Nach weiteren Zuwächsen sind Europäische Aktien sehr nah an ihren fairen Bewertungen. Der Weg voraus könnte deutlich steiler werden.
Im zweiten Quartal verzeichneten die Märkte einen Aufwärtstrend und konnten einen Teil des verlorenen Bodens aus der Bankenkrise vom März und den damit verbundenen Ausverkäufen wieder gutmachen. Vor dem Hintergrund eines sich trübenden makroökonomischen Umfelds waren die Fortschritte jedoch langsam und schleichend.
Die Inflation geht sichtbar zurück. Dies hat seinen Preis: Die Zinssätze liegen in der Eurozone bei 4 % und im Vereinigten Königreich bei 5 %, dem höchsten Stand seit der globalen Finanzkrise. Dies wirkt sich zweifellos negativ auf die Konjunktur aus: Die Eurozone befindet sich bereits in einer technischen Rezession, und Großbritannien wird höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahr in eine Rezession eintreten.
BIP-Revisionen bedeuten, dass sich die Eurozone offiziell in einer Rezession befindet
Quelle: Eurostat. Stand der Daten: 31. Mai 2023
Dennoch haben sich die Marktbewertungen trotz der düsteren makroökonomischen Wolken gehalten, was wir darauf zurückführen, dass sich die Anleger auf die längerfristige Perspektive verlassen. Normalerweise beschweren wir uns darüber, dass der Markt zu kurzsichtig agiert, aber ausnahmsweise scheint dies gerade nicht der Fall zu sein.
Die Anleger klammern sich an die Hoffnung auf eine Verbesserung des wirtschaftlichen Umfelds später in diesem Jahr oder im Jahr 2024, wenn die Inflation endlich so weit sinken könnte, dass die Zentralbanken den Fuß vom geldpolitischen Gaspedal nehmen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass die Inflation länger als erwartet hoch bleiben könnte, wodurch die Zinsen so hoch steigen, dass die Wirtschaft ins Trudeln gerät.
Durchschnittliche Relation von Preis zu Morningstar Fair Value für europäische Aktien
Quelle: Morningstar. Stand der Daten: 22. Juni 2023.
Obwohl europäische Aktien unserer Fair-Value-Schätzung sehr nahe kommen, sehen wir in bestimmten Sektoren einige klare Chancen. Besonders unbeliebt sind derzeit zyklische Konsumwerte, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen, während die europäischen Energieaktien weiterhin einen Abschlag gegenüber ihren US-Pendants aufweisen.
Auch thematisch gibt es einige Lichtblicke. Die steigenden Zinsen im Vereinigten Königreich haben den Bauunternehmen des Landes nicht gutgetan-- deren Aktien liegen weit unter ihren Höchstständen von 2021. Die Anleger sind eindeutig besorgt über eine geringere Nachfrage nach Wohnraum, da die Kreditkosten steigen. Längerfristig sehen wir jedoch strukturelle Nachfragetreiber in einer alternden Bevölkerung und einem anhaltenden Bevölkerungswachstum.
Robuste Nachfrage nach Wohnraum trotz zunehmender Bevölkerungsalterung
Quelle: Office for National Statistics (UK), Schätzungen von Morningstar
Unterdessen deuten die Bewertungen im Versicherungssektor auf wenig Aufwärtspotential hin. Meine Kollegen haben kürzlich versucht, die große Frage zu beantworten, ob die Branche nach den Problemen der Banken im ersten Quartal als nächstes unter steigenden Zinsen leiden wird.
Zu den Herausforderungen für Versicherer gehören:
- Steigende Schadenszahlen
- Steigende Schadenkosten aufgrund der Inflation
- Zinssätze mindern den Wert von Anlagen
- Steigende Schuldenkosten
Auch wenn wir keinen Aktien-Kollaps in der Branche erwarten, glauben wir doch, dass Anleger vorsichtiger denn je sein sollten-- bei der Aktienauswahl ist besonders auf die Bilanzstabilität der einzelnen Versicherer zu achten.
Die Zahl der Naturkatastrophen und verursachten Schäden nimmt weiter zu
Quelle: Swiss Re Sigma.Stand der Daten: 12. Dezember 2022.