Unser Ausblick für Energieaktien

Geopolitische Risiken verstärken die zugrunde liegenden Engpässe am Ölmarkt.

Jason Stevens 04.04.2011
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  • Die geopolitischen Ereignisse und die Katastrophe in Japan verschärfen den Aufwärtstrend der Ölpreise.
  • Die Fundamentaldaten bei Erdgas sollten sich im Laufe 2011 verbessern, da die Anzahl der Bohrungen nach Gas weiterhin abnimmt.
  • Große integrierte Ölkonzerne und nationale Energieunternehmen bilden Joint Ventures, was die Suche und Gewinnung von Gas durch Schieferbohrungen weiter vorantreibt.
  • Der Energiesektor erscheint insgesamt leicht überbewertet. Aktien von kleinen Unternehmen sind besonders überbewertet, während wir mittlere und große Unternehmen als fair bewertet betrachten.

Seit Anfang 2011 bestimmen geopolitische Ereignisse die Nachrichtenlage im Energiesektor. Die Volksaufstände in Tunesien, Ägypten, Bahrain und anderen Nationen im Nahen Osten und Nordafrika weckten Befürchtungen vor einer Ansteckungsgefahr auf andere Länder und der Ölpreis stieg aufgrund des gestiegenen politischen Risikos. Die Ereignisse in  Libyen, das 2010 1,4 Millionen Barrel Öl am Tag produzierte, verstärkten die Besorgnis, da westliche Ölunternehmen das Land verließen und der Export von Öl und Gas zurückging. Daraufhin erhöhte Saudi-Arabien seine Ölproduktion und der Markt schien gut versorgt zu sein. Aber diese erweiterte Produktion bedeutet einen Rückgang von freien Kapazitäten, was die Fähigkeit des Markts verringert, auf weitere Schocks zu reagieren.

Das Erdbeben und der Tsunami in Japan Anfang März machen sich weiterhin auf den Energiemärkten bemerkbar. Rund 30% von Japans Raffineriekapazitäten und 10% der Energieversorgung waren aufgrund des Tsunami nicht in Betrieb. Teile davon, wie das Kernkraftwerk in Fukushima, werden wohl nie mehr verwendet werden. In der Zwischenzeit wird Japan auf den Import von raffinierten Produkten angewiesen sein, um die Katastrophenhilfe in Gang halten zu können. Wir erwarten, dass Energiekonzerne und Fabriken auf Rohöl und Diesel umsteigen werden, um den Verlust bei der Kernenergie auszugleichen. Es ist derzeit aber unklar, ob diese Nachfrage größer sein wird als der Verlust der Nachfrage, der durch die Katastrophe eingetreten ist. Mittelfristig erwarten wir, dass Japan seinen Energiebedarf durch einen erhöhten Rohölbedarf und LNG-Schiffstransporte (Verflüssigung von Erdgas - Liquified Natural Gas, LNG) decken wird.

Der Preis für Rohöl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) ist seit Jahresanfang um fast 11% gestiegen, was sich hauptsächlich auf geopolitische Ereignisse zurückführen lässt. Der Preis der Rohölmarke Brent, eine wichtige Benchmark außerhalb der USA, erhöhte sich um 21%. Am Anfang des Jahres lag der Preis für Brent 2 USD höher als für die Marke WTI. Dieser Abstand hat sich zeitweise auf 16 USD erhöht, da die Brent-Preise auf makroökonomische Ereignisse reagierten. Brent notiert immer noch 12 USD höher als WTI. Der wichtigste Einflussfaktor sind die Rohölvorräte. Große Rohölbestände in Cushing, Okla. (Abwicklungsstelle für physische WTI-Verträge) sowie die begrenzte Transportkapazität der Pipelines zur US-Golfküste verringerten den Preisauftrieb für Rohöl in Cushing und begrenzten den Aufwärtstrend bei der Preisentwicklung des WTI.

Als wir im letzten Quartal über den Hintergrund für den kurzfristigen Anstieg des Ölpreises sprachen, prognostizierten wir natürlich keine politischen Unruhen oder Tsunamis. Wir erwarten weiterhin ein Wachstum der Nachfrage, das das Angebot übersteigen wird, außer für den Fall eines Kollapses der Nachfrage aufgrund einer schwachen Wirtschaft (was wiederum durch zu hohe Ölpreise verursacht werden könnte). Die Fundamentaldaten unterstützen einen Aufwärtstrend des Ölpreises.

Bei Erdgas sehen wir unsere These bestätigt, dass sich Unternehmen bei Investitionen zunehmend auf Flüssiggas orientieren. Dennoch erwarten wir eine beachtliche Abnahme der Bohraktivitäten in der zweiten Hälfte 2011. Die Kombination aus geringen Gaspreisen, hohen Servicekosten, dem nachlassenden Druck, bestehende Bohrrechte zu nutzen und ein schwacher interner Cash Flow bei den Explorations- und Förderunternehmen werden die weiteren Bohraktivitäten begrenzen. Obwohl das weiterhin für einen geringen Gaspreis für 2011 spricht, sehen die Perspektiven für 2012 und danach besser aus.

