Das Wachstum des Elektroauto-Marktes in Deutschland könnte in den kommenden Jahren einen deutlichen Dämpfer bekommen. Einer Prognose des Center for Automotive Research (CAR) in Düsseldorf zufolge könnte der Anteil von E-Autos am Gesamtumsatz von aktuell 27,8% auf 21,3% und nur 14% im Jahr 2024 zurückgehen.
Dies trifft keinen kleinen Markt: Immerhin war Deutschland im Jahr 2021 laut Zahlen des Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA) global der zweitwichtigste Markt hinter China.
Für den erwarteten Absatzrückgang sprechen im Wesentlichen drei Gründe:
- Die Bundesregierung schraubt zum Jahreswechsel die Förderung beim Kauf von E-Autos (den Umweltbonus) zurück. Plug-in-Hybride (PHEV) werden überhaupt nicht mehr gefördert. Für voll-elektrische Batteriefahrzeuge (BEV) sinkt die Fördersumme merklich (Details finden Sie hier).
- Der Strompreis ist in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine in die Höhe geschnellt. Zwar bleibt noch immer ein Kostenvorteil gegenüber dem Verbrennungsmotor, doch der Vorsprung wird knapper, zumal die Benzinpreise jüngst gefallen sind.
- Viele Modelle werden teurer. Lieferengpässe (insbesonder Halbleiter und Batterien) und die hohen Energie- und Rohstoffpreise treiben die Kosten in die Höhe, was Hersteller an die Kunden weitergeben. Ein Beispiel: Der ID.3 von Volkswagen (VOW) wird nun in der Basisversion (Modell Life) für 43.995 Euro angeboten, 6.000 Euro mehr als zuvor, hat Electrive.net ermittelt. Die Lieferzeiten reichen bis Ende 2023. Die Basisversion des Tesla Model 3 kostet derzeit 49.990 Euro, 10.000 Euro mehr als im Vorjahr, so Der Spiegel.
Fulminanter Endspurt 2022
Angesichts dieses Ausblicks ist es wenig verwunderlich, dass die begehrten Vehikel einen regelrechten Run hierzulande erlebt haben. Wer konnte und zum Zuge kam, hat noch einmal zugeschnappt.
Die Elektro-Neuzulassungen legten im November um 50% gegenüber dem Vorjahresmonat zu auf den Rekordwert von 102.600 Einheiten, berichtet der VDA. Der Anteil von Elektro-Pkw an den Gesamtzulassungen stieg im November auf 39,4% – ebenfalls ein neuer Rekord. Dabei stiegen die Neuzulassungen von BEV um 44% gegenüber dem Vorjahresmonat, die von PHEV sogar um 60% gegenüber dem Vorjahresmonat.
Dies trifft auf einen alles in allem schwachen Gesamtmarkt. Denn das Vorkrisenniveau bleibt in weiter Ferne: In den ersten elf Monaten des aktuellen Jahres wurden rund 30% weniger Pkw neu zugelassen als im Vergleichszeitraum des Vorkrisenjahres 2019.
Der VDA kritisiert den Abbau des Umweltbonus. Schließlich hätten sich seit dessen Einführung im Juni 2020 die E-Neuzulassungen von 20.000 Fahrzeugen im Monat deutlich erhöht. "Die hohen Strompreise, die hohe Inflationsrate und die Schwankungen an den Rohstoffmärkten fallen mit den Kürzungen beim Umweltbonus zusammen. Sollte dies andauern, kann der Hochlauf der Elektromobilität ohne Gegenmaßnahmen beeinträchtigt werden", so ein VDA-Sprecher. Damit die Koalition das Ziel von 15 Mio. E-Autos bis 2030 erreicht, brauche es die entsprechenden Rahmenbedingungen.
Welche Hersteller haben in Deutschland die Nase vorn?
Der Marktanteil der deutschen Konzerne sinkt im November auf 56% (Oktober: 60%,
Vorjahr: 57%). Im Jahresverlauf beträgt er jetzt 58% (Vorjahr: 67%). 49% (Vorjahr 57%) der BEV-Neuzulassungen entfallen auf deutsche Konzernmarken, so der VDA.
VW rangiert im Jahresverlauf vor Stellantis (8TI), Mercedes-Benz und BMW an der Spitze der E-Neuzulassungen in Deutschland. Der BEV-Anteil an den E-Neuzulassungen beträgt bei VW 53%, im Gesamtmarkt sind es 56%. Bei Mercedes-Benz und BMW entfallen 40 bzw. 43% der Pkw-Elektroneuzulassungen auf BEV. Tesla liegt nun auf dem sechsten Platz. Betrachtet man nur die BEV, so liegt VW ebenfalls vor Stellantis, danach folgen Tesla, Hyundai, Renault-Nissan, Mercedes-Benz und BMW.
Weltweiter Anstieg der Verkaufszahlen erwartet
Deutschland widersetzt sich damit dem globalen Trend, wie die Prognosen von Morningstar verdeutlichen. Denn in allen Regionen wird ein kontinuierlicher Anstieg des Absatzes erwartet. In der EU etwa dürften die Werte von 1,5 Millionen verkaufter E-Autos im Jahr 2022 auf 2,2 Millionen im kommenden Jahr steigen, prognostiziert Seth Goldstein, Equity Strategist bei Morningstar.
