Die Wirtschaft ist noch in der Entwicklung begriffen, das BIP pro Kopf beträgt 500-600 US-Dollar (in China ist es doppelt so hoch, in den USA beträgt es das 30fache). Das Wachstumspotential ist aber enorm. Daneben bietet das Land Demokratie und ein funktionierendes Rechtssystem sowie ein starkes Bevölkerungswachstum.
Indien verfügt zudem über eine Fülle gut ausgebildeter, englisch sprechender Arbeitskräfte und punktet durch ein hohes Niveau an Corporate Governance. Kein Land ist frei von Unternehmensskandalen, aber die Qualität des
Managements ist angesichts des niedrigen Entwicklungsstandes beachtlich.
Welche Risiken bestehen?
Lange Zeit war das Wirtschaftswachstum ansehnlich, aber nicht spektakulär. Der in den 90er Jahren einsetzende Prozess der wirtschaftlichen Liberalisierung hat zu erheblichen Fortschritten geführt – trotz der Regierungswechsel. Politische Risiken, die die Reformen bremsen könnten, sind aber immer präsent.
Andererseits haben sich durch die Panik nach dem Wahlsieg der Kongresspartei im Mai 2004 über die regierende BJP sehr gute Kaufgelegenheiten ergeben, und der Markt hat sich danach wieder gut erholt.
Außerdem kommt ein großer Teil der Kapitalströme nicht von Anlegern, die Erfahrung mit Schwellenmärkten mitbringen, sondern von Investoren, die sich zum ersten Mal in Indien engagieren und von den hohen Gewinnen angelockt wurden. Dies bedeutet, dass der Markt im Falle negativer Nachrichten, getrieben durch Emotionen, sehr volatil sein kann.
Wie reagiert die indische Wirtschaft auf den Wettbewerber China?
Die Stärken Indiens liegen eher im Bereich der Dienstleistungen als im produzierenden Gewerbe, der Fokus liegt mehr auf Software und Pharma als auf der Schwerindustrie. Die Aufnahme Chinas und Indiens in die Welthandelsorganisation hat in indischen Unternehmen viele Befürchtungen geweckt. Sie haben allerdings gezeigt, dass sie der Konkurrenz standhalten können.
In verschiedenen Branchen außerhalb von Software & Co, z.B. Motorräder, Metallverarbeitung oder Chemie, spielen indische Unternehmen global eine wichtige Rolle, das Vertrauen ist in den letzten Jahren merklich gestiegen. Großes Hindernis sind die Mängel in der Infrastruktur, wo Verbesserungen nur langsam spürbar werden.
Andererseits wird sich das Bevölkerungswachstum in China in den nächsten Jahrzehnten deutlich verlangsamen, da die Ein-Kind-Politik zu einem Schrumpfen der Arbeitsbevölkerung und einem höheren Durchschnittsalter führen wird – das Gegenteil von dem, was man von einem Schwellenland erwarten würde.
Die strukturellen Probleme Chinas – übermäßige Investitionen, hoher Anteil notleidender Kredite im Bankensystem, staatliche Pensionsverpflichtungen – könnten neben den Risiken eines ungeordneten Machtwechsels dazu führen, dass die Stimmung sich in den nächsten Jahren zugunsten von Indien wendet.
Welche weiteren Unterschiede gibt es im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern?
Die Asienkrise der Jahre 1997/98 ist an Indien vorbeigegangen, da das Land keine Überinvestitionen erlebte und die Unternehmen keine Schulden anhäuften, die andernorts viele asiatische Firmen zusammenbrechen ließen. Ungeachtet dessen hat die wirtschaftliche Entwicklung viel Zeit in Anspruch genommen, die indischen Unternehmen fangen erst jetzt an, ihre Investitionsausgaben zu erhöhen.
Wie ist Ihr Ausblick für die Region?
Der Zufluss ausländischen Kapitals unterstützt weiterhin den Markt. Die Bewertungen sind für manche Titel etwas ausgereizt, aber die Sorge um eine Überhitzung hat nach den guten Unternehmensmeldungen aus mehreren Branchen nachgelassen. Der Monsunregen ist in Anbetracht des schlechten Zustands der Bewässerungssysteme ein Problem, die Auswirkungen der starken Regenfälle in Gujarat und Maharashtra sind noch zu spüren.
Indien importiert große Mengen an Öl. Der starke Ölpreisanstieg ist ein großer Belastungsfaktor für die Wirtschaft. Insgesamt bleiben die Aussichten für den Markt gut. Man muss aber selektiv vorgehen und sich die Einzeltitel anschauen anstatt Sektorwetten einzugehen. In den Branchen Energie, Maschinenbau, Automobile, Pharmazie und Software gibt es gute Chancen, aber es ist wichtig, Kurskorrekturen für günstige Einstiegsmöglichkeiten zu nutzen.
Der Markt befindet sich auf historischen Höchstständen. Auch wenn dies durch die Gewinne der Unternehmen gerechtfertigt ist, sollte man bereit sein, kurzfristige Kursschwankungen in Kauf zu nehmen, wenn man vom Langfristpotential des Landes profitieren will.