Plötzlich sind Anleihen die Anlageklasse, die jeder am liebsten hasst. Im Kampf gegen die seit Ende 2020 wieder aufkeimende Inflation hat die US-Notenbank Fed die Zinsen in diesem Jahr bisher viermal erhöht, insgesamt um 225 Basispunkte. Daraufhin erlitten Anleihen einige ihrer schlimmsten Verluste seit Jahrzehnten. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 fiel beispielsweise der Bloomberg US Aggregate Bond Index um 10,35% - das war das schlechteste Ergebnis in mehr als vier Jahrzehnten.
Und der Schmerz könnte noch nicht vorbei sein. Die US-Notenbank Federal Reserve ergreift aggressive Maßnahmen, um die Inflation einzudämmen, und hat angekündigt, dass sie die Zinssätze mindestens bis September weiter anheben will, bevor sie möglicherweise eine Pause einlegt, um zu sehen, wie gut die Zinserhöhungen die Inflation eindämmen.
Investoren reagierten darauf mit Verkäufen: In den ersten sieben Monaten dieses Jahres kam es zu Nettoabflüssen aus steuerpflichtigen und kommunalen Anleihefonds in Höhe von mehr als USD 230 Milliarden.
Trotz alledem sollten Anleger Anleihen nicht ganz aufgeben. Festverzinsliche Wertpapiere spielen nach wie vor eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das Portfoliorisiko zu verrin-gern. Und sie können auch in Zeiten steigender Zinsen erstaunlich widerstandsfähig sein.
Anleihen als Risikokontrolle
Dass sich Anleihen zur Risikokontrolle eignen, liegt zum Teil daran, dass sie sich grundlegend von Aktien unterscheiden. Anleihe-Investoren erhalten regelmäßige Zinszahlungen als Gegenleistung dafür, dass sie dem Anleihe-Emittenten Geld leihen. Außerdem stehen Anleihen in der Kapitalstruktur weiter vorn als Aktien: ihre Inhaber gehören im Fall eines Konkurses zu den ersten, die ausgezahlt werden.
Aktien hingegen können zwar Dividenden ausschütten, aber die Zahlungen an die Aktionäre sind freiwillig. Und Aktien befinden sich weit hinten in der Kapitalstruktur: Wird ein Unternehmen liquidiert, werden die Aktionäre als letzte ausbezahlt - mit den Vermögenswerten, die dann noch übrig sind.
Anleihen sind von Natur aus weniger risikoreich, weil ihre Besitzer einen größeren Teil des Cashflows im Voraus bekommen und eine größere Gewissheit haben, bei Fälligkeit einen bestimmten Wert zu erhalten. Ihr Wert hängt in erster Linie von zwei Faktoren ab: von der Bonität des Emittenten und von der Entwicklung der Marktzinsen.
Als Restvermögen haben Aktien ein deutlich größeres Aufwärtspotenzial, sind aber garantiert risikoreicher. Zudem ist ihr Wert nicht so einfach zu bestimmen, weil er letztlich vom Gegenwartswert der Cashflows abhängt, der viele Jahre in die Zukunft modelliert werden müssen.
Infolgedessen weisen Anleihen in der Regel eine wesentlich gleichmäßigere Wertentwicklung auf als Aktien. Aktien etwa hatten seit 1926 insgesamt 119 Quartale mit negativen Renditen. In rund zwei Dritteln dieser Zeiträume erzielten Anleihen positive Renditen. Darüber hinaus ist das Ausmaß der Verluste bei Anleihen in der Regel weitaus geringer, wie die folgende Tabelle zeigt.
Dank ihrer im Allgemeinen geringen Korrelation mit Aktien können Anleihen zudem Diversifizierungsvorteile bieten. Selbst in Zeiten steigender Zinsen haben Anleihen in der Regel eine geringere Korrelation mit Aktien als die meisten anderen wichtigen Anlageklassen. Das erhöht ihre Fähigkeit, das Risiko auf Portfolioebene zu verringern.
Unsere Analyse von Inflation und Zinsen in früheren Stressphasen zeigt, dass die Korrelationen von Aktien und Anleihen selten über 0,6 gestiegen sind, und das auch nur in den intensivsten Phasen steigender Zinsen und/oder Inflation. Aus diesem Grund können Anleihen auch dann eine wichtige Rolle bei der Reduzierung des Portfoliorisikos spielen, wenn die Performance festverzinslicher Wertpapiere schwächer ist.
