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Das Dilemma der energieintensiven Industrie in 4 Grafiken - und ein Ausblick

Das Jahr 2023 war für Deutschlands energieintensiven Betriebe eher mittelmäßig, wie schon 2022. Hier ein Blick darauf, wie sich die Energiekrise auf die verarbeitende Industrie ausgewirkt hat - und darauf, wo Investoren im Jahr 2024 und darüber hinaus Lichtblicke finden könnten.

Antje Schiffler 15.12.2023
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BASFDer Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 bedeutete ein abruptes Ende der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas. Die energieintensiven Industrien - Chemie, Pharma, Glas, Metall, Papier - mussten sich über Nacht auf neue Realitäten einstellen.

Einige Unternehmen haben es besser geschafft als andere, sich an das neue Kostengefüge anzupassen. Aber insgesamt haben Unternehmen, bei denen Strom, Gas und andere Energieformen einen großen Teil der Kostenbasis ausmachen, in Bezug auf die Produktion schlechter abgeschnitten als das verarbeitende Gewerbe insgesamt. Hier ein Blick darauf, wie sich die Produktionszahlen dieser Sektoren im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe insgesamt entwickelt haben:

 

 

Der Aktienmarkt zeigt ein ähnliches Bild: Die Papiere der energieabhängigen Unternehmen haben sich schlechter entwickelt als der Gesamtmarkt. Hier ist eine Momentaufnahme der Entwicklung ausgewählter deutscher Industriewerte seit dem 23. Februar 2022, dem Tag vor der Invasion, im Vergleich zum Morningstar Germany Index PR. Der Index misst die Wertentwicklung der deutschen Aktienmärkte und bildet rund 97 % der Aktien deutschen nach Marktkapitalisierung ab.

 

 

 

Energieverbrauch fällt auf Rekordtief

Angesichts dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass der Energieverbrauch in Deutschland drastisch zurückgeht. Die AG Energiebilanzen (AGEB) schätzt, dass der Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2023 auf ein Rekordtief von 10.784 Petajoule (PJ) sinken wird. Das sind fast 8 % weniger als im Vorjahr und rund 28 % weniger als beim Allzeithoch im Jahr 1990.

Das hat einen positiven Effekt an anderer Stelle: die CO2-Emissionen sinken ebenfalls, und zwar um etwa 10,7 % für das Gesamtjahr 2023, so die Agentur. Aber nicht nur der wirtschaftliche Abschwung hat die Energienachfrage abgekühlt. Auch das warme Wetter und die hohen Preise spielten eine Rolle, so die AGEB.

 

 

 

 

Ist das De-Industrialisierung?

Die schleppende Produktionstätigkeit und die vergleichsweise hohen Energiekosten haben in Deutschland eine heftige Debatte darüber ausgelöst, ob Deutschland sich "de-industrialisiert".

Die fünf Sektoren sind Schwergewichte für das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Jahr 2022 trugen sie rund 4 % zur gesamten Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft und fast ein Fünftel zum Wachstum des verarbeitenden Gewerbes bei. Außerdem sichern sie nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) rund 2,4 Millionen Arbeitsplätze.

Es gab Fälle von Werksschließungen und Produktionsverlagerungen in andere Teile der Welt angesichts der anhaltend hohen Energiekosten und der insgesamt geringen Nachfrage. So kündigte die BASF (BAS) im Februar an, eine der beiden Ammoniakanlagen (sowie andere chemische Anlagen) im Produktionsverbund in Ludwigshafen stillzulegen. Die Begründung: geringe Nachfrage in Europa und hohe Gaspreise. Vier Monate später erklärten die BASF und ihr norwegischer Partner Yara (YAR), dass sie den Bau neuer Ammoniakanlagen an der US-Golfküste prüfen, die auch eine Technologie zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung beinhalten würden.

Lanxess (LXS) lässt ebenfalls eine Vorliebe für die USA durchblicken. "Aufgrund der schwachen Nachfrage planen wir derzeit keine signifikante Ausweitung unserer Produktionskapazitäten", sagte ein Sprecher in einer E-Mail an Morningstar, und betonte: "Strategisch betrachten wir die Rahmenbedingungen für Investitionen in den USA als deutlich attraktiver als in Deutschland."

Diese Grafik zeigt, wovon sie reden:

 

 

Auch die Stromkosten sind in Folge der erhöhten Erdgaspreise gestiegen. So schossen die Großhandelspreise für Strom 2022 nach oben, allerdings konnten die Auswirkungen auf die Endverbraucherpreise durch niedrigere Steuern und Abgaben sowie staatliche Finanzspritzen etwas abgefedert werden. 

"Dauerhaft hohe Energiepreise wirken sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen aus. Der Zugang zu kostengünstigen und ausreichend erneuerbaren Energien bleibt für 2024 eine Herausforderung.", so BASF in einer E-Mail an Morningstar.

