Lange Zeit interessierten die Schwierigkeiten der Nachbarländer Italien nicht. Die Probleme Griechenlands, Portugals oder Irlands waren schließlich nicht die Roms. Man betrachtet sich als wichtiges Kernland der EU. Doch Italiens Regierung hat sich in den vergangenen Jahren zu viel geleistet, ohne vom Markt abgestraft zu werden. Der skandalträchtige Premierminister Silvio Berlusconi und seine Regierungen haben wichtige Reformen verschleppt. Die Rekordschulden blieben unverändert bei 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), und keinen schien es zu interessieren. Als Finanzminister Giulio Tremonti vor etwa zwei Wochen ein umfangreiches Sparpaket präsentierte, machte sich Berlusconi über seinen vorausschauenden Minister lustig: „Er hält sich für ein Genie und alle anderen für blöd.“ Einmal mehr verhielt sich der Premierminister wie ein Elefant im Porzellanladen. Im Unterschied zu früher erschütterten die Aussagen diesmal jedoch die Märkte. Das Vertrauen der Anleger in die drittgrößte europäische Volkswirtschaft war aufgebraucht. Die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen und die Kreditausfallversicherungen, die Credit Defaults Swaps (CDS), weiteten sich rasant aus und erreichten den höchsten Stand seit fünf Jahren.
Italien ist natürlich nicht ganz unschuldig in die Schusslinie des Marktes geraten. Eine überforderte sklerotische Wirtschaft mit einer orientierungslosen Regierung, an deren Spitze ein Mann steht, der mehr Zeit mit der Bekämpfung der zahlreichen Korruptionsvorwürfe verbringt als mit der Führung des Landes, präsentiert sich nicht besonders gut in der Welt.
Trotz aller Missstände in Italien hat die heftige Reaktion des Marktes der vergangenen Tage wahrscheinlich wenig mit dem Land selbst zu tun. Tatsächlich ist es eine Antwort auf die ständig streitenden Politiker der Eurozone, die unfähig sind, eine glaubwürdige Lösung für das noch ausstehende griechische Schuldenproblem zu präsentieren. Ein Übergreifen der Staatsschuldenkrise auf Italien gleicht aber einem Ritt auf dem Pulverfass. Hatten die meisten Beobachter gedacht, dass Spanien allein schon zu groß wäre, um es zu retten, so ist die Rettung Spaniens und Italiens unmöglich.
Es dürfte klar sein, dass weder Spanien noch Italien derzeit Probleme haben, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Doch was der Markt leicht herbeiführen könnte, ist ein Liquiditätsproblem, wobei es für die Länder wegen der hohen Zinsen unklug ist, am offenen Markt nach Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen. Im Gegensatz dazu ist Griechenland bankrott. Während sich die Aufmerksamkeit der Ratingagenturen derzeit auf Portugal richtet, ist meine Vermutung, dass Irland das Land ist, für das es immer schwieriger wird, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, die es bei der Übernahme der Schulden seines Bankensystems eingegangen ist.
Und so brauchen wir einen glaubwürdigen Mechanismus, um mit einer möglichen Insolvenz umzugehen. Und zwar nicht erst in einigen Monaten, sondern jetzt. Ansonsten wird der Markt weiter Druck auf Spanien und Italien ausüben, bis die ganze Eurozone auseinanderfällt.
So naheliegend es klingen mag, der erste Schritt besteht darin, anzuerkennen, dass Athen pleite ist. Erst wenn dies geschieht, kann auch eine glaubwürdige Strategie begonnen werden. Griechenland benötigt sehr viel Zeit sowie sehr günstige Refinanzierungskosten, damit es umfassende Strukturreformen umsetzen kann, um sich von seinem Bündel von Problemen zu befreien. Eine wenig sinnvolle Reihe von Rettungspaketen mit unerschwinglichen Zinsen wird nicht zum Ziel führen. Ein ungehinderter Zugang Griechenlands zu einem Markt mit preiswerten Finanzierungsmöglichkeiten kann jetzt nur noch mit ausdrücklicher Unterstützung seiner Partner in der Eurozone in der Form einer europäischen Gemeinschaftsanleihe erfolgen.
Die griechische Staatsverschuldung sollte auf ein tragbares Niveau gebracht werden. Dies kann nur eine Zustimmung zu einem Schuldenschnitt bei den ausstehenden Anleihen bedeuten – sowohl für private Investoren als auch für die Europäische Zentralbank (EZB). Darüber hinaus müsste die EZB möglicherweise den inländischen Bankensektor Griechenlands über einige Jahre mit speziellen Liquiditätsmaßnahmen unterstützen. Jede dieser Maßnahmen wird zwar wahrscheinlich von den Ratingagenturen aus Zahlungsausfall gewertet, was der Markt aber bereits in die Anleihen eingepreist hat. Zugegeben, kurzfristig werden wir es mit einem sehr volatilen Markt zu tun haben, falls die Regierungen diesen Maßnahmen zustimmen und sie dann auch durchführen. Wenn aber alle Pläne auf dem Tisch liegen und glaubwürdig sind, wird der Markt wohl von Griechenland ablassen.
Den Ball haben jetzt die Entscheidungsträger der Kernländer der Eurozone zugespielt bekommen – allen voran Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt aber derzeit aus populistisch-politischen Gründen auf eine sehr harte Gangart. Ihr Umgang mit den Peripherieländern der Eurozone ist jedoch nicht immer im Interesse der deutschen Schlüsselindustrien. Die Unternehmer wissen nur zu gut, wie vorteilhaft der Euro für Deutschland ist. Auch Martin Blessing, der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank (CBK), einer deutschen Bank mit einem der größten Bestände an griechischen Anleihen, hat sich öffentlich für eine griechische Umschuldung einschließlich eines „Haircuts“ von 30 Prozent ausgesprochen. Er fügte hinzu, dass ein solcher Plan bei Bedarf auch auf Portugal und Irland ausgeweitet werden könnte. Ein partieller Zahlungsausfall Griechenlands wäre zwar schmerzhaft, aber tragbarer und sehr viel einfacher zu handhaben als ein ungeordnetes Auseinanderbrechen der Eurozone, das alle Länder der Peripherie für lange Zeit in einen wirtschaftlichen Niedergang stürzen würde.
Jose Garcia-Zarate ist ETF-Analyst bei Morningstar.