen"-Abflachung, wenn die langfristigen Zinsen aufgrund geringerer Inflationserwartungen schneller fallen als die kurzfristigen, was die Fed veranlasst, die kurzfristigen Zinsen zu senken. Dies ist im Allgemeinen positiv für Wirtschaft und Aktienmarkt.
Was macht die Zinsstrukturkurve jetzt?
Die Renditekurve hat in den letzten Wochen Warnsignale gesendet.
Anleiherenditen sind in diesem Jahr auf dem gesamten Markt stark angestiegen, weil sich die Inflation als viel hartnäckiger erwies als erwartet. Ursache ist unter anderem der Preisanstieg für Öl und andere Rohstoffe in Folge des Krieges in der Ukraine.
Die Renditen kurzlaufender Staatsanleihen sind jedoch stärker gestiegen als die längerfristiger Papiere. Nachdem die Federal Reserve den Leitzins zum ersten Mal seit 2018 erhöht hat, sind kurzfristige Staatsanleihen auf dem besten Weg, die schlechteste Quartalsperformance der Geschichte zu erzielen.
Darüber hinaus erwarten Anleger weitere aggressive Zinserhöhungen, was bedeutet, dass sich die Renditekurve verschiebt, um die veränderten Wirtschaftsaussichten widerzuspiegeln.
Die Renditen zwei-, drei-, fünf-, zehn- und 30-jähriger US-Staatsanleihen werden nicht nur schmaler, sondern es kommt auch zu einigen Inversionen. So ist etwa die Rendite der dreijährigen Anleihen höher als die der fünf-, zehn- und 30-jährigen. Und am 28. März kehrten sich die Renditen fünf- und 30-jähriger Anleihen erstmals seit 2006 um.
„Die Kurve wird flacher, ein Zeichen dafür, dass die Anleger mit einer Konjunkturabschwächung rechnen", sagt Pappalardo von Morningstar. "Vor drei Wochen lautete die Frage noch, wann die Fed die Zinsen erhöht. Jetzt lautet sie, wann die Fed damit aufhört. Und als nächstes lautet sie, wann sie die Zinsen senken muss.“