Der Wechsel zur Produktion von Flüssiggas wird unserer Meinung nach zu höheren Gaspreisen führen, da die Explorations- und Förderunternehmen einen attraktiven Preis verlangen werden, bevor sie Investitionen von renditestarken Flüssiggasprojekten abziehen. Obwohl hohe Öl – und Flüssiggaspreise weiterhin Unterstützung haben, sehen wir bei öldominierten Unternehmen mehr Kursrisiken als bei auf Gas fokussierten Produzenten.

Trotz der Schwierigkeiten, die die Gasexplorations- und Förderunternehmen in der Vergangenheit hatten, ist es erstaunlich, dass die Service-Unternehmen, die auf die USA fokussiert sind, in den letzten Quartalen eine beachtliche Preismacht erzielt haben. Die Konsolidierung bei den Serviceunternehmen und die hohen Preise für Öl- und Flüssiggas sowie der Wunsch, Bohrrechte durch Probebohrungen zu wahren (trotz geringer Gaspreise) haben zu einer hohen Servicenachfrage von Seiten der US-Explorations- und Förderunternehmen geführt sowie zu einer außergewöhnlichen Preissetzungsmacht der Serviceunternehmen.

Viele Explorations- und Förderunternehmen haben somit geringe Preise für Gas und höhere Servicekosten zu spüren bekommen, was die Gewinnmargen gedrückt hat. Die Profitabilität der Serviceunternehmen hat sich erhöht. Unserer Meinung nach kann dieser Trend nicht über eine lange Zeit anhalten. Dennoch werden die Serviceunternehmen davon 2011 noch profitieren.

Bewertungen

Auf Sektorebene befinden sich unserer Meinung nach die Bewertungen etwas über dem fairen Wert, wie das Verhältnis aus Kurs zu fairem Wert für den Gesamtsektor von 1,03 zeigt. Große und mittlere Unternehmen liegen genau in dieser Bandbreite. Kleine Unternehmen erscheinen überbewertet mit einer Verhältnis von 1,20. Sie sind die Gewinner der Rallye der Energiewerte, die im dritten Quartal 2010 stark an Fahrt gewann.

Auf Sub-Sektorebene scheinen Midstream- und integrierte Öl- und Gasunternehmen fair bewertet zu sein. Leicht überbewertet schätzen wir dagegen Explorations- und Förder- sowie Serviceunternehmen ein. Raffinerien sehen wir als am deutlichsten überbewertet mit einem Verhältnis von 1,26. Öl– und Gasbohrunternehmen sind der einzige unterbewertete Sub-Sektor mit einem Median von Kurs zu Fair Value von 0,94.

Energieaktien im Blickpunkt

Angesichts der starken Kursgewinne, die bei Energiewerten in jüngster Zeit zu verzeichnen waren, sehen wir keine extremen Unterbewertungen. Allerdings halten wir die folgenden Unternehmen derzeit zumindest für moderat unterbewertet: 

Einige dieser Aktien waren auch schon in der Vergangenheit auf unserer Liste, da wir ihre Geschäftsmodelle und Bewertungen schätzen. Es befindet sich auch das Midstream-Unternehmen Spectra Energy darunter, das sich hauptsächlich auf den Transport von Erdgas spezialisiert hat und Rohstoffpreisbewegungen nur begrenzt ausgesetzt ist.

Bei den Explorations- und Förderunternehmen möchten wir Range Resources hervorheben. Das Unternehmen verfügt über eine dominante Position in der Marcellus Shale in Pennsylvania und verfügt über eine der geringsten Kostenbasen bei der Förderung von Gas; Petrohawk Energy ist in den Haynesville und Eagle Ford Shales führend; das kanadische Unternehmen Talisman Energy verlegt sich in Nordamerika zunehmend auf die Gasgewinnung aus Schiefergesteinen. Dazu kommt die Aktie von Transocean, das über das beste Risiko/Rendite-Profil bei den Bohrunternehmen verfügt.

Unser Grundannahme beim Ölpreis liegt 25% geringer als der Preis für Futures des Jahres 2013 und länger, während unsere Annahme für den Erdgaspreis 30% höher liegt als die Preise für Futures des Jahres 2013 und länger.

Spectra Energy

Spectra Energy deckt mit dem Transport, der Lagerung, der Verteilung, der Sammlung und dem Verarbeiten von Erdgas die Wertschöpfungskette des Rohstoffes ab. Das Unternehmen operiert in den USA und Kanada. Der Cash Flow von Spectra stammt aus unterschiedlichen Quellen, wobei 80% auf Gebühren basieren (meistens reguliert). Daher ist er sehr beständig in fast allen Marktumfeldern. Dennoch könnten die erhöhten Preise bei flüssigem Gas die Gewinne von DCP Midstream - einem Joint Venture mit ConocoPhillips – stark beeinflussen, wie wir 2008 gesehen haben. Wenn die Preise für NGLs, Kondensate und Gas das jüngst erreichte Niveau halten, sehen wir ein signifikantes Aufwärtspotential bei den Gewinnen von DCP sehen sowie beim Aktienkurs von Spectra. Spectra sollte auch ohne einen deutlichen Anstieg der Rohstoffpreise konstant wachsen, da es ein gut aufgestelltes Pipeline-Netzwerk sowie die gebührenbasierende Verarbeitung in den Marcellus, Horn River und Montney Shales weiter entwickelt. Es gibt wenige Wettbewerber, die mit Spectras Zugang zu Zulieferern und Märkten mithalten können.

