Es ist so eine Sache mit der Demokratie: Irgendwann kommen auch die entschlossensten aller EU-Reformer nicht darum herum, das Volk über den Regierungskurs abstimmen zu lassen. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Frankreich und der Parlamentswahl in Griechenland am vergangenen Sonntag fiel definitiv nicht zur Zufriedenheit der meisten Akteure an den Finanzmärkten und der EU-Reformer deutscher Prägung aus: Der Sieger Francois Hollande hatte bereits mehrfach den EU-Fiskalpakt in seiner heutigen Form in Frage gestellt und mehr Wachstumsimpulse gefordert. In Griechenland haben sich die linken und rechten Parteien mit dem größten Zuwachs nicht nur gegen weitere Sparbemühungen, sondern auch gegen die Rückzahlung der griechischen Schulden überhaupt ausgesprochen.
Die Verfechter des stark umstrittenen Sparprogramms hatten am Sonntag die Mehrheit im griechischen Parlament verfehlt. Die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok schicken nur noch zusammen 149 Abgeordnete in das 300-köpfige Parlament. „Eine mögliche Regierung zwischen Nea Dimokratiea und Pasok wird auf wackeligen Beinen stehen", schrieben die Analysten Thomas Gitzel und Oliver Schlumpf von der VP Bank unter der Überschrift: „Wahlausgänge stellen den Sparkurs in Frage“. „In Athen scheinen Hopfen und Malz verloren“, so die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg. Heute wird auch an den politischen Stellen offen über einen Austritt Athens aus der Euro-Währungszone gesprochen, was bis dato ein Tabu war.
Ein gewichtiges Problem könnte laut Marktbeobachter sein, dass die politische Unsicherheit über den Kurs der Politik in Athen weitergehen könnte und es die Zeit für klare Lösungen nicht gekommen sei. Das befürchtet jedenfalls Stefan Hofrichter, Chefvolkswirt von Allianz Global Investors (AGI). „Das wahrscheinlichste Szenario aus aktueller Sicht scheinen Neuwahlen innerhalb der nächsten Wochen zu sein. Damit würden die politischen Unsicherheiten weitergehen“, so sein Kommentar am Montag. AGI sieht die Folgen für den Finanzsektor und für stärker Risiko-Anlagen negativ. Nur wenn es der Politik in der EU gelinge, "eine glaubwürdige „Firewall“ um Griechenland aufrecht zu erhalten, sollten die Auswirkungen an den Märkten gedämpft bleiben", so der AGI-Experte.
In ihrer Einschätzung scheinen sich die meisten Analysten einig: Die VP Bank hat sich als Konsequenz aus der Wahl „taktisch” wie folgt positioniert: Ein Untergewicht in europäischen Aktienmärkten und Staatsanleihen der Euro-Peripherie, die Währungsabsicherung in Euro-Mandaten wurde zugunsten des US-Dollar gelockert, in US-Mandaten seien die Euro-Positionen vollkommen abgesichert worden.
Angesichts der extrem negativen Urteile aus der Finanzbranche zu den Ergebnissen der Wahlen in Frankreich und Griechenland drängt sich der längst vergessene Spruch Bertolt Brechts auf: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?", hatte der Dichter 1953 geschrieben. Vielleicht wäre auch im Hier und Jetzt ein Stückweit mehr Gelassenheit an der Tagesordnung. Und auch die Erkenntnis, dass sich Entscheidungsträger in Demokratien eben nicht abschotten und dauerhaft über die Köpfe der von den Austeritätsmaßnahmen betroffenen hinwegregieren können.
Unbill könnte freilich von anderer Stelle drohen. Haben sich weite Teile der Finanzbranche bereits mit dem oben erwähnten Tabu abgefunden und Griechenland als Euro-Mitglied abgeschrieben, könnten jetzt die Banken wieder Sorgen machen. Wir erinnern uns, dass Moody´s im Februar das Rating etlicher Banken mit negativem Ausblick versehen hatte. Werden die Downgrades von Morgan Stanley und Co. zur Realität, könnte das die Turbulenzen an den ohnehin nervösen Märkten weiter anfachen.
Apropos Banken: Wir hatten in der vergangenen Woche berichtet, dass die Notenbank SNB im ersten Quartal Gewinne an einer auf den ersten Blick unvermuteten Stelle eingefahren hatte: Der Stabilisierungsfonds, in den die toxischen Papiere der UBS während der Finanzkrise ausgelagert wurden, konnte einen positiven Beitrag von 111 Millionen CHF zur Notenbank-Bilanz beitragen. Das hat offenbar den spiritus rector selber verleitet, tätig zu werden. Laut Medienberichten will die Grossbank jetzt so genannte Junk Bonds mit einem Nominalwert von 1,5 Milliarden US-Dollar verkaufen. Interessenten für die CDO (Collateralized Debt Obligation) unter dem Namen "Wave" können ihr Angebot laut Medienberichten bis am (heutigen) Mittwoch einreichen. Wiederum die Ratingagentur Moody's hat einige der Wertpapiere kürzlich mit dem Ramschstatus "Caa1" bewertet, wie weiter berichtet wird. Ungeachtet dieser schlechten Bewertung der Bonität der Papiere, winken kräftige Kursgewinne: Sollten die Schulden vollständig bedient werden, würde sich die Rendite gemäss Analysten-Schätzungen auf 10 bis 20% belaufen. Die Zeiten änder sich eben.