Selbstheilende Wunden
Selbstverständlich sind steigende Zinssätze schlecht für Anleihen: Wenn Anleger eine frisch emittierte Anleihe mit einem höheren Kupon kaufen können, sind ältere Anleihen mit niedrigeren Renditen weniger wert. Mathematisch stimmt das zwar, ist aber nicht das Ende der Geschichte.
Relativ selten erleiden Anleihen in zwei oder mehr aufeinanderfolgenden Jahre Verluste, selbst in Zeiten steigender Zinssätze. Seit 1926 ist das nur zweimal passiert: 1955-56 und 1958-59. In beiden Fällen waren die kumulierten Verluste während des Zweijahres-Zeitraums relativ gering (3,7% bzw. 2,4%).
Zurückzuführen ist diese Widerstandsfähigkeit auf die entscheidende Rolle der Erträge bei Anleiherenditen. Investoren, die einzelne Anleihen kaufen und sie bis zur Fälligkeit halten, werden schließlich entschädigt, wenn sie ihre Bestände zum Nennwert zurückgeben. Den Erlös können sie dann zu einem höheren Zinssatz investieren, was zu besseren Renditen künftiger Anleihebestände führt.
Dies ist einer der Gründe, warum so genannte Leiter-Strategien für Privatanleger von Vorteil sein können: Eine solche Sicherungsstrategie hilft ihnen nicht nur, die Duration von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten aufeinander abzustimmen, sondern ermöglicht es ihnen auch, im Laufe der Zeit von steigenden Zinsen zu profitieren.
Dieser "selbstheilende" Mechanismus, wie ihn Joe Boyle von Hartford Funds nennt, ist bei Anleihefonds noch interessanter. Ein Fondsmanager, der Anleihen mit vielen verschiedenen Fälligkeitsterminen hält, wird die Erlöse bei Fälligkeit reinvestieren.
In Zeiten steigender Zinssätze können so großzügigere Kupons eingelöst werden, was zu besseren zukünftigen Renditen führt. Boyle weist darauf hin, dass aus diesem Grund einige der lohnendsten Zeiträume für Anleihe-Investitionen nach erheblichen Zinserhöhungen auftreten können.
Um zu sehen, wie sich das in der Praxis auswirkt, habe ich mir die zehn schlechtesten Quar-tale einer Anleihe-Benchmark angesehen, die bis 1926 zurückreicht. Wie die nachstehende Tabelle zeigt, waren die Renditen für den nachfolgenden 12-Monats-Zeitraum in sieben der zehn Quartale positiv. (Bemerkenswert ist, dass der 12-Monats-Zeitraum nach dem schlechten Abschneiden des Anleihemarktes im ersten Quartal 2021 nicht dazu gehörte).
Die Erholung der nominalen Renditen spiegelt teilweise die Auswirkungen der Inflation wider: Nach Perioden, in denen Anleihen aufgrund eines Anstiegs der Inflation gelitten haben, könnten die nominalen Renditen gut aussehen, aber die inflationsbereinigten Renditen wären niedriger. Nach Bereinigung um die Auswirkungen der Inflation jedoch waren die Anleiherenditen in fünf der zehn oben dargestellten Zeiträume immer noch positiv.
Fazit: Auch wenn es manchmal eine Weile dauert, bis sich die Renditen von Anleihen erholen, ist jetzt mit Sicherheit ein besserer Zeitpunkt für Anleihe-Investitionen als noch vor ein paar Jahren. Die Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen sind seit ihrem Tiefpunkt Anfang 2020 um mehr als 200 Basispunkte gestiegen. Wie frühere Untersuchungen gezeigt haben, besteht ein enger Zusammenhang zwischen den aktuellen Anleiheerträgen und künftigen langfristigen Anleiherenditen. Zwar sind die Anleiheerträge im Vergleich zu den langfristigen Durchschnittswerten immer noch relativ niedrig, aber sie sind deutlich besser als in der jüngsten Vergangenheit.
Schlussfolgerung
Zugegeben, sollte sich die Inflation als hartnäckiger erweisen, als der Markt derzeit erwartet, könnten Anleihe-Investoren noch harte Zeiten bevorstehen. Außerdem hat der Diversifizierungswert von Anleihen in letzter Zeit abgenommen, weil die Korrelationen zwischen Aktien und Anleihen in den positiven Bereich gedreht haben. Sollte sich dieses Muster fortsetzen, werden Anleihen eine weniger wertvolle Rolle dabei spielen, die risikobereinigten Renditen auf Portfolioebene zu verbessern.
Trotzdem sollten Anleger nicht zu heftig auf die jüngsten Turbulenzen am Anleihemarkt reagieren. Anleihen können und sollten nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Risikoreduzierung spielen.