Range Resources

Wir sind sehr optimistisch bei den langfristigen Wachstumsaussichten für Range Resources, da das Unternehmen fast 800,000 Hektar in der Marcellus Shale besitzt. Range hat weniger als 5% an Bohrungen im Südwesten von Pennsylvania abgeschlossen. Kürzlich wurde die Produktion im nordöstlichen Teil des Bundesstaates aufgenommen. Ab 2014 erwarten wir eine Produktion aus der Marcellus Shale von 1,3 BCFE/D. Langfristig sollte das Unternehmen von seinen Feldern in Virginia und Pennsylvania profitieren, wie kürzlich abgeschlossene Bohrungen zeigen. Das Unternehmen gab kürzlich den Verkauf der Barnett Shale bekannt und erwartet zusätzliche Verkäufe von Nichtkernbereichen in diesem Jahr, was dem Marcellus-Gebiet zugute kommt und den Bedarf an externer Finanzierung minimiert. Anhaltende Effizienzsteigerungen sollten die Kosten für die laufenden Operationen sowie Explorations- und Entwicklungskosten senken. Dies kann sich in einem Aufwärtspotential der Aktie niederschlagen.

Petrohawk Energy

Obwohl die niedrigen Gaspreise eine Herausforderung darstellen, bleiben die langfristigen Aussichten für das Unternehmen positiv. Es besitzt Felder in der Haynesville/Bossier und Eagle Ford Shale, die kostengünstiges Wachstumspotential versprechen. Die niedrigen Gaspreise könnten für die Bilanz 2011 des Unternehmens erneut eine Herausforderung darstellen. Selbst wenn die Gaspreise 2011 nicht steigen, könnten der Verkauf von Vermögenswerten und gute Bohrergebnisse zu einer besseren Bewertung führen. Der kürzliche Verkauf von Vermögenswerten hat die Finanzstrategie des Unternehmens auf eine solidere Basis gestellt und den Bedarf, sich am Aktienmarkt zu rekapitalisieren, gesenkt. Zur Unterstützung des 2011/12-Budgets sollten der Verkauf des Fayetteville Shale sowie der verbleibenden Flächen von Kinderhawk beitragen.

Talisman Energy

Talisman konzentriert seine Expansion auf Nordamerika und Südostasien, um seine Reserven zu erhöhen und langfristig eine gut prognostizierbare Produktionsbasis zu schaffen. CEO John Manzoni investiert derzeit in Schiefergas in Nordamerika, wo Partnerschaften in Montney and Eagle Ford eingegangen werden. Im Marcellus-Gebiet ist das Unternehmen einer der größten Produzenten nach Volumen gemessen. Es agiert weiterhin international, mit Explorationen in Kolumbien und Irak, was mit politischem Risiko verbunden ist, insbesondere auf die Größe des Unternehmens bezogen. Talisman hat weitgehend auf eine hohe Fremdfinanzierung verzichtet, indem es Nichtkerngeschäft abgestoßen hat und Joint Ventures eingegangen ist. Diese Strategie verleiht Talisman einige Flexibilität. Die geplanten größeren globalen Investitionen dürften allerdings einen Großteil des Cashflows absorbieren.

Transocean

Der Aktienkurs von über 80 USD hat von einigen positiven Entwicklungen profitiert, wie der Aufhebung des Moratoriums am Golf von Mexiko, der Schließung des Macondo-Bohrlochs sowie der Veröffentlichung des Bly and National Commission Reports. Der Aktienkurs hat sich seither um 90% von seinen Tiefständen erholt. Weitere Kurstreiber könnten die Veröffentlichung eines eigenen Untersuchungsberichts, die komplette Analyse über die Bohrlochsicherer sowie die Ergebnisse der straf- und zivilrechtlichen Untersuchungen der DOJ/EPA sein. Dennoch erwarten wir nur mehr ein moderates Aufwärtspotential durch diese Veröffentlichungen. Langfristig sehen wir Chancen durch den weiterhin bestehenden Trend hin zu Tiefseebohrungen. Transocean ist das größte und erfahrenste Unternehmen bei Tiefseebohrungen und sollte von diesem Trend profitieren

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 29. März 2011 auf www.morningstar.com. Jason Stevens ist Associate Director of Equity Research bei Morningstar. Wenn Sie mehr über das Aktienreserach von Morningstar erfahren möchten, klicken Sie hier oder schicken Sie uns eine Nachricht.

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Über den Autor

Jason Stevens  Jason Stevens is an associate director of equity research at Morningstar.