Der Wahlsieger Friedrich Merz hat Ausgabenpläne angekündigt, die mit der seit langem geltenden Doktrin der niedrigen Neuverschuldung brechen und die Schuldenmärkte in Aufruhr versetzen. Aktien und der Euro erfahren Auftrieb.
Der Euro kletterte auf 1,08 Dollar und damit auf den höchsten Stand seit Anfang November, wobei sich die Entwicklung am stärksten auf Bundesanleihen auswirkte, deren Rendite auf über 2,7% und damit auf den höchsten Stand seit fast drei Jahren stieg.
“Die fiskalische Wende wird die Art und Weise, wie Bundesanleihen gehandelt werden, dauerhaft verändern”, sagte T. Rowe Price-Chefökonom für Europa, Tomasz Wieladek, am Mittwochmorgen. “Bundesanleihen werden heute wahrscheinlich deutlich nachgeben und in Zukunft eher wie andere sichere Anleihemärkte gehandelt werden.”
Die Pläne wurden von Union und SPD noch vor Merz’ Amtsantritt angekündigt. Die Parteien einigten sich auch auf eine Reform der verfassungsrechtlichen Verschuldungsgrenze des Landes. Ein solcher Schritt müsste vor dem 25. März erfolgen- an diesem Datum tritt der neue Bundestag, samt Sperrminorität durch AfD und Linke- zusammen.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstagabend signalisierten Union und Sozialdemokraten, dass der Bundestag bereits in der nächsten Woche zusammenkommen könnte, um über die Vorschläge abzustimmen.
Was ändert sich an der Schuldenbremse?
Die Vorschläge vom Dienstagabend bestehen aus einem 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturpaket, das die Schuldenbremse umgeht, ähnlich dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr im Jahr 2022. Weiters sollen Verteidigungsausgaben über 1% des BIP von der Schuldenbremse ausgenommen werden - was einer Aufhebung aller Beschränkungen gleichkommt, da die Verteidigungsausgaben diesen Wert bereits überschreiten. Schließlich wird die Schuldenbremse die Bundesländer nicht mehr zwingen, ausgeglichene Bilanzen zu führen, sodass Defizite auf Länderebene bis zu 0.35% möglich werden.
In Verbindung mit der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Ausnahme der Militärausgaben von den Stabilitätsregeln der Union durch Aktivierung einer Ausweichklausel für Krisenzeiten öffnen diese Änderungen die Tür für eine drastische Erhöhung des Verteidigungsetats.
„Die Ankündigung hat den Markt überrascht, insbesondere was den Verteidigungssektor betrifft, wo man eher mit einem Fonds ähnlich dem für Investitionen gerechnet hatte, als mit einer neuen Untergrenze der möglichen Ausgaben“, kommentierte Monica Zani, Fixed Income-Portfoliomanagerin bei AllianzGI. „Diese Entscheidungen bedeuten zusätzliche Ausgaben in Höhe von mindestens 1 Billion Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren, was knapp 25% des deutschen BIP entspricht.“
Eine 180-Grad-Wende für Merz
Mit diesem Schritt hat Merz seine lange vertretene Position, dass die deutsche Schuldenbremse zweckmäßig sei und beibehalten werden müsse, abrupt geändert. Er sagte am Dienstag, Deutschlands Verteidigungsfähigkeit müsse gestärkt werden, und zwar “whatever it takes”. Damit erinnerte er an die Rede des damaligen EZB-Chefs Mario Draghi aus dem Jahr 2012, in der er eine aggressiv expansive Geldpolitik ankündigte, um den Euro zu erhalten.
In Merz' Partei sind die Pläne höchst umstritten. “Schlimmer geht es kaum”, zitierte das Handelsblatt am Mittwoch Mitglieder des CDU-Wirtschaftsflügels, nachdem die Partei in ihrer Wahlkommunikation Sonderbudgets ausgeschlossen hatte.