Nicht einmal enthalten sind die Zahlen von Nicht-EU-Land Norwegen. Das Land der Wasserkraft und des günstigen Stroms gilt als Vorreiter in Sachen E-Mobilität, steuerliche Vergünstigungen helfen ebenfalls nach. Bereits 20% der Fahrzeuge auf Norwegens Straßen sind batteriebetrieben, berichtet Automotive News Europe. VW etwa plant, ab 2024 keine Verbrenner mehr in dem Markt anzubieten. In den USA dürften der Markt für Elektroautos indes vom Inflation Reduction Act profitieren, was der gesamten Lieferkette von Elektrofahrzeugen zugute kommen dürfte, betont Goldstein.
"Ich würde erwarten, dass es in diesem Jahr eine höhere Akzeptanzrate sowie höhere Gesamtverkäufe von Elektrofahrzeugen geben wird. Da das EV billiger und funktional vergleichbarer mit einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor wird, werden realistischerweise mehr Verbraucher den Kauf eines Fahrzeugs in Betracht ziehen", so Goldstein zum US-Markt.
EVs machten im vergangenen Jahr weltweit 5% der weltweiten Neuwagenverkäufe aus, mit stark steigender Tendenz, wie die folgende Grafik zeigt. Besonders Europa dürfte auf lange Sicht die Nase vorn haben.
Die Variation der EV-Modelle wird zunehmen, so Goldstein. Nicht nur Tesla (TL0), sondern auch die traditionellen Autohersteller sowie neue Marktteilnehmern werden Modelle anbieten. So haben die Verbraucher mehr Optionen. "Selbst wenn wir in eine globale Rezession eintreten würden, würden die EV-Verkäufe wahrscheinlich entweder stagnieren oder sogar steigen, schon allein weil mehr Modelle von traditionellen Verbrennern auf EVs umgestellt werden", so Goldstein.
Wie profitieren Anleger von dem Trend?
"Wir sehen Chancen in der gesamten EV-Lieferkette. Dabei mögen wir viele traditionelle Autohersteller wie General Motors (8GM), Ford Motor Co (FMC1). Volkswagen, BMW (BMW). Sie befinden sich im 4- und 5-Sterne-Territorium", so Goldstein. "Wir glauben, dass sie in der Lage sein werden, ihre Gewinne wiederherzustellen, der Gegenwind durch die Chipknappheit vorübergehend sein wird und sie in der Lage sein werden, ihre Portfolios zu elektrifizieren, und das wird zu einem Übergang zu Elektrofahrzeugen führen, während der Markt davon ausgeht, dass die Verkäufe ständig sinken und sinken."
Narrow-Moat Tesla notiert zurzeit deutlich unter der Fair Value-Schätzung von 250 USD, beont Goldstein zudem. "Während 2022 ein schlechtes Jahr für die Aktie war, hat Tesla im Laufe des Jahres erhebliche Fortschritte bei seinen Wachstumsplänen gemacht, einschließlich der Inbetriebnahme und des Hochlaufs zweier neuer Fabriken, der Einführung der neuen 4680-Batterien und der Einführung eines Sattelschleppers", betont der Analyst. "Ich gehe davon aus, dass Tesla sein starkes Wachstum auch 2023 fortsetzen und seinen Gesamtmarktanteil an den weltweiten Automobilen erhöhen wird. Sollte die Marktstimmung jedoch aufgrund von Musk und Twitter negativ bleiben, könnte die Aktie unterbewertet bleiben", so seine Einschätzung mit Blick auf das Engagement von Elon Musk bei dem Kurzachrichtendienst.
Aber auch traditionelle Automobilzulieferer, die sich gut für den EV-Markt positioniert haben, dürften profitieren. Dazu gehören etwa BorgWarner (BGW) und Continental (CON). Sie verfügen über führende EV-Antriebsstrang-Produkte. Gleichzeitig stellen sie auch Komponenten für Verbrenner und Hybride her. "Unabhängig davon, wie schnell oder wie langsam die Einführung von Elektrofahrzeugen erfolgt, sind sie also gut positioniert, um ihre Gewinne zu steigern."
Weiter vorne in der Wertschöpfungskette befinden sich Halbleiter als wichtiger Wachstumsmarkt. Elektrofahrzeuge benötigen zwei- bis dreimal mehr davon als ein herkömmliches Auto. Gut positioniert sei etwa NXP Semiconductors (VNX). Das Unternehmen ist unterbewertet und dürfte von dem Trend profitieren, da es ein stark auf die Automobilindustrie ausgerichtetes Portfolio hat.
Überblick: E-Neuzulassungen in Europa
Deutschland lag im Zeitraum Januar bis Oktober 2022 mit 556.631 neu zugelassenen E-Autos vorne, gefolgt von Großbritannien (282.054), Frankreich (260.749), Schweden (118.202) und Norwegen (101.122). Das geht aus Zahlen von S&P und KBA hervor.
Betrachtet man den Anteil der E-Neuzulassungen am Gesamtmarkt, ergibt sich indes ein ganz anderes Bild. Die Nase vorn haben die skandinavischen Länder: So liegt Dänemark bei 36,1%, Finnland bei 35,8%, Schweden bei 52,1%, Island bei 52,5% und Norwegen bei sagenhaften 87,7%.
Deutschland kam auf einen Anteil von 26,6%, Österreich liegt bei 20,8% und die Schweiz lag in den ersten 10 Monaten des Jahres bei 24,6%.