Sind Sie bereit, durch das möglicherweise schwere Fahrwasser an den globalen Märkten hindurchzunavigieren? Im Folgenden möchte ich Ihnen helfen, sich wieder mit dem Thema Risiko vertraut zu machen, indem ich Risiko definiere und erkläre, wie es gemessen wird, wie Anleger es erleben und wie sie versuchen können, es zu bewältigen.
Unzulängliche Kennzahlen
Die gängigsten Definitionen des Investmentrisikos beruhen auf Unsicherheit. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Rendite einer Anlage von der erwarteten Rendite abweicht und um wie viel? Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, diese Wahrscheinlichkeit zu messen, die gängigste ist die Standardabweichung der Renditen. Mit Hilfe dieser Zahl erkennen Anleger, wie stark die Renditen um ihren Durchschnitt schwanken. Die Kennzahl ist einfach, weithin akzeptiert und höchst unbefriedigend.
Die Standardabweichung greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Sie behandelt das Abwärtsrisiko (schlecht) und das Aufwärtsrisiko (gut) gleich. Zudem misst die Standardabweichung weder die Form der Renditeverteilung noch das Ausmaß extremer Ereignisse, also jener Episoden, die die größte Euphorie oder das größte Unwohlsein hervorrufen.
Natürlich gibt es andere Risikomaße, die die Mängel ausgleichen. Messgrößen, die zwischen guter und schlechter Volatilität unterscheiden, sind unter anderem die Sortino Ratio und Morningstar Risk. Die Sortino Ratio ist eine Variante der Sharpe Ratio, dem gängigsten Maß für risikobereinigte Renditen. Beide Kennzahlen weisen im Zähler die Überschussrendite gegenüber dem risikofreien Zins aus. Während jedoch die Sharpe-Ratio die Standardabweichung im Nenner hat (wodurch wiederum gutes und schlechtes Risiko gleichbehandelt werden), teilt die Sortino Ratio nur durch die Abweichung nach unten. Das ergibt ein genaueres Bild der Rendite pro Einheit des "schlechten" Risikos.
Morningstar Risk betrachtet das Risiko ein wenig anders. Es ignoriert das gute Risiko zwar nicht völlig, legt aber mehr Gewicht auf das schlechte. Die Kennzahl, die im Vergleich zu den Fonds der Morningstar-Kategorie berechnet wird, fließt in die risikobereinigte Morningstar- Rendite ein, die die Grundlage für das Morningstar Rating der Fonds bildet. Auch wenn die beiden Maßeinheiten zwischen gutem und schlechtem Risiko unterscheiden, erfassen sie immer noch nicht das Schlimmste vom Schlimmsten.
Die gängigste Methode, um die tail risks, also die Gefahren auf der linken Extremseite der Renditeverteilung (die schlechten) zu messen, ist der Maximum Drawdown. Er erfasst für einen bestimmten Zeitraum den Rückgang eines Investments von seinem Höchst- bis zu seinem Tiefststand. Das ist zwar kein Worst-Case-Szenario (das hieße, alles zu verlieren), kann aber einen Eindruck davon vermitteln, wie schmerzhaft ein Bärenmarkt sein kann.
Auch wenn alle diese Risikomessungen einen gewissen Nutzen haben, wenn es darum geht, die Erwartungen der Anleger zu formulieren, halte ich sie dennoch für unzureichend. Ich glaube nicht, dass sich das Risiko in einer Tabellenkalkulation richtig messen lässt.
Was ist das wahre Risiko?
Das wirkliche Risiko besteht darin, wie wir auf die Höhen und Tiefen des Marktes reagieren. Die Volatilität, die die oben genannten Zahlen zu erklären versuchen, ist das Ergebnis der Handlungen von Menschen aus Fleisch und Blut. Wir alle reagieren auf Signale aus unserer Umgebung. Die Signale werden von einem Stück grauer Substanz erzeugt und interpretiert, die auf Überleben eingestellt ist. Wir sind von Natur aus risikoscheue Wesen. Das wirkliche Risiko besteht darin, dass wir zur falschen Zeit das Falsche tun und uns auf dem Weg zu unseren Zielen vom Kurs abbringen lassen. Es ist unmöglich, das mit Daten auszudrücken.
Dieses Risikokonzept lässt sich nicht messen, weil es zutiefst persönlich ist. Wie Anleger Risiken erleben und darauf reagieren, hängt von der Persönlichkeit, den Umständen und ihrer Erfahrung ab. Die Risikobereitschaft der Anleger kann mit dem Markt schwanken. Sie kann sich auch im Laufe der Zeit ändern.
