Wenn Anleger heute über die Risiken von ETFs sprechen, haben sie zumeist das derivative Risiko von so genannten Swap-ETF im Sinn. Und damit liegen sie ganz im Trend: Die derivativen Indexfonds kommen zunehmend unter Druck. Im Laufe dieses Jahres haben nationale und supranationale Aufsichtsbehörden – unter ihnen die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und der Internationale Währungsfonds – vor systemischen Risiken gewarnt, die aus der Verbreitung von Swap-ETF für das globale Finanzsystem resultieren könnten. Auch Morningstar hat wiederholt auf das so genannte Counterparty-Risiko hingewiesen, dem die ETFs ausgesetzt sind. Im wesentlichen geht es um die Performance-Tauschgeschäfte, der Essenz der Swap-ETFs, die die Fonds mit Investmentbanken eingehen. (Eine ausführliche Analyse zu Swap-ETF finden Sie hier.)
Die meisten Anbieter dieser Produkte haben inzwischen auf den Druck der Investoren hin reagiert und für Transparenz gesorgt: Was in den Swap-ETFs tatsächlich steckt, ist heute für Investoren oft auf täglicher Basis auf den Websites der Anbieter einsehbar.
Anders sieht das Bild indes aus, wenn die Sprache auf die Risiken in den so genannten physisch replizierenden ETFs kommt, die vor allem in diesem Jahr auf den Kauflisten der Anleger stehen. Es geht um die Produkte, die in die tatsächlich im jeweiligen Index enthaltenen Produkte investieren. Nach allgemeiner Wahrnehmung stehen diese „guten“ ETFs, die zumeist von Fondshäusern aufgelegt werden, den gebrandmarkten „schlechten“ ETFs der Investmentbanken gegenüber. Mit Blick auf die allgemeine Wahrnehmung der derivativen Risiken ist jedoch eine Unwucht entstanden.
Eine Morningstar-Umfrage, die die Praxis der Anbieter von physisch replizierenden ETFs zwischen Januar und August mit Blick auf die Quote der Leihegeschäfte in ihren Fonds untersuchte, förderte Bemerkenswertes zutage. Wussten Sie, dass der Renten-ETF der Sparkassentochter ETF-Lab „ETFlab Deutsche Börse Eurogov Germany 3-5“ rund 99 Prozent seiner Bestände verleiht? Oder dass die Blackrock-Tochter IShares 92 Prozent der Bestände im „I-Shares FTSE 250“ an Investoren gegen eine Leihegebühr vergibt? Ähnlich sieht es bei den – zahlenmäßig allerdings geringen - physisch replizierenden ETFs der Commerzbank und Easy-ETF aus.
Eine Auswahl an ETFs, bei denen Wertpapierleihe betrieben wird, der Durchschnittliche Leihegrad sowie die Renditen, die aus den Leihegeschäften resultieren, finden Sie hier in den alphabetisch nach Anbieter sortierten Tabellen:
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die ETF-Anbieter, die Wertpapierleihe betreiben, sichern sich standardmäßig ab. Das Risikomanagement umfasst die Besicherung der verliehenen Wertpapiere mit zumeist erstklassigen Sicherheiten, in der Regel Euro-Staatsanleihen ebenso, wie die sorgfältige Auswahl der Kontrahenten, mit denen die Leihegeschäfte eingegangen werden. (Nach unserer Kenntnis betreiben alle Anbieter physisch replizierender ETFs mit der Ausnahme der niederländischen Think Capital Wertpapierleihegeschäfte.)
Allerdings verbleibt bei diesen Leihegeschäften ein Restrisiko, das in vielerlei hinsicht an die Restrisiken bei den Geschäften der Swap-ETFs erinnert. Ungeachtet aller Absicherungsschritte drohen dem Anleger Nachteile, sollte der Swap-Kontrahent pleite gehen. Wie auch bei den Swap-ETFs trägt der Investor dieses Restrisiko bei den Leihegeschäften der physisch replizierenden ETFs. (Üblicherweise gibt es bei Swap-ETFs keine Risiken, die aus Leihegeschäften resultieren, da diese nicht auf Ebene der Fonds, sondern auf der Ebene der Bank getätigt werden.)
Hier kommen wir auf einen entscheidenden Punkt bei der Bewertung des Risikos von physisch replizierenden ETF: Wenn der Anleger die Risiken der Leihegeschäfte trägt, dann wäre es nur angemessen, dass er in vollem Umfang die Leihegebühren vereinnahmt. Die Praxis zeigt allerdings, dass nur drei Anbieter ihren ETFs in vollem Umfang die vereinnahmten Leihegebühren weiterleiten. Das sind Comstage, Credit Suisse, XACT und ETF-Lab. Bei Easy-ETF und SPDR sind es nur 50 Prozent der Erträge, Marktführer I-Shares, HSBC und Amundi schreiben ihren ETF immerhin 60 Prozent der Leiheerträge gut, und Powershares leitet 70 Prozent der Leihegebühren weiter. (Die UBS lässt sich in dieser Frage nicht in die Karten schauen.).
Eine genaue Übersicht über die Rückvergütungspraxis finden Sie hier:
Apropos Transparenz: Auch wenn wir mit unserer Umfrage einen guten Überblick über den Umfang der Leihegeschäfte bekommen haben, mangelt es immer noch an der Durchsicht im Einzelnen. Als einziger Anbieter physisch replizierender ETFs hat I-Shares zuletzt angefangen, Details über seine Leihegeschäfte quartalsregelmäßig auf seiner Webite zu veröffentlichen. Andere Anbieter sind bei der Bekanntgabe der Details ihrer Leihegeschäfte indes wählerischer.
Wir erwarten, dass Investoren zunehmend für die möglichen Folgen der Wertpapierleihe in physisch replizierenden ETFs sensibilisiert werden und Druck auf die Anbieter aufbauen, die Karten über ihre Praxis bei der Wertpapierleihe auf den Tisch zu legen. Folgende Informationen sollten die Anbieter auf ihren Websites veröffentlichen. Nach Möglichkeit täglich:
- der Anteil der verliehenen Wertpapiere in den ETFs, ausgedrückt in Prozent des Nettoinventarwerts der Fonds;
- die maximale Leihequote in jedem Fonds in den vergangenen 12 Monaten, ausgedrückt in Prozent des Nettoinventarwerts des Fonds;
- die Höhe der Besicherung sowie die Zusammensetzung der hinterlegten Sicherheit (Collateral);
- einen detailierten Uberblick über das Risikomanagement bei den Leihegeschäften;
- der Anteil der Leihegebühren, die dem ETF gutgeschrieben werden.