“All dies fühlt sich wie ein großer Sprung an, den die CDU/CSU gemacht hat”, schrieb JPMorgan-Analyst Greg Fuzesi am Dienstagabend. “Noch gestern sagte Merz, dass ein großes Sondervermögen den Druck zur Konsolidierung des restlichen Haushalts erhöht.”
Auswirkungen weit über Deutschland hinaus
Da die die deutsche Bundesanleihe als risikofreie Benchmark für die Kosten der Schuldenaufnahme in der gesamten Region gilt, wirkt sich der finanzpolitische Kurswechsel Deutschlands auf die Staatsanleihen des Euroraums aus. Deren Renditen dürften ebenfalls steigen, wodurch andere europäische Regierungen unter Druck geraten, ihre Neuverschuldung längerfristig einzuschränken.
Der Spread zwischen dem italienischen BTP und der Bundesanleihe verringerte sich um etwa 2,5% auf 105 Basispunkte und war damit so gering wie seit Oktober 2021 nicht mehr, während die Renditen 10-jähriger italienischer Anleihen auf 3,7% stiegen. Der Spread zwischen der französischen OAT und der Bundesanleihe ging ebenfalls auf 71 Basispunkte zurück, als die OAT-Renditen auf 3,4% stiegen, während der Abstand zwischen der spanischen Bono und der Bundesanleihe laut Teleborsa um 4% auf 66 Basispunkte sank.
Infrastrukturwerte führen Aktienrallye an
Die Aussicht auf eine neue Ära der erhöhten Staatsausgaben beflügelte am Mittwoch auch die europäischen Aktien. Der deutsche Leitindex DAX stieg um 3,4% und der regionale Index Stoxx Europe 600 um 0,9% bis Handelsende, angeführt von Bauwerten wie Kion KGX mit einem Plus von 20,2%, Wienerberger WIE mit einem Plus von 15% und Hochtief HOT mit einem Plus von 15,5%.
Die europäischen Banken legten ebenfalls zu, wobei Deutsche Bank DBK und Commerzbank CBK jeweils um über 10% zulegten, die italienische UniCredit UCG um 7,4% und BNP Paribas BNP um 4.1%. Außerhalb der Eurozone stiegen Barclays BARC um 3,8% und die UBS UBS um 3% an, obwohl es keinen offensichtlichen kausalen Zusammenhang mit den politischen Ereignissen in Deutschland gibt.
“Die heutige Rallye im europäischen Bankensektor hat die gestrigen starken Verluste aufgrund von Zollängsten wieder wettgemacht”, so Morningstar-Analyst Johann Scholtz. “Wir sind etwas überrascht von der raschen Umkehr, da das Zoll-Narrativ unverändert bleibt. Wir denken, dass die europäischen Banken, die oft als Indikator für die Gesamtwirtschaft angesehen werden, angesichts der anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten weiterhin eine erhöhte Volatilität aufweisen könnten.”
Rüstungsaktien setzen Rallye fort
Die Waffenhersteller der Region setzten ihre dramatische Rallye fort, die bereits am Montag mit zweistelligen Kursgewinnen durchgestartet war. Die deutsche Rheinmetall RHM zog um weitere 7% an und die italienische Leonardo LDO legte um rund 4% zu, während die französische Thales HO um 7,6% und Dassault Aviation AM um 4,3% astieg. Flugzeugbauer SAAB SAAB B wurde rund 6% höher gehandelt.
Kleinere Titel aus dem Verteidigungsbereich legten ebenfalls weiter zu: Der deutsche Sensorenspezialist Hensoldt HAG um 8,9% und der norwegische Konzern Kongsberg KOG um 3,9%.
Sara Silano, Valerio Baselli und Jocelyn Jovene haben zu diesem Artikel beigetragen. Es handelt sich um eine teilweise maschinelle Übersetzung des englischen Originalartikels auf morningstar.co.uk.
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