Fund Times: Die Morningstar-Fondskolumne zum Wochenstart

Was tun, wenn an den Märkten kein Halten mehr ist? Anleger zwischen prozyklischem Hammer und antizyklischem Amboss.

Ali Masarwah 04.06.2012
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Vordergründig waren per Freitag vergangene Woche alle Ingredienzien für einen antizyklischen Einstieg in den Aktienmarkt gegeben: Die Kurse krachten nach unten, der Leitindex DAX verlor 4,6 % in einer Woche. Auch der Dow Jones verzeichnete überdurchschnittlich hohe Tagesverluste: Allein am Freitag ging es beim US-Standardwerte-Index um gut 2% nach unten. 


Die Sorgen um die Eurozone wurden in der vergangenen Woche erneut kräftig befeuert, unter anderem von dem unerwartet hohen Kapitalbedarf der spanischen Sparkassenorganisation Bankia, aber auch von den zunehmenden Sorgen, dass Spanien der nächste Kandidat für den Euro-Rettungsschirm sein könnte. Auch wenn die spanische Regierung das verneinte, hatte die (zuversichtlich gemeinte) Ankündigung des spanischen Wirtschaftsministers, die Zukunft des Euro werde in Spanien und Italien entscheiden, eine bedrohliche Note. Wenig zuversichtlich stimmten die Marktteilnehmer ebenfalls die Nachrichten aus China und den USA, wo wichtige Frühindikatoren bzw. die Arbeitsmarktdaten ebenfalls auf einen Abschwung hindeuteten. 


Kaufen, wenn die Kanonen donnern?


Was sind die Schlussfolgerungen der Investmentprofis aus dieser wenig beruhigenden Lage? Ein Überblick über die Kommentare der vergangenen Woche zeigt zwei Lager. BNP Paribas Investment Partners sieht heute weniger die antiyklischen Chancen, sondern, hat , salopp gesagt, eher den Nenner im Blick. Auch wenn die Kurse kräftig nachgegeben haben, seien die „konjunkturbereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnisse neutral“, so das französische Investmenthaus. Mit anderen Worten: Die Risiken für Wachstum und Gewinne sind so hoch, dass man aus den aktuellen Bewertungskennzahlen noch keine Aussage über Chancen treffen sollte. Die Bewertungen sind aktuell für uns kein zwingender Grund für den Kauf von Aktien“, so die BNP-Experten.


Eine eher defensive Einschätzung liefert auch Russ Koestrich, Chefanlagestratege beim ETF-Anbieter iShares. Er empfiehlt eine Übergewichtung von Dividenden-Aktien, um die Verluste an den Aktienmärkten abzufedern, konzediert aber, dass angesichts der sich verschlechternden Fundamentaldaten weitere Kursverluste an den Märkten denkbar seien.  Eher radikal gehen derzeit Fondshäuser wie Threadneedle vor: Die Briten, die sich seit der Eskalation der Schuldenkrise in Griechenland im Frühjahr 2010 ohnehin Euro-skeptisch gerieren, werfen derzeit offenbar Euro-Aktien und –Anleihen in großem Stil auf den Markt. 


Eine konträre Einschätzung liefert Lee Freeman-Shor, Portfoliomanager des Skandia Best Ideas Fund. Er argumentiert verhaltenspsychologisch und beantwortete Anfang vergangener Woche die Frage „in Aktien investieren oder in Deckung gehen?“ eindeutig mit „kaufen!“ und berief sich dabei auf Warren Buffett („Sei gierig, wenn der Markt Angst hat!“). Allerdings müssen die Anleger im Best Ideas Fund zumindest kurzfristig damit leben, dass die Zielfonds des Skandia-Fonds offenbar in kräftig fallende Märkte investiert haben. Wenige Tage später, am vergangenen Freitag, legte Freeman-Shor dann nach mit der These, dass es „sehr gut belegt“ sei, dass „Investmentmanager mit den besten Renditeergebnissen angefallene Verluste von Zeit zu Zeit realisieren“. Na dann! 


Auch die Rohstoff-Manager bei der Gesellschaft Stabilitas haben hinsichtlich der Anlagechancen in Rohstoffaktien den Rückspiegel fest im Blick: „Aktien von Minengesellschaften verzeichnen eine ähnlich starke Unterbewertung wie nach dem Ausbruch der Finanzkrise in 2008. Investoren, die damals mutig waren, konnten sich in der Folge über massive Kurssprünge freuen“, so Stabilitas-Geschäftsführer Martin Siegel, der konstatiert: „Der Einstiegsmoment ist perfekt“. So auch der deutsche Vermögensverwalter Albrech & Cie.: „Qualitätspapiere mit ordentlicher Dividende kauft man am besten in solchen Korrekturen, meint Stephan Albrech, Vorstand der Albrech & Cie Vermögensverwaltung aus Köln. Er sieht den Aufwärtstrend an den Märkten sogar noch intakt. 