Die Risikotoleranz von Anlegern wird zum Teil von ihrer Persönlichkeit bestimmt. Manche Menschen sind darauf programmiert, das Risiko zu suchen, sei es an den Märkten oder durch den Sprung aus einem Flugzeug. Andere gehen lieber auf Nummer sicher und stehen mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Und dann gibt es da noch die Fallschirmspringer, die ihr Geld unter der Matratze aufbewahren, und die Versicherungsmathematiker, die nach der Arbeit auf Pferde wetten. Der Punkt ist: Risiko ist etwas Persönliches.
Natürlich wirken sich auch die Lebensumstände der Anleger auf ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit aus, Risiko einzugehen. Anleger, die ein beträchtliches Finanzvermögen angehäuft haben, sind wahrscheinlich eher in der Lage, Risiken einzugehen, aber sie möchten möglicherweise ihr Kapital erhalten und sind daher weniger bereit, mehr Risiken einzugehen. Die Risikofähigkeit der Anleger ist auch vom Anlagehorizont abhängig. Hochschulabsolventen, die zum ersten Mal in die Altersvorsorge einzahlen, sind in der Lage, Risiken einzugehen, weil sie vermutlich noch Jahrzehnte sparen und investieren können, bevor sie in Rente gehen. Anleger, die kurz vor dem Ruhestand sind, haben möglicherweise eine geringere Risikofähigkeit, weil sie bald von der Ansparphase des Kapitals zu dessen Verwendung übergehen. Keine dieser Überlegungen wird von den Standardrisikomessungen erfasst.
Auch die Erfahrung der Anleger beeinflusst ihr Verhältnis zum Risiko. Menschen, die in der Vergangenheit große Summen an der Börse verloren haben, sind möglicherweise nicht bereit, in Zukunft Risiken einzugehen. Serienunternehmer sind vermutlich risikofreudiger als Festangestellte.
Die Risikoneigung verändert sich mit den Marktbewegungen und entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter. Wenn Sie mich am 31. Dezember 2019, also nach Jahren steigender Kurse und in einer Phase relativer Ruhe, gefragt hätten, wie ich meine Risikobereitschaft einschätze, hätte ich Ihnen gesagt, dass ich gern Risiko eingehe. Hätten Sie mich drei Monate später noch einmal gefragt, als der durch das Coronavirus ausgelöste Ausverkauf in vollem Gange war, wäre ich wahrscheinlich etwas weniger unbekümmert gewesen. Unsere Einstellung zum Risiko ändert sich ständig.
Wie man mit Risiken umgeht
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, das Investmentrisiko zu handhaben. Ich würde sie in drei Kategorien einteilen: Asset Allokation, Titelselektion und Verhalten. Idealerweise sollten die ersten beiden Möglichkeiten die dritte optimieren. Die vielleicht effektivste Art des Risikomanagements ist die gezielte Auswahl verschiedener Vermögenswerte. Investoren mit einer höheren Schmerzgrenze, sollten Aktien kaufen. Ist die Schmerzgrenze niedrig, können Anleger zu Anleihen und Bargeld greifen. Es ist schwierig, die richtige Balance zu finden. Nur weil ein Anleger das Auf und Ab des Aktienmarktes nicht mag, heißt das nicht, dass er oder sie es sich leisten kann, darauf zu verzichten, wenn er seine und sie ihre Ziele erreichen will.
Zum jetzigen Zeitpunkt des Marktzyklusses ist es sinnvoll, die Asset Allokation zu überdenken. Trotz des jüngsten Ausverkaufs sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen ist es angesichts der relativ besseren Performance von Aktien in den letzten mehr als zehn Jahren wahrscheinlich, dass viele Anleger stark in Aktien und wenig in Anleihen investiert sind. Wenn das der Fall ist, könnte es an der Zeit sein, das eigene Portfolio zu rebalancieren und wieder eine angemessenere Mischung zu finden. Die richtige Kombination hängt letztlich von vielen der oben beschriebenen Umstände ab (Risikotoleranz, Risikofähigkeit, Persönlichkeit, Erfahrung und und und).
Die Titelselektion ist ein weiterer Hebel, mit dem Anleger ihr Risiko steuern können. Large Cap-Aktien sind im Allgemeinen weniger riskant als Small Caps, US-Aktien weniger volatil als Aktien aus Schwellenländern, Staatsanleihen sicherer als Unternehmensanleihen.
Eine der größten Risikoquellen ist diejenige, die wir jeden Tag im Spiegel sehen. Schlechte Entscheidungen bei der Asset Allokation und/oder der Titelselektion können uns leicht vom Kurs abbringen. Daher sollten die Entscheidungen, die in den ersten beiden Bereichen getroffen werden, das Verhalten des Anlegers optimieren. Das beste Portfolio ist dasjenige, an dem man am ehesten festhält, wenn es auf den Märkten brenzlig wird. Der Versuch, dieses Problem zu lösen, ist der beste Weg, um das größte Risiko von allen zu bewältigen.