Katherine Olexa, Aktienanalystin bei Morningstar, sagt: "BASF (Narrow Moat) hat unter besonders widrigen Umständen gelitten, die aus den anhaltend hohen Rohstoffpreisen und der anhaltend niedrigen Endmarktnachfrage resultieren." Infolgedessen hat das Unternehmen einen Teil seiner deutschen Betriebe geschlossen und die Betriebsraten in seinen europäischen Werken auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau gesenkt.

"Wir gehen davon aus, dass sich diese Umstände im Laufe der Zeit abschwächen werden, insbesondere wenn sich die Produktnachfrage wieder normalisiert, aber es wird einige Zeit dauern, bis sich dieser Trend für die BASF voll auswirkt." Sie erwartet, dass sich die Fundamentaldaten für das Unternehmen verbessern werden, wenn sich die Lagerbestände in Westeuropa und den USA normalisieren.

"Diese beiden Regionen machen mehr als die Hälfte des Jahresumsatzes der BASF aus und werden im Einklang mit ihrer jeweiligen Erholung eine verbesserte Leistung unterstützen. Dies wird schrittweise erfolgen, und wir erwarten, dass bis 2024 noch ein gewisser Gegenwind vorherrschen wird, aber wir schätzen, dass das Unternehmen um 2025 wieder ein Umsatzwachstum erreichen wird, das bis 2027 durchschnittlich 6 % pro Jahr betragen wird."

 

Einige Industrien bleiben da, wo die Nachfrage ist

Natürlich können nicht alle Produktionsstätten einfach in ein niedrigpreisigeres Energieumfeld umziehen. Auch die regionale Nachfrage sowie Transport und Logistik spielen eine Rolle. Hier ein Beispiel: Beton. Das ist ein Produkt, das besser lokal produziert und vertrieben wird.

"Daher hat sich der regionale Fokus für uns nicht verändert", heißt es in einer E-Mail von Heidelberg Materials (HEI). "Im Zuge der Energiekrise haben wir für jedes Werk ein Einsparszenario entwickelt. Um Strompreisschwankungen abzufedern, richten wir unsere Produktion am Strompreis aus und verlagern beispielsweise einzelne Produktionsprozesse auf das Wochenende, wenn der Strompreis tendenziell niedriger ist", so das Unternehmen.

"Wir setzen außerdem – und nicht erst seit der Krise – auf alternative, u. a. biobasierte, Brennstoffe und Grünstrom", heißt es weiter.

 

Unternehmen stellen sich auf volatile Energiepreise ein

Unternehmen haben zahlreiche Strategien gefunden, um sich an die Energiekrise anzupassen: Energieeinsparungen, Brennstoffwechsel, strategischer Aufbau und Verkauf von Vorräten, Stromerzeugung vor Ort mit erneuerbaren Energien, Import von energieintensiven Vorprodukten sowie die weitere Optimierung der Energiebeschaffung und des Energiemanagements gehören zu den Strategien, die uns von Unternehmen genannt wurden.

Heidelberg Materials hat nach eigenen Angaben einen gemischten Portfolio-Ansatz für die Energiebeschaffung entwickelt, aus kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Verträgen. "Für den Industriestandort Deutschland sind aber langfristig bezahlbare und international wettbewerbsfähige Energiekosten elementar. Erneuerbare Energien sind erfolgsentscheidend für den Klimaschutz und müssen in hoher Menge verfügbar und bezahlbar sein."

ThyssenKrupp (TKA) hat nach eigenen Angaben das Energiemanagement entlang der gesamten Prozesskette Stahl überprüft und optimiert. "Wir ergreifen verschiedene Maßnahmen: Dazu können veränderte Anlagenfahrweisen gehören, wie zum Beispiel angepasste Vorwärmprozesse für Großanlagen."

Zu den Strategien gehören auch eine optimierte Stillstandsplanung, um möglichst viel Erdgas einzusparen, und insbesondere die Verlagerung geeigneter Produktionsprogramme in das Werk in Duisburg, um die Vorteile des Energieverbundes zu nutzen und damit Gas und Strom zu sparen.

Als größte Herausforderungen für die Stahlindustrie sieht das Unternehmen die weitere Umsetzung der Transformation der Stahlproduktion, einschließlich des Ausbaus einer nationalen und internationalen Wasserstoffinfrastruktur, sowie die Beschaffung von bezahlbarer, zunehmend grüner Energie zu Weltmarktpreisen.

Covestro (1COV) gibt an, die Produktion im Jahr 2023 nicht wegen der Energiekosten senken zu müssen. "Wir arbeiten bereits seit vielen Jahren intensiv daran, mithilfe eines professionellen Energiemanagementsystems unsere Energieeffizienz fortlaufend zu verbessern. Die Grundlage dafür bilden Prozess-Simulationen, anhand derer wir vorhandene Schwachstellen identifizieren und beseitigen, um unser energetisches Optimum zu erreichen. So konnten wir unseren spezifischen Primärenergiebedarf von 2002 bis 2020 bereits um 35% reduzieren und arbeiten kontinuierlich an weiteren Einsparungen", teilte das Unternehmen in einer E-Mail an Morningstar mit. 

Als kurzfristige Reaktion auf den Energieschock des letzten Jahres wurden einige geplante Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen auf das letzte Jahr vorgezogen und durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt. In den vorrübergehend leerstehenden Gebäuden wurde die Raumtemperatur abgesenkt und der Energiebedarf damit verringert. "Unsere Energieeinsparungen aus den seit 2022 umgesetzten Energieeffizienz-Projekten belaufen sich auf über 100 GWh Primärenergie, was einem Jahresenergieverbrauch von rund 5000 Haushalten entspricht."

Und das Chemieunternehmen Evonik (EVK) sagt: "In Deutschland ist es unsere Hauptaufgabe, Energie und Energieträger sowohl kostengünstig als auch zuverlässig einzukaufen. Zwar sanken die Energiepreise zuletzt wieder, doch sind wir in Deutschland noch weit davon entfernt, international wettbewerbsfähige Preise zu haben."

Der Ausbau der erneuerbaren Energien werde diesen Nachteil langfristig ausgleichen können, so das Unternehmen weiter. Kurzfristig wäre aber eine politisch eingeführte Strompreisdeckelung für Industrieunternehmen der richtige Weg gewesen. "Wir warten nun ab, wie sich die politische Diskussion zu diesem Thema entwickelt", sagt Evonik. 

Das Unternehmen investiert nach eigenen Angaben auch in seine Aminosäure-Produktionsanlagen in Singapur, Mobile (USA) und Wesseling, um die Effizienz zu steigern und den CO2-Fußabdruck zu verringern. Am größten Standort von Evonik in Marl hat der Konzern im Mai 2023 von Kohle- auf ein hocheffizientes Gaskraft umgestellt. 

 

Die langfristige Perspektive: Diese Titel halten unsere Analysten für unterbewertet

Katherine Olexa von Morningstar ist der Meinung, dass BASF einen Narrow Moat hat, der auf den skalenbasierten Kostenvorteil zurückzuführen ist, der durch das differenzierte Verbundproduktionsverfahren des Unternehmens in Ludwigshafen entsteht. Anlagen werden durch ein System von Pipelines miteinander verbunden. Das Unternehmen war in der Lage, dank dieser Betriebsstruktur Überrenditen auf das investierte Kapital zu erzielen.

Anfang November senkte sie die Fair Value-Schätzung leicht von 64 EUR je Aktie auf 62 EUR, was vor allem auf die pessimistischeren Aussichten für die Gesamtleistung des Unternehmens zurückzuführen ist. "Wir bleiben jedoch bei unserer Erwartung, dass sich die Leistung des Unternehmens im Einklang mit den globalen wirtschaftlichen Bedingungen um 2024 und darüber hinaus verbessern wird", sagt sie. Ein wichtiger Faktor für die Bewertung sind die Aussichten für Öl und Gas, die das Unternehmen durch das Verbundkonzept etwas ausgleichen kann.

Die Aktie von Lanxess (No Moat), einem weiteren Grundstoffunternehmen, wird derzeit stark unterbewertet gehandelt. Die Aussichten für die Endmärkte von Lanxess sind nach wie vor schwach, und das Management erwartet für das vierte Quartal eine geringere Nachfrage, da das Unternehmen weiterhin von der Lagerhaltung seiner Kunden und von lieferantenbedingten Produktionseinschränkungen in seinem Aromen- und Duftstoffgeschäft betroffen ist", so Morningstar-Analystin Diana Radu.

"Lanxess beabsichtigt jedoch, eine Senkung der Dividende für das Gesamtjahr 2023 auf 0,10 EUR vorzuschlagen und plant, in diesem Jahr 100 Mio. EUR durch Kostensenkungen und geringere Investitionen einzusparen. Die Ergebnisse stimmen weitgehend mit unserer Einschätzung überein, so dass wir keine wesentliche Änderung unserer Fair Value-Schätzung von 65 EUR erwarten."

Die Aktien von Evonik werden ebenfalls im 4-Sterne-Bereich gehandelt. "Da das Unternehmen in weitgehend reifen Märkten tätig ist, erwarten wir in den kommenden Jahren ein Mengenwachstum von etwa 3%-4% in einem normalisierten Szenario. Wir gehen davon aus, dass sich die Margen im Laufe der Zeit aufgrund des Kosteneinsparungsprogramms des Unternehmens und der kontinuierlichen Umstellung des Produktmixes auf margenstärkere Produkte verbessern werden, da die organischen Wachstumsprojekte anlaufen", schrieb Diana Radu in einer Notiz vom 6. Dezember.

Hier finden Sie einen Überblick über ausgewählte Aktien deutscher Hersteller. Wir haben nur Unternehmen aufgenommen, die von Morningstar bewertet werden. Vier oder fünf Sterne bedeuten, dass der Titel unterbewertet ist. 

 

 

 

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.