Apropos Fundamentaldaten: Der Tenor der meisten Markteinschätzungen der vergangenen Woche ist negativ, lässt aber auf eine gehörige Portion (Zweck-?) Optimismus schließen. Galt vielerorts bis in den April hinein der Exit Griechenlands aus der Eurozone als beherrschbarer Unfall und auch eingepreist, sind heute viele Fondshäuser der Meinung, dass dies noch vermieden werden kann. ING Investment Management etwa hält einen Euro-Ausstieg Athens zwar für wahrscheinlicher als zuvor, erwartet jedoch angesichts der schlimmen Folgen eines so genannten „Grexit“, vor allem für die Staaten der Euro-Peripherie, dass die Politik mit Kompromisslösungen dieses Szenario verhindern wird. „Zur Fortsetzung der Verhandlungen gibt es keine Alternative, aber sie versprechen turbulent zu werden“, so Didier Saint-Georges, Mitglied des Investmentkomitees von Carmignac Gestion. 


Aufhorchen lässt dabei eine Einschätzung des französischen Fondshauses, das seit geraumer Zeit auf das Wachstum der Schwellenländer setzt: „letztlich sind auch die Schwellenmärkte keine Wachstumslokomotiven mehr, die mit ihrem Schwung Europa aus seiner misslichen Lage befreien könnten“, heißt es bei Carmignac.  


Jedenfalls ging der viel beachtete State-Street-Indikator für das Anlegervertrauen ICI bei europäischen Anlegern im Mai stark zurück. Er sank gegenüber dem Vormonat um 2,2 Punkte auf 98,0 Zähler. Der ICI basiert nicht auf Umfragen, sondern auf dem realen Kauf- bzw Verkaufverhalten von Investoren, das der globale Wertpapierverwahrer regelmäßig misst. Es könnte also sein, dass der Optimismus einiger Investmentprofis angesichts der sich verdunkelnden Lage an den Märkten und der schlechten Nachrichten von der Konjunkturfront (noch) verfrüht ist. 


Der Fondsmarkt


Dass das US-Investmenthaus Vanguard nunmehr auch in den europäischen Markt für Indexfonds eingestiegen ist, mag manch ein aktiver Fondsmanager als ETF-Phänomen und damit als bloße Fußnote für sein Geschäft abtun. Sollte er aber nicht. Denn es spricht einiges dafür, dass die Amerikaner mit dem ETF-Start in Europa viel Staub aufwirbeln werden – und mit ihren Kampfkonditionen nicht nur derzeitige ETF-Investoren, sondern durchaus auch Neuanleger anlocken werden. Die  Dimension des Pricing-Modells Vanguards, das in Europa in Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz präsent ist, lässt das erahnen. Der Vanguard-ETF auf den US-Standardwerte-Aktienindex S&P 500 etwa kostet nur 9 (sic!) Basispunkte. Da muten die Kosten des Zehn-Milliarden-Euro-Pendants von iShares von 40 Basispunkten jährlich schon teuer an. Von aktiv gemanagten Aktienfonds für US-Standardwerte ganz zu schweigen, die im Schnitt auf über 1,5% kommen.


Apropos günstig: während die Rettung des spanischen Sparkassenverbundes Bankia den spanischen Staat alles andere als günstig kommen wird, schickt sich der Asset Manager des notleidenden spanischen Hauses an, Kunden mit einer großangelegten Rückvergütungsaktion bei Gebühren zu gewinnen und greift dazu auf ungewöhnliche Maßnahmen zurück. Neukunden, die in Bankia Fonds investieren und dabei in Produkte mit einer Kostenquote von über 1% investieren, bekommen 1% der Anlagesumme gut geschrieben, berichtet der Branchendienst Funds People. Vielleicht haben die Bankia Asset Manager ja noch nicht den Ernst der Lage beim eigenen Mutterhaus begriffen?


Unklarheit herrscht derweil über die Erfolgsaussichten des geplanten Verkaufs des Asset Managers der Dexia-Gruppe. Nachdem Dexia-Chef Pierre Mariani vergangene Woche verkündet hatte, dass 6 Interessenten als ernsthafte Kandidaten für die Übernahme der Vermögensverwaltung der angeschlagenen Bank in Frage kämen, machten Experten angesichts des schlechten Marktumfeld Zweifel an den Erfolgsaussichten des Deals geltend. Erst vor wenigen Wochen war das vorläufige Scheitern des geplanten Verkaufs großer Teile der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank an die US-Guggenheim-Gruppe bekannt gegeben worden. Tenor der Kritiker: Im heutigen Marktumfeld und angesichts des Überangebots an Fondshäusern haben die Verkäufer kaum Chancen, attraktive Preise zu erzielen. Das ist nicht anders als an den Märkten, auf denen Fondsmanager aktiv sind: Es besteht keine Nachfrage bei den immer mehr desillusionierten Anlegern.


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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich