Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag ihren Leitzins um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 2,75 % gesenkt - bei eingetrübten Wirtschaftsaussichten und einer anhaltenden Inflation im Dienstleistungssektor. Der Schritt war weithin erwartet worden. Dies ist die vierte Senkung des Einlagensatzes in Folge, einen Tag nachdem die US-Notenbank angekündigt hatte, den Leitzins unverändert zu lassen. Die Entscheidung für den Schnitt um 25 Basispunkte sei einheitlich gefällt worden, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz.
“Der Desinflationsprozess ist auf gutem Wege. Die Inflation hat sich weiterhin weitgehend im Einklang mit den Projektionen der Experten entwickelt und dürfte im Laufe dieses Jahres zum mittelfristigen Ziel des EZB-Rats von 2 % zurückkehren”, so die EZB in ihrer Erklärung.
Inflation und Lohnwachstum schwächen ab
Während die Inflation nach wie vor hoch ist, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sich die Löhne und Preise in bestimmten Sektoren immer noch an den vergangenen Inflationsschub anpassen, schwächt sich das Lohnwachstum erwartungsgemäß ab, so die EZB.
Der EZB-Rat bekräftigte, dass er einen datenabhängigen und von Sitzung zu Sitzung wechselnden Ansatz verfolgen und sich nicht auf einen bestimmten Zinspfad festlegen werde, sondern entschlossen bleibe, die Inflation bei seinem mittelfristigen Ziel von 2 % zu stabilisieren.
“Die heutige Ankündigung einer Senkung der Zinssätze um 25 Basispunkte kam nicht überraschend, da Ökonomen dies in einer kürzlich durchgeführten Reuters-Umfrage einstimmig vorausgesagt hatten”, sagte Michael Field, leitender europäischer Marktstratege bei Morningstar.
“Die Senkung erfolgt vor dem Hintergrund eines Anstiegs der Inflationswerte in den letzten Monaten, aber mit 2,4 % im Dezember ist die EZB der Ansicht, dass die Situation noch unter Kontrolle ist. Seit den fast zweistelligen Inflationsraten haben wir einen langen Weg zurückgelegt, und während die Löhne immer noch aufholen, ist der jüngste Anstieg der Dienstleistungsinflation wahrscheinlich nur vorübergehend", fügte Field hinzu.
Die Märkte preisen derzeit weitere Zinssenkungen um 75 Basispunkte im Jahr 2025 ein, wodurch der Einlagensatz auf 2 % sinken würde. Am 7. Februar veröffentlicht die EZB eine neue Einschätzung ihrer Ökonomen zum neutralen Zinssatz - also das Niveau, bei dem die Geldpolitik das Wachstum weder anreizt noch einschränkt
Änderungen der Leitzinsen der EZB
Die EZB begann ihren Zinssenkungszyklus im Juni, legte im Juli eine Pause ein und setzte ihre Zinsanpassungen im September, Oktober und Dezember fort. Ab dem 5. Februar werden die drei EZB-Leitzinsen bei folgenden Werten liegen:
- Zinssatz der Einlagefazilität: 2,75%.
- Hauptrefinanzierungssatz: 2,90%
- Spitzenrefinanzierungsfazilität: 3,15%
Am Mittwoch drückte die Fed auf die Pausentaste und beließ ihren Leitzins in der derzeitigen Spanne von 4,25 % bis 4,50 %, womit sie zum ersten Mal seit dem Beginn der Zinssenkung im September eine solche Maßnahme ergriff. Ebenfalls am Mittwoch kündigte die schwedische Riksbank eine weitere Senkung um 0,25 Prozentpunkte an, so dass der Zinssatz seit Mai 2024 um insgesamt 1,75 Prozentpunkte gesenkt wurde.
Unter den großen europäischen Zentralbanken war die Schweizerische Nationalbank mit einer Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte im März 2024 die Vorreiterin, während die Bank of England als letzte handelte. Sie begann ihre Zinssenkungen auf ihrer August-Sitzung, gefolgt von einer weiteren im November. Eine weitere Senkung ist für die nächste geldpolitische Sitzung am 6. Februar eingepreist.
Marktreaktion auf die Zinssenkung der EZB
Die europäischen Aktien und der Euro blieben nach dem erwarteten geldpolitischen Schritt weitgehend unverändert.
Risiken bleiben in Europa bestehen, aber eine Überhitzung der Wirtschaft steht nicht ganz oben auf der Liste. Wenn der Einlagensatz unter 2 % fallen würde, wäre dies ein Segen für europäische Aktien, insbesondere für solche, die vom Konsum abhängig sind, so Field.
Europäische Wirtschaft stagniert
Am Donnerstag hatten die Daten von Eurostat gezeigt, dass die Wirtschaft des Euroraums im vierten Quartal unerwartet stagnierte. “Besonders enttäuschend war die Entwicklung in Deutschland, wo die Wirtschaft um 0,2 Prozent schrumpfte”, so DWS-Chefvolkswirt Martin Moryson in einer Mitteilung.
“Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war der Hauptgrund dafür ein deutlicher Rückgang der Exporte. Dies ist umso besorgniserregender, als die deutsche Industrie aufgrund von Trumps Handelspolitik weiterhin mit starkem Gegenwind aus den USA rechnen muss.”
Auch wenn die DWS davon ausgeht, dass die hohen Zölle auf europäische Produkte nicht lange Bestand haben werden, reiche die Unsicherheit über die weitere Entwicklung wohl aus, um Investitionsentscheidungen zu verschieben.
Mit 2,75% ist der Einlagenzins immer noch restriktiv - zu restriktiv für die derzeitige Schwäche der Wirtschaft der Eurozone, schrieb Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei ING, in seinem Blog. „Der jüngste Anstieg der Anleiherenditen hat auch die finanziellen Bedingungen in der Eurozone verschlechtert. Auch wenn einige argumentieren, dass die Geldpolitik nur sehr wenig tun kann, um strukturelle Probleme zu lösen, werden die politische Instabilität und die Unsicherheit in vielen Ländern die EZB dazu zwingen, weiterhin die schwere Last zu tragen“, sagte er.
Lagarde bekräftigte, dass sich die Wirtschaft der Eurozone trotz der enttäuschenden Zahlen weiterhin auf einem Erholungspfad befindet, wobei die nachlassenden Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik und der höheren Löhne die Nachfrage schließlich stützen und die Kreditkosten senken werden.
Wie werden sich Zinssenkungen auf die Märkte auswirken?
Die Aktienmärkte tendieren zu einem Anstieg, wenn Zinssenkungen erwartet werden. Auf den Anleihemärkten bedeuten sinkende Zinssätze niedrigere Renditen, was die Anleihekurse nach oben treibt. Niedrigere Zinsen machen auch bestehende Anleihen, insbesondere solche, die bereits während einer Hochzinsphase begeben wurden, für die Rendite attraktiver.
Sparzinsen auf Bankkonten werden indes wohl sinken, zum Nachteil der Sparer. Die Zinssätze, die Sparer erhalten, hängen größtenteils von der Einlagefazilität ab, die festlegt, welche Zinsen Banken für die Einlage von Geld bei der EZB über Nacht erhalten. Kreditnehmer hingegen profitieren von niedrigeren Zinsen, da Verbraucherschulden und Hypotheken billiger werden.
Wann finden die EZB-Sitzungen im Jahr 2025